Briefkasten 12
Briefe an Hans-Joachim Heyer
16.6.2003

Hallo Hans-Joachim,

in unserem letzten Telefongespräch haben wir unter anderem über die "Epiphänomenthese" des Bewusstseins gesprochen (in deiner HP Werner Spat, Punkt 5 (Diskussion.html#0119)). Die Neurologen behaupten ja, dass an den Nervenenden Erregungspotentiale schon einen Tick früher gemessen werden können, als uns die zur entsprechenden Handlung gehörenden Bewusstseinsinhalte gegenwärtig sind.

Aber eben diese empirische Tatsache ist doch geradezu eine empirische Bestätigung der Annahme, dass die Vergangenheit - aus deren Determination der gegenwärtige Zustand folgt - erst rückwirkend entsteht. Gerade so muss es sich verhalten.

Auf der Ebene quantenphysikalischer Phänomene ist diese Erkenntnis längst Usus - bestätigt durch Experimente der "verzögerten Entscheidung" - bei denen erst nachdem der Lichtstrahl den Strahlungsteiler passiert hat, der Weg, den der Lichtstrahl am Strahlungsteiler nimmt, determiniert wird.

Da letztlich der Beobachter den zentralen Punkt physikalischer Weltschau innehat, sollte diese Perspektive auch für die "Physiologie" unseres Gehirns und des damit verbundenen Nervensystems selbst gelten. Libets Experiment widerspricht, um es nochmals deutlich zu sagen, nicht der Existenz des freien Willens, sondern bestätigt ihn geradezu.

Quasi rückwirkend in der Zeit determiniert der willentliche Akt die neuronale Tätigkeit des Gehirns und zwar in der Weise, das es zu einem früheren Zeitpunkt den Zustand repräsentiert, der eben diesem Willensakt als vorausgesetzt angesehen werden muss. Wenn also ein Willensakt Wirkungen in der "materiellen" Welt hervorrufen soll, dann fügt sich auch die Abbildung des Willensaktes auf eine neuronale Tätigkeit in ein "materielles" Korrelat - damit aber auch in eine Kausalstruktur, in der ein Gedanke als "entstanden" angesehen werden muss. Die Zeit selbst, als Attribut jeden kausalen Geschehens, lässt jedoch keinen einzigen Gedanken entstehen. Ein Gedanke kann nicht "entstehen".

Kurz gesagt: Wir gestalten in jedem Moment unseres bewussten Erlebens eben die Vergangenheit, in deren strikt kausaler Folge der Moment unseres Jetzt entsteht. Quasi als Rückrechnung des Gegenwartsmomentes, den wir gewählt haben, und der nur eine Möglichkeit von unendlich vielen darstellt. Ein Gedanke allein reicht schon, um die gesamte Welt, samt Vergangenheit und Zukunft entstehen zu lassen.

Ich sage aber nicht, dass freier Wille akausal ist, sondern vielmehr, dass er multikausal ist und sowohl mögliche Zukünfte wie alternative Vergangenheiten in einem der Gegenwart sinngebenden Akt vereint.

Warum ist die neurologische Verarbeitung von Information überhaupt von einem bewussten Erleben begleitet, wenn die Tätigkeit des neuronalen Gefüges in seinem Hirn im Prinzip streng deterministischen Prozessen folgt? Und wenn das Gehirn ein Ausdruck der Evolution ist, warum hat es diese Evolution dann gegeben? Die streng deterministische Antwort ist, dass das Gehirn ein Ausdruck der Evolution sein muss, um Umwelt zu gestalten. Wenn Evolution stattgefunden hat, Leben hervorgebracht hat, um Umwelt zu gestalten - um in Abgrenzung zur Umwelt Gestalten zu formen, die Umwelt formen, ist das Prinzip "Leben" nur kontradiktorisch zum Prinzip der "Determination" zu verstehen. Determination ist folglich ein "Werkzeug" des freien Willens zur Konkretisierung und Manifestationen.

Wille ist das, was determiniert, nicht das, was determiniert wird. Die Welt des EGOs ist determinierte Reflektion des Selbst, dass selbst aber nur im Spiegel der Abbildung betrachtet werden kann. Das Selbst selbst kann sich nicht selbst betrachten.

Ich bin davon überzeugt, dass es so etwas wie die platonsche Welt der Ideen oder Prinzipien - oder im heutigen Sprachgebrauch Archetypen, Meme, Moduln etc. gibt. Die alten Griechen hatten sie in ihre Götterwelt integriert: Aphrodite, Dionysos usw. Für mich sind sie wahre, lebendige Entitäten - ähnlich für sich stehender Konstanten, etwa der Kreiszahl Pi oder dem Verhältnis des Goldenen Schnitts. Ihr Prinzip ist Beziehung konstituierender Bestandteil aller Dinge untereinander.

Meister der inneren Anlagen zu sein, bedeutet für mich die Korrespondenz dieser Anlagen zu eben den Prinzipien zu erkennen, die mein Wesen auszeichnen und ihnen den Weg zur Entfaltung zu bereiten.

Das bedeutet für mich, den Glauben an die "Götter" zu pflegen, indem ich ihre Wirkprinzipien in der Struktur meines EGOs zu erkennen suche um durch diese Erkenntnis ihrem Wirken Raum und Zeit zu geben. Damit wird die Determination durchbrochen, zwar nicht gar meinem Willen, aber dem meiner Götter unterworfen. Die natürlich von meiner Erkenntnisfähigkeit profitieren, da sie dadurch Handlungsspielraum gewinnen. In diesem Sinn fühle ich mich wie ein antiker Mensch. Mich nicht selbst zum Gott zu erheben, aber mich zur Wirkstätte der Götter machen zu können - das ist mir möglich.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein, wie gering man Vergangenes achtet - so als ob alles was vor uns war primitiv und schlicht gewesen sei. Es gibt in der Menschheitsgeschichte keine Entwicklung zum Höheren - nur eine Entfaltung des Menschlichen. Wir sind in unserer linearen Fortschreibung von Geschichte in keinem Deut weiter in der Erkenntnisfähigkeit gekommen. Die Weltformel zu denken war unseren frühesten Vorfahren möglich - sie haben sie an die Wände der Höhlen von Lascaux und Pechmerle gezeichnet - wir haben sie bis heute nicht verstanden.

Unsere jeweiligen Lebensbedingungen sind meines Erachtens lediglich periphere Modalitäten unseres Seins. Wenn eine Wahrheit gedacht oder erkannt worden ist, muss sie, wenn sie Anspruch auf Gültigkeit erheben will, unabhängig von den Lebensbedingungen dessen sein, der sie gedacht oder erkannt hat. Will sagen: Wenn es etwas Wahres im Neuen Testament gibt, das als Wort Jesu Anspruch auf Wahrheit reklamieren will, muss dieses unabhängig von den Umständen gelten unter denen Jesus selbst gelebt hat. Die Bedeutung der Botschaft muss unabhängig davon sein, ob Jesus am Kreuz gestorben ist oder vom Auto überfahren wurde oder unter der Guillotine seinen Kopf verloren hat. Wahrheit muss invariant gegenüber den lebensweltlichen Bedingungen sein.

Soweit zu meinen Gedanken.

Herzliche Grüße

Andreas

Antwort: Vielen Dank für deinen Brief! Er hat mir so gut gefallen, daß ich ihn gerne in meiner HP veröffentlichen möchte. Mit deinem Namen oder auch ohne - wie es dir beliebt. Schreib mit bitte, ob du einverstanden bist.
Ich stimme mit allem voll überein. Die Aussage des letzten Absatzes muß ich mir allerdings noch mal durch den Kopf gehen lassen.
"Wenn eine Wahrheit gedacht oder erkannt worden ist, muß sie, wenn sie Anspruch auf Gültigkeit erheben will, unabhängig von den Lebensbedingungen dessen sein, der sie gedacht oder erkannt hat. "
Hier tendiere ich zu der Ansicht, daß Wahrheit die Struktur des Geistes ist, und daß die materiellen Ausformungen abhängig von ihnen sind. Aber dein Standpunkt ist auch nicht unplausibel....

Hallo Hans-Joachim,

hier kommt ein weiteres Netz-Fundstück. Es geht ums Thema Zeit. Seine Vorstellungen solltest du einmal kennenlernen.
Die ist die Webseite: http://www.zeitforschung.de

Herzliche Grüße

Andreas


30.6.2003: Sehr geehrter Herr Heyer,

ich habe in Ihrem Forum die Diskussion mit "Ekki" mitverfolgt, im Besonderen Ihre Absonderungen über Autorität. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der derart um Anhänger giert wie Sie! Ihre Profilneurose muß gigantisch sein. Wieder so ein verrückter Welterlöser! Ich hoffe, Ihre Anhänger sind intelligent genug, auf Ihren Schmu nicht hereinzufallen!

Antwort: Werter N.N.,

wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist Ihre Vernunft derart gestrickt, daß Sie immer dann, wenn ich etwas unternehme, was potentielle Schüler abschreckt, denken, ich würde um Anhänger gieren. Interessant! Meine Vernunft denkt umgekehrt: Wer um Anhänger giert, schmiert ihnen Honig um den Mund, und wem es primär um die Wahrheit geht, weicht auch vor unpopulären Äußerungen nicht aus, selbst wenn es Anhänger kostet.
Was die Profilneurose anlangt - nun hier kann ich Ihnen einen weiteren Widerspruch nachweisen: Sie haben die Diskussion NICHT mitverfolgt! Sie mögen alles gelesen haben, aber eben NICHT mit Verstand! Denn ausgesprochen im angesprochenen Absatz über Autorität hatte ich erschöpfend zum Thema "Profilneurose" geschrieben:

"Ich weiß, das Thema "Autorität" ist in den heutigen Zeiten ein schwieriges Thema. Ich habe mich diesem schwierigen Thema nicht angenommen, weil ich etwa Machtgelüste hätte, sondern weil meine Theorie und Erfahrung sagt, daß man nicht durch Überzeugtwerden lernt, sondern durch Vorbilder, Autorität. Das war für mich eine schmerzliche Entdeckung, der ich mich beugen mußte!!! Ich wollte ursprünglich gar nicht Autorität sein; ich wollte überzeugen - jedoch ohne den geringsten Erfolg. Erfolg habe ich erst, seit ich die Autoritätskarte spiele. Wenn mich JETZT jemand deswegen mies macht ("Größenwahnsinniger!" "Arroganter!", "Besserwisser!" usw), sehe ich das als Machtkampf: Hier will jemand meine tatsächliche Autorität auf die Probe stellen.
Also mit anderen Worten: Ich habe das pseudodemokratische, Geleichberechtigungsgeschwätz durchschaut (gib "Habermas" in die Suchmaske ein) und habe die Konsequenzen gezogen! Beim Menschen ist es wie bei den Affen: Sie lernen vom Silberrücken, indem sie ihn nachäffen! Das muß man wohl so sehen. Die Wissenschaft hat nicht immer unrecht."

Auch in der Sache "Wieder so ein verrückter Welterlöser" habe ich Farbe bekannt. Ich hatte geschrieben:

"Verfalle aber bitte nicht dem statistischen Trugschluß, daß, wenn alle Gurus, die du bisher kennengelernt hat, Scharlatane sind, grundsätzlich alle es sein müssen. Du mußt den einen Nichtscharlatan unter 1000 Scharlatanen finden! Da ich erkennen mußte, daß, wer das kann, keinen Meister braucht, und daß ich nicht warten kann, bis man mich als einzige bekannten Nichtscharlatan entdeckt. Da könnte ich bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten. Nein! Ich muß aktiv werden und den Leuten das sagen, was ich für richtig halte und damit basta!"

Sie sind wie fast alle Menschen es auch tun, einem sog. "induktiven Fehlschluß" aufgesessen. Aus der Erfahrung, daß Ihnen bisher ein paar hundert falsche Welterlöser über den Weg gelaufen sind (in Wahrheit glaube ich Ihnen nicht einmal, daß Sie auch nur einem begegnet sind. Nicht einmal mir! Vielmehr gehe ich davon aus, daß Sie in BILD darüber gelesen haben) schließen Sie in falscher Anwendung Ihres Abstraktionsvermögens darauf, daß alle Welterlöser falsch seien. Dieser Trugschluß - um dessen Aufdeckung Sir Karl Popper sich verdient gemacht hat, wird sehr häufig geschlossen, weil er das Denken so sehr vereinfacht. Sie brauchen sich nämlich nie mehr Gedanken um Welterlösung zu machen, da ja jeder, der sie sich macht, automatisch verrückt ist. Auch Sie sind so ein Weltvereinfacher, der es so weit treibt, daß er in seiner simplifizierten Welt am Schluß nicht mal selber mehr leben kann. Sie schließen daraus, daß Sie sich nicht vorstellen können, die Welt zu retten, daß es niemand kann. Im Übrigen geht es mir gar nicht um Welterrettung oder -Erlösung, sondern um Erlösung, sprich Einweihung, einzelner Personen. All das hätten Sie erfahren können, wenn Sie meinen Text sorgfältiger gelesen hätten. Aber das scheint nicht gerade Ihre Stärke zu sein.

Ein Wort noch zu den Welterlösern: Wenn jemand glaubt, die Welt stünde am Abgrund (ich glaube es übrigens nicht), und er glaubt, die Welt retten zu können, muß er es tun. Sollte er irren, muß er eben vom Rest der Menschheit gestoppt werden. Aber er darf sich nicht selber stoppen, denn: Stünde die Welt am Abgrund, und alle, die glauben, sie retten zu können, würden nichts tun, dann wäre der Untergang gewiß! Ihr Ratschlag ist also verderbenbringend!

Noch etwas: Nur Leuten wie Ihnen, die nicht zu folgerichtigem Denken imstande sind, sage ich, daß die Methode, alle Philosophien und Selbsterlösungsmethoden auszuprobieren und dabei das Schlechte zu verwerfen und das Gute zu behalten, nicht funktioniert! Bei mir funktioniert sie. Aber wer keine guten Bewertungsmaßstäbe besitzt, kann bis zum Sanktnimmerleinstag Philosophien studieren; er wird nie das Gute, wirklich Hilfreiche, zu finden imstande sein.


2.7.2003: Guten Tag Herr Heyer,

ich bin gerade auf ihre hervorragende Buchkritik von "Kapitalismus.html"
gestoßen. In meinen Augen sollten die Dinge, die sie beschreiben, für jeden
naturwissenschaftlich gebildeten Menschen recht offensichtlich sein -
jenseits jeder Ideologie sollte klar sein, daß ewiges Wachstum nicht möglich
ist und "das System" in seiner derzeitigen Form nur Reichtum von uns allen
abzieht (siehe Bernard Lietaers ausgezeichnetes Werk "Das Geld der
Zukunft").

Ich mußte lachen bei Ihrer Metapher der eierlegenden Eier. Die Frage: Darf
ich diesen Vergleich in meinem Buch "der vierte Affe" zitieren? (Sicher darf
ich laut Gesetz - aber ich frage doch lieber nach wenn möglich).

Dank und Gruß

Stefan Thiesen

Autor von / author of:

Der Vierte Affe ­ Wie wir heute denken müssen, um morgen zu überleben
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Genterror und Lebenspatente - Ein Brainstorming
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TREK SCIENCE - MIT WARPGESCHWINDIGKEIT IN DIE ZUKUNFT,
denn dort werden wir alle den Rest unseres Lebens verbringen...
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Rabenwelt
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Das Verbotene Buch
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Climate Poker
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Leserbrief zum neuen Absatz in "Einweihung in Zeiten der Demokratie" (Einweihung.html)

24.7.2003: Sehr geehrter Herr Heyer,

mit Bestürzung las ich gestern Ihren neuesten Erguß über Ihre Forderung bedingungslosen Glaubens. So sehr Sie sich zu rechtfertigen versuchen, sind Sie in meinen Augen nichts anderes, als ein kleiner Möchtegern-Goebbels, zum Glück ein harmloser, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß auch nur ein einziger geistig gesunder Mensch Ihnen auf den Leim geht. ... Niemals würde ich einem anderen Menschen bedingungslosen Glauben schenken! ...

Verachtungsvoll

N.N.

Lieber N.N.,

ich hoffe, Sie sind sich über die Implikationen Ihres Nichtglaubens, der auch ein Glauben ist, im Klaren. Wenn Sie stets nur das glauben, was Sie überzeugt, werden Sie Ihr rationales Denksystem nie überwinden können, d.h., Sie werden nie dessen Bedingungen und Grenzen erfahren. Sie werden also nie erfahren, daß Sie bereits bedingungslos einem Glaubenssystem (einem Goebbels!!!) auf den Leim gegangen sind - ich schließe aus Ihrer Mail, daß Sie Abitur haben.

Sie sind in der Schule ohne Ihre Einwilligung dahingehend sozialisiert worden, daß Sie ein grundsätzliches Mißtrauen in Glaubenssysteme (Religionen) und ein grundsätzliches Vertrauen in rationale Erklärungen haben, ohne daß Ihnen gesagt und erklärt wurde, daß auch die Wissenschaft ein Glaubenssystem ist! Man hat Ihnen wider besseren Wissens gesagt (vorgelogen), Naturwissenschaft sei ein per Experiment (Goethe.html) (Versuch und Irrtum) erschließbares Wissenssystem, das ohne Glaube auskomme. Man hat Sie zu der Auffassung überredet, daß Realität und Rationalität (naturgesetzliche oder logische Kausalität) einunddasselbe seien: real sei, was rational, was logisch, sei. Irrationales gebe es nicht (habe kein Sein). Ich behaupte: Sie, lieber N.N.. existieren!

Sie wollen nicht glauben; Sie wollen wissen und verstehen. Aber Sie verstehen und wissen (aufgrund Ihrer Sozialisation (BergerLuckmann2.html)) nicht, daß die Entscheidung, verstehen zu wollen, eine Glaubensentscheidung ist. Sie wissen nicht, ob die Welt rational (verstehbar) ist; Sie glauben es! Es gibt auch keine Logik, die beweist, daß die Logik logisch ist. Sie glauben es. Und was wichtig ist: Sie glauben es, obwohl Sie sich nie bewußt dazu entschieden haben. Man hat diesen Glauben ohne Ihre Einwilligung in Ihre Seele gepflanzt.

Der Philosoph Thomas Kuhn (Kuhn.html) hat die Theorie von den Paradigmenwechseln aufgestellt. Er führte aus, daß es keine rationale Brücke von einem Paradigmensystem in ein anderes gebe, und daß der Übergang geglaubt werden müsse. Kuhns Theorie ist übrigens eine Wissenschaftstheorie, die heute noch hoch gehandelt wird!

Wenn Sie also meiner Forderung nach bedingungslosem Glauben an diejenigen, die einen Paradigmenwechsel in ihren Seelen vornehmen wollen, widersprechen, widersprechen Sie nicht nur mir, sondern auch Kuhns Theorie. Ich gehe davon aus, daß Sie mit Wissenschaftstheorien - auch mit der Theorie Sir Karl Poppers (Popper.html)- vertraut sind. Anderenfalls muß ich Ihnen leider unterstellen, nicht zu wissen, was Sie geschrieben haben.

Außerdem haben Sie bei der Lektüre meiner HP wahrscheinlich etwas übersehen, was eigentlich unübersehbar ist (und was für Ihre Blindheit spricht): Daß ich sehr, sehr viel erkläre, was eigentlich Ihre Ansprüche nach Rationalität und Verstehbarkeit vollauf befriedigen sollte. Ich bin derjenige, der den geringstmöglichen Glauben verlangt!!! ALLE Andern verlangen sehr, sehr viel mehr Glauben!!! Sie verbergen es bloß! Ich verberge es nicht! Ich habe alles, was ich zu sagen habe - was man mir glauben soll - offen gelegt. Das sollte Sie zur Überzeugung bringen, daß ich keinen Glauben verlange, der nicht von rational nachvollziehbaren Erklärungen begleitet ist.

Ich gehe zudem davon aus, daß Sie in Ihrem ganzen Leben noch nie so ausführlich und erschöpfend Antwort auf eine Ihrer existentiellen Fragen (und Ihre Mail impliziert ungestellte existentielle Fragen, die Sie schon nicht mehr wagen, zu stellen, da Sie noch nie befriedigende Antworten von Lehrern erhielten und schon lange resigniert haben) erhalten haben. Ihre Mail zeugt von tiefem Mißtrauen in jegliche Lehrerschaft, die als Lehrerschaft auftritt. Ihr Kampf gegen alle Goebbels der Welt zeigt mir, daß Sie bereits selber heimlich den Verdacht hegen, auf so einen Goebbels bereits hereingefallen zu sein. Ihre existentielle Frage lautet: "Bin ich wirklich der, der ich zu sein glaube oder bin ich mir aufgrund von Goebbels-Manipulationen vielleicht vollkommen im Irrtum über mich selbst (und die Welt)?"

Sie wollen Wahrheit und lehnen jegliche Manipulation ab, aber leider ist Ihr Begriff von Wahrheit wahrscheinlich selbst schon manipuliert. Gibt es aus dieser Falle ein Entrinnen?

Ich schrieb im von Ihnen kritisierten Absatz: ""Bedingungslosigkeit" zu fordern, ist nicht eine eitle Marotte von mir, sondern die Antwort auf ein philosophisches Problem:..."

Falls Sie diese "Bedingungslosigkeit" ablehnen, sollten Sie mir eine Antwort zeigen, die besser als meine geignet ist, beim Schüler einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Sie als Kritiker sind mir diese Antwort schuldig geblieben. Man sollte nie etwas kritisieren, wenn man keine bessere Lösung hat.

Sie sind am Zuge!


30.7.2003: Brief von Andreas Haxel:

Lieber Hans-Joachim,

deine Antwort auf die Kritik von N. N. war sehr gut. Und was du in deinen letzten Tagebucheintragungen (tb20.html#0725) geschrieben hast, hat mich umso mehr gefreut. Ich begreife die Philosophie des Loslassens als ermüdendes abarbeiten an dem, was eigentlich losgelassen werden soll, also als eine stereotypische Fixierung auf den Materialismus. Man muss einer Sache schon eine ganz gehörige Bedeutung zumessen, um sie auch ignorieren zu können.

Ich weiß eins mit Sicherheit, ich habe es mir immer gewünscht, heute und hier auf der Welt zu sein. Mein Dasein begreife ich als großes Geschenk. Ich kam als Wunschkind auf die Welt und meine Empfindungen waren immer von einem Gefühl des Angenommenseins begleitet. Insoweit ist meine Sozialisation auch vollkommen fehlgeschlagen, denn ich habe mir die Zuneigung der mir am engsten verbundenen Menschen nicht auf irgendeine Weise „verdienen“ müssen. Auf dieses Urvertrauen baue ich. Ich spüre es in mir und es gewährt mir ein Leben frei von Angstneurosen. Deshalb kann ich ein Leben führen, das mit so großen Ungewissheiten ausgestattet ist, dass es andere in meiner Situation mit ihren größten Ängsten konfrontieren würde.

Ein Onkel, der meine einstmals laxe Auffassung von Pflicht kritisierte, verwende gern das Bibelwort: „Sie sähen nicht und sie ernten nicht, aber der himmlische Vater ernähret sie doch.“ Stets fügte ich in meiner Erwiderung die noch folgenden Worte an: „Glaubt ihr, dass ihr eurem Leben auch nur einen einzigen Tag hinzufügen könnt, indem ihr euch Sorgen macht?“ Dem folgt in der Bibel noch die Aufforderung: „So habt doch Vertrauen“. Dieses Vertrauen besaß ich, aber mein Onkel nicht. Und darum fühlte ich mich in der stärkeren Position. Denn wenn es um die Gretchenfrage ging, so wusste ich, war meine Fähigkeit glauben zu können, mein stärkster argumentativer Rückhalt, der stets den blinden Fleck in der Inaugenscheinnahme der Welt meines Gegenübers deutlich werden ließ.

Lance Armstrong trainiert das ganze Jahr über für die Tour de France. Außer an drei Wochen – in denen fährt er sie. Von welchem Ort aus in Paris kann das Auge nicht die Silhouette des Eifelturms erfassen? Natürlich vom Eiffelturm aus.

Ebenso wenig kann das Selbst sich selbst betrachten. Es kann aber die Aussicht genießen oder Tour de France fahren. So sage ich ja, dass die Welt determinierte Reflektion des Selbst ist, dass selbst nur im Spiegel seiner Abbildung betrachtet werden kann.

Die Welt, in die sich unser Selbst hineinverobjektiviert und damit die Schnittstellenrealität unseres EGOs kreiert, das wir als Ausdruck unserer personalen Identität begreifen, also das was ich und nicht ich ist, ist meiner Überzeugung nach ein Korrespondenzphänomen.

Korrespondenzphänomen insoweit, als ich nicht glauben kann, dass den Objekten, die mir meine Sinne zugänglich werden lassen, bzw. die mein Bewusstsein kreiert, nicht auch eine eigenständige Existenz zukommt. Eben deshalb, da sie selbst für sich Subjekte sind, und für sich denselben Realitätsstatus geltend machen können, den auch ich für mich in Anspruch nehme.

Ich verstehe Einweihung als den Weg zur Gewinnung einer Perspektive gesteigerten Gewahrseins, aus der heraus Dinge als Teil eines Ganzen erkannt werden können, die zuvor nicht in diesem Zusammenhang gesehen wurden. Aus der Erkenntnis eines Ganzen heraus können nun umgekehrt auch Dinge identifiziert werden und als solche die Schwelle der Wahrnehmung überschreiten, deren Existenz erst aus dem Verständnis des Beziehungsgefüges selbst entwächst.

"Natura non facit saltus" - "Die Natur macht keine Sprünge" - Dies scheint für den Erkenntnisraum, mithin die Gesamtheit allen erfahrbaren Wissens, zu gelten. Quasi als Midasschöpfung lässt sie dem Wissenschaftler unter seinem Mikroskop einen Mikrokosmos entstehen und bringt beim Blick durchs Teleskop ferne Weltenräume hervor. Die Kausalität wirkt nicht nur ordnend im Zeitstrom, sie schafft auch das nahtlose Ineinander der Welt - vom Kleinsten zum Größten - ähnlich einem fraktalen Gebilde, das auf jeder Stufe seines Gefüges Selbstähnlichkeit hervorbringt. Beim Blick durchs Mikroskop wird die Sub-Struktur deter-miniert, beim Blick durchs Teleskop der Urknall geschaffen.

Doch die den Menschen beherbergende Natur konfrontiert uns weder mit Atomen noch mit Himmelsmechanik. Die Sonne als gelb strahlende Scheibe geht eben im Osten auf und im Westen unter. Beim Verkosten einer reifen Himbeere sind wir auch nicht mit den Molekülen auf den Geschmacksknospen unserer Zunge konfrontiert, sondern erleben eine süß-aromatische Gaumenfreude. Jedenfalls sind wir mit genug Vertrauen in die Wissenschaft ausgestattet, um ohne Zweifel die Existenz von Atomen und Himmelsmechanik als Voraussetzungen für das scheinbar Faktische anzuerkennen, auch wenn es beides in unserer Wahrnehmung gar nicht gibt. Unmittelbar und ohne Abstraktion ist keines von beiden erfahrbar. Wir akzeptieren diese Dinge nur, weil wir entweder fraglos die Autorität der Wissenschaft unreflektiert über unsere Wahrnehmung stellen oder weil wir uns die Kategorien des wissenschaftlichen Denkens zu eigen gemacht und so eine Zahl von Glaubenssätzen zementiert haben, die unser Weltbild stärker konditionieren als die Konzepte von Naturbeschreibung, die wir unmittelbar aus unserer Erfahrung schöpfen können. Aber diese gelten ja als ausrangierter Unsinn, Aberglaube und mild belächelter Mystizismus.

Weltbildgestaltung vollzieht sich also als sprachliche Schöpfung. Man könnte den ketzerischen Gedanken hegen, dass nicht die Sprache als Mittel der Verständigung dem Menschen eine bessere Anpassung an die lebensweltlichen Bedingungen ermöglichte sondern umgekehrt mittels der Sprache die Welt erst zu dem wurde, was sie für den Menschen darstellen sollte. Der Mensch war nicht in die Welt gesetzt sondern die Welt wurde durch den Menschen gesetzt - durch die Vereinigung der Bewusstseinsformen, die Mensch sein wollten. Damit ist das Anthropische Prinzip auf die Spitze getrieben.

Das fraktale Prinzip gilt meiner Überzeugung nach für die Verkörperung von allem. Denn alles was unserer Wahrnehmung zugänglich ist, vom Kleinsten bis zum Größten, ist ein Ausdruck von Bewusstsein, dessen Ganzheit als bewusste Entität uns oftmals deshalb nicht bewusst ist, weil es seine für uns nicht wahrnehmbare Gestalt in mikro- oder makrokosmischen Stufen der Organisation entfaltet. Jede unserer Körperzellen verfügt über ein Zellbewusstsein, das möglicherweise nur Teil eines Bewusstseins ist, das die Gesamtheit aller einzelnen Zellen umfasst und ein Ganzes bildet. Die kollektive Intelligenz von Insektenvölkern könnte auch ein solches Bewusstsein darstellen. Die Gesamtheit aller auf der Ebene von Kristallgitterstrukturen organisierter Materie könnte ein ebensolches Bewusstsein beinhalten. Weiter könnten wir Menschen als Menschheit auch ein Gesamtbewusstsein besitzen. Die Erde - Gaia - könnte ein bewusstes Wesen sein. Schließlich der gesamte Kosmos. Letztlich ist Bewusstsein der Stoff, aus dem die Welt gemacht ist. Übrigens – vergiss das „könnte“.

Diesen Anlauf habe ich gebraucht, um darzustellen, dass es, wenn es um uns Menschen geht, zwar etwas wie eine Hierarchie in der Bewusstseinsentwicklung geben mag, unter den Bewusstseinsformen aber vielmehr eine Heterarchie vorzufinden ist, deren polymorphe Formen sich keineswegs durch die Ausprägung eines auf ein einzelnes Individuum beschränkten EGOs (Ich - Nicht-Ich-Schnittstelle) auszeichnen. Die Evolution, vom einfachen Aminosäurebaustein bis zum Hominiden, musste sich auf allen Ebenen gleichzeitig vollziehen, damit sich der Mensch in einer für ihn geeigneten Weise verkörpern konnte. Sein Wille nach Verkörperung schmiedete die Kette aus unwahrscheinlichen Zufallsereignissen in der Vergangenheit, damit in ihrer kausalen Folge die Bühne für den Auftritt des Menschen vorbereitet werden konnte. Ich denke, dass dies klar werden lässt, dass Menschsein vor allem - und sonst wären wir nicht hier - ein fortwährendes Menschwerden ist. Wir sind in ständiger Interaktion mit unserer Umwelt, die eben nicht eine einfache Projektion darstellt, sondern Ausdruck des lebendigen Bewusstseins der Dinge ist, die sich uns mitteilen wollen, weil die Welt neugierig auf uns ist.

Natürlich sind die Formen, in denen uns die Dinge gegeben erscheinen ein kreatives Resultat dieser Interaktion, aber es sind Myriaden Bewusstseinsformen die an dieser Interaktion teilhaben und die diese Welt, so wie sie uns erscheint, als gemeinsamen Ausdruck ihrer Harmonie gewählt haben. Wir sind auch nicht diejenigen, die diese Welt geschaffen haben. Bestenfalls ist unser Bewusstsein ein Teil eines umfassenderen Selbstes, das wiederum Teil eines umfassenderen Selbstes ist, das an der fortwährenden Neuschöpfung unserer Welt beteiligt ist.

In einem Punkt aber sehe ich die Autonomie des Subjekts verankert: Nämlich durch seine in jedem Moment gegebene Vermögen, Inhalt und Ziel des eigenen Wollens, frei zu bestimmen. Dem Determinismus zufolge ist die Willensfreiheit ja eine Illusion, weil alles Handeln kausal bestimmt ist, die Handlungsursachen aber nur selten oder nur teilweise erkannt werden. Die Epiphänomenthese, derzufolge Erregungspotentiale an den Nervenenden schon einen Tick früher gemessen werden können, als uns die zur entsprechenden Handlung gehörenden Bewusstseinsinhalte gegenwärtig sind, scheint diese Überzeugung zu stützen. Im Rahmen der Erörterung des Problems habe ich aber gezeigt, dass diese Tatsache geradezu die Existenz des freien Willens bestätigt, anstatt ihn zu widerlegen. Ich führe den Gedanken hier noch mal an:

"Die Vergangenheit - aus deren Determination der gegenwärtige Zustand folgt - entsteht erst rückwirkend. Auf der Ebene quantenphysikalischer Phänomene ist diese Erkenntnis längst Usus - bestätigt durch Experimente der "verzögerten Entscheidung" - bei denen erst nachdem der Lichtstrahl den Strahlungsteiler passiert hat, der Weg, den der Lichtstrahl am Strahlungsteiler nimmt, determiniert wird. Da letztlich der Beobachter den zentralen Punkt physikalischer Weltschau innehat, sollte diese Perspektive auch für die "Physiologie" unseres Gehirns und des damit verbundenen Nervensystems selbst gelten. Libets Experiment widerspricht also nicht der Existenz des freien Willens, sondern bestätigt ihn.

Quasi rückwirkend in der Zeit determiniert der willentliche Akt die neuronale Tätigkeit des Gehirns und zwar in der Weise, das es zu einem früheren Zeitpunkt den Zustand repräsentiert, der eben diesem Willensakt als vorausgesetzt angesehen werden muss. Wenn also ein Willensakt Wirkungen in der "materiellen" Welt hervorrufen soll, dann fügt sich auch die Abbildung des Willensaktes auf eine neuronale Tätigkeit in ein "materielles" Korrelat - damit aber auch in eine Kausalstruktur, in der ein Gedanke als "entstanden" angesehen werden muss. Die Zeit selbst, als Attribut jeden kausalen Geschehens, lässt jedoch keinen einzigen Gedanken entstehen. Ein Gedanke kann nicht "entstehen".

Kurz gesagt: Wir gestalten in jedem Moment unseres bewussten Erlebens eben die Vergangenheit, in deren strikt kausaler Folge der Moment unseres Jetzt entsteht. Quasi als Rückrechnung des Gegenwartsmomentes, den wir gewählt haben, und der nur eine Möglichkeit von unendlich vielen darstellt. Ein Gedanke allein reicht schon, um die gesamte Welt, samt Vergangenheit und Zukunft entstehen zu lassen.

Ich sage aber nicht, dass freier Wille akausal ist, sondern vielmehr, dass er multikausal ist und sowohl mögliche Zukünfte wie alternative Vergangenheiten in einem der Gegenwart sinngebenden Akt vereint."

Was sich in dieser Weise für die Zeit verhält, verhält sich wie ganz zu Anfang schon erwähnt, vermutlich auch für die räumlichen Dimensionen, was sich möglicherweise noch schwieriger veranschaulichen lässt. Denn die Kausalität ist nicht nur ein Faktor, der die Ordnung der Zeitlinie durchgängig bestimmt, sie wirkt auch als Ordnungsfaktor bei der Skalierung des Raumes. Sie gewährleistet meines Erachtens auch dessen Isotropie und Homogenität. Eine bislang voraussetzungslos anerkannte Eigenschaft. So werden nicht nur die Ereignisse in der Zeit sondern auch die Strukturen im Raum determiniert.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, erschafft das Bewusstsein die kausal geordnete Zeitlinie. Wer um diese Zusammenhänge weiß, kann herauszufinden versuchen, wie er sich seiner mentalen und kognitiven Fähigkeiten am besten bedient, um die Magie des wissenden Willens wirken zu lassen. Ein wahrer Magier wäre freilich ein Meister in der Beherrschung entsprechender Bewusstseinstechniken. Ist seine Manipulation perfekt, wird sie niemand entdecken können. Und sie wird sich auch nicht beweisen lassen. Dafür sorgt die durchgängig aufrecht erhaltene Kausalität.

In einer Star-Trek-Folge ist die Enterprise in einer Zeitschleife gefangen. Alle Ereignisse wiederholen sich solange in derselben Weise, bis sich bei einigen Crewmitgliedern merkwürdige Déjà-vu-Erlebnisse häufen, was schließlich dazu führt das die Determination der Ereignisse erkannt wird. Auch dieses Erkennen wiederholt sich öfters, da die Enterprise immer wieder und wieder zur Ursprungszeit zurückgeworfen wird, bevor die Crew ein Lösung für das entkommen aus der Zeitfalle umsetzen kann. Dabei kommt es darauf an, zu einem Zeitpunkt eine andere Kurskoordinate im Bordcomputer zu wählen. Doch wie lässt sich diese Information von einer Zeitschleife in die nächste, in der sich ja alles von Anfang an wiederholt, übertragen? Die Crew wird aufgefordert, fortwährend an diese Koordinate zu denken, um so die Zeitlinie zu beeinflussen. In den nächsten Zeitschleifen verstärkt sich dieses kollektive Gedankenmuster soweit, das es in verschiedenen Ereignissen manifest wird. Die Zahlen der Koordinaten tauchen in verschiedenen Konfigurationen von Gegenständen auf. Die Zahl drei zum Beispiel erscheint in verschiedenen Situationen signifikant. Data zieht beim Poker drei Asse und drei Könige. Da sich solche Ereignisse nun nicht mehr mit dem Zufall erklären lassen, vermutet man, dass eine besondere Bedeutung dahinter steckt. Im letzten Moment gelangt Data dann zum richtigen Schluss und kann im Gefahrenmoment die rettende Kurskorrektur durchführen, wodurch die Enterprise der Zeitfalle entkommt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Autoren der Serie solche und ähnliche Gedanken im Rahmen einer spannenden Handlung verarbeitet haben.

Eines der schönsten Erlebnisse, das mich in meiner Erinnerung mit meinem Großvater verbindet, ist eine Angeltour ins wildromantische Dörsbachtal. Es war ein Sommer wie in diesem Jahr. Nach dem Frühstück brachen wir auf. Der Weg führte uns entlang des Baches durch eine im hellen Sonnenschein vor Leben und Lebendigkeit nur so strotzende Natur, die in meinen Sinnen zu einem einzigen Sirren, Summen und Vibrieren verschmolz. In der Strömung des Baches, dessen Wasser sich über den Steinen am Grund kräuselte, standen im Halbschatten einer Weide, deren flirrendes Grün kaum der heißen Sonne zu trotzen vermochte, Forellen, deren Haut im Wechselspiel des Lichteinfalls in allen Farben schillerte. Vorbeischwirrende Libellen, deren Flügel blaugrün schimmerten, das satte Gelb der Sumpfdotterblumen und das Blau der Schwertlilien ließen meine Sinne in einen wahren Strudel der Sinne geraten. Ich wurde Eins mit alldem, was mich umgab und es umgab mich nicht länger. Für einen kleinen Moment war ich all das auch – das Blatt am Baum, der Grashalm, die Libelle, der Stein im Wasser, der blaue Himmel. Ich war ich – aber mein Bewusstsein war überall – nicht mehr nur drei Zentimeter hinter meiner Stirn. Es ist in Worten nicht fassbar. Warum wohl hatte mich mein Großvater dazu aufgefordert, ihn zu begleiten?

Ähnliches ist mir einmal bei einer Winterwanderung widerfahren. Etwa 23 Kilometer führte mich mein Weg über gefrorene und schneebedeckte Felder, allein mit den Geräuschen, die über die Schneelandschaft an mich herangetragen wurden, aus fernen Orten und doch so klar vernehmbar. Nur das Krachen der Schneedecke unter meinen Schritten und meinen Atem spürend, der kleine Wölkchen in die klare Luft stieß, schritt ich voran. Rot leuchtende Hagebutten am Wegrand, die frische Fährte des Wildes im Schnee, unter der Schneelast krachende Zweige, da und dort ein Eichhörnchen, eine gefrorene Pfütze, in der die vereisten Luftblasen unter meinen Schritten splitterten, ein tropfender Eiszapfen an einer Feldscheune – alles erregte meine Sinne. Nach einer kurzer Weile war meine Wahrnehmung in einem Maß geschärft, dass mir diese winterliche Einöde, geradezu zur reinen Sinnenfülle wurde. Auch damals fand ich mich plötzlich mit allem verbunden. Die Schritte wurden so leicht, dass ich fast über die Landschaft zu gleiten schien. Ohne jede Anstrengung erreichte ich mein Ziel und war durch und durch euphorisiert.

Ich bin der Überzeugung, dass wir solche Erlebnisse des Eins-Seins mit der Natur kaum willkürlich herbeiführen können. Nur wenn unsere seelische Befindlichkeit in Resonanz mit den „Schwingungen“ der Geister tritt, die die Natur beseelen, kann uns ein solches Eins-Sein zuteil werden. Interessant ist, dass das EGO, bzw. das, was ich als Ausdruck der personalen Identität bezeichne, nicht etwa aufgehoben war, sondern, wie ich es erlebt habe, einfach nicht mehr verortet war. Also kann ich nicht sagen, das EGO transzendiert zu haben – es war ja noch da. Sonst könnte ich womöglich nicht sagen, dass ich es war, der dies erlebt hat.

Die Welt ist meiner Anschauung nach keine originäre Zeugung unseres Bewusstseins, sondern ein „Klangraum“ indem die Grundtöne harmonieren und die Obertöne der Grundschwingung, die von uns unterscheidbaren Entitäten hervorrufen. Das Eins-Sein wird auf der Stufe der Erfahrung der Grundschwingung hergestellt. Die Welt als Ganzes ist eine Komposition aller Töne – eine Konzert. Wir spielen darin eine Geige – aber nicht die erste. Ich will sagen, nichts geht, wenn die anderen nicht mitspielen. Und was uns übrig bleibt, ist die Klaviatur zu beherrschen. Die Erzeugung unserer individuellen Realität beruht eben darauf, wie gut wir das gelernt haben. Wir können neue Töne anschlagen und auf Resonanz hoffen. Natürlich gibt es auch Virtuosen.

Der Gedanke, den es mir festzuhalten gilt, ist einfach der, dass die Welt und wir interdependent sind. Wir sind Schöpfer und Geschöpfte zugleich.

Deshalb bedeutet das so genannte „Loslassen“ auch das sich Abwenden von der Welt, in der wir sind, weil wir gar nicht in ihr wären, wenn sie uns nicht gewollt hätte und uns als Bereicherung ihrer selbst empfangen hätte. Weil sie uns liebt und es liebt, zu spielen und sie neugierig darauf ist, was wir als nächstes tun werden.

Also nicht „Loslassen“! Man muss schon mittendrin sein – in der Welt.

Herzliche Grüße

Andreas

Antwort: Lieber Andreas,

danke für deinen sehr lesenswerten Brief! Ich habe ihm nichts hinzuzufügen außer vielleicht einer kleinen Bemerkung, nämlich der, daß ich die Erfahrung gemacht habe, daß ein transzendiertes Ego nicht verschwindet, sondern "bloß" durchsichtig (transzendent) wird. Hegel nannte das transzendierte Ego "aufgehoben" im dreifachen Sinn: aufgehoben im Sinne von verschwunden, aufgehoben im Sinne von erhalten und bewahrt, aufgehoben im Sinne von höhergestellt. Das alte Ego ist weg, wenn es sich höher- oder weiterentwickelt , und es ist, wenn es die Zeit internalisiert hat, ewig.


12.8.2003: Hi Hans Joachim

ich habe mal eine Frage an dich. Da das Bewusstsein für mich ein raum- und zeitloses Bewusstsein ist, also davon unabhängig, frage ich mich, wie diese Idee trotzdem logisch mit einer Entwicklung des Bewusstseins zu verstehen ist. Denn wenn Bewusstsein von Zeit unabhängig ist, wie kann es sich dann ändern oder entwickeln, denn eigenlich müsste es doch dann zu jeder Zeit jeden beliebigen Zustand an jedem beliebigen Ort annehmen können. Warum gibt es für dich Abstufungen der Seele und des Bewusstseins: der eine ist sich mehr bewusst als der andere. Dies ist doch dann eigentlich nur von Ego zu Ego so. Nur das Ego könnte sich entwickeln, da das Bewusstsein ja als raum- und zeitloses Bewusstsein, schon alle Geschehnisse ect. potentiell in sich birgt und somit keiner Entwicklung mehr unterworfen sein kann. Ich würde mich über deine Antwort sehr freuen

Martin

Antwort: Lieber Martin,

meine Philosophie ist die einzige, die ich kenne (das sage ich in aller Bescheidenheit), die erklärt, wie es möglich ist, daß etwas (zB Bewußtsein) nicht der Zeit unterworfen sei und sich trotzdem entwickeln könne. Wenn Geist eine vernetzte Struktur ist, in welcher Prozesse ablaufen, so gibt es zyklische Prozesse, ähnlich von Stromkreisen bei elektrischen Schaltungen, zB Komputern: Wenn ich etwas kausal bewirke, und dieses Etwas wirkt wiederum auf mich, ist ein Kreis geschlossen. Wenn das "Etwas" in der Gegenwart existiert, ist die Ursache dieses "Etwas", ich nämlich, Vergangenheit. Wenn nun dieses gegenwärtige Etwas auf meine Vergangenheit ("ich") wirkt, wird das Vergangene verändert * und ich werde als Ganzes in die Gegenwart gehoben. Wenn alles von mir auf diese Weise in die Gegenwart gehoben ist, lebe ich in der (ewigen) Allgegenwart, und dann bin ich unsterblich. Der Zeitpfeil existiert nicht, wenn ich in der Allgegenwart lebe. Ergo bin ich dann zeitlos und entwickele mich trotzdem gegenwärtig. Mit anderen Worten: Wenn man den Zeitpfeil zu einem Kreis biegt, ist er kein Pfeil mehr. Mein Bewußtsein lebt zeitlos im Gebrodel der Allgegenwart und sondert Zeitpfeile ab samt Ego mit Vergangenheit (allerdings nicht Zukunft; das sind bloß meine "Pläne"). Das Ego (= empirisches, zeitliches "Ich") entwickelt sich am Zeitpfeil entlang. Das Ego ist das, was sich in der Zeit entwickelt. Das Bewußtsein, da ohne Ort (es stellt Örtlichkeit ja erst her), ist an jedem beliebigen Ort: immer dort "vorhanden", wo dein Körper ist. Obwohl dein Bewußtsein keinen Ort hat, verlierst du es nicht, wenn du körperlich mit deinem Ego verreist. Das Bewußtsein enthält seine Geschehnisse nicht potentiell in sich; die Geschehnisse sind nicht da (im Sinne von "präexistent" und werden nur noch realisiert), nein: sie werden erst geschaffen, indem das Ich sie sich vorstellt.

Ergänzung: Die eingangs erwähnte Struktur, in der allen Prozesse ablaufen und diesen also zugrundeliegt, ist nicht unveränderlich. Die Prozesse wirken auf die Struktur zurück. Wäre es nicht so, wären alle Prozesse Epiphänomene. Ich schrieb im tb20.html0726 über die Konsequenzen des Epiphänomenalismus. Das Netz (Zeitnetz.html) webt sich selbst. Das hat weitreichende Konsequenzen für den Realitätsstatus aller Dinge der Welt. Darüber mehr nur in persönlichem Austausch.

* Wenn du das Vergangene als existent auffaßt und den veränderten Zustand als existent, entsteht aus dem Unterschied Beider die sog. Existenz des Zeitpfeils (die physikalische Zeit, die Sterblichkeit). Wenn du erkennst, daß Vergangenes nicht existiert, erkennst du, daß alles, was existiert, Gegenwart ist, und nichts aus der Gegenwart wird Vergangenheit, sondern es hört auf zu existieren, indem es verändert wird. Wer auf diese Weise "aufhört, zu existieren", stirbt nicht, sondern verändert sich bloß. Wenn du das, was ich hier schrieb, wirklich glaubst, wird es für dich real. "Der Glaube kann Berge versetzen!" sagte Jesus.

Ich habe hier zwar alles geschrieben, was man wissen muß, aber um das, was ich schrieb, wirklich in aller Tiefe - bis es wirkt - zu verstehen, braucht es mindestens dieselbe Zeit, die ich brauchte, um es zu verstehen: Jahrzehnte. Nur weil ich mein Wissen geordneter, als ich es mir erarbeiten mußte, weitergebe, kann die Lehrzeit des Schülers verkürzt werden, sodaß er in die Lage versetzt wird, weiter als ich zu kommen und die Menschheit insgesamt weiterzubringen. Aus dieser "Beschleunigung" beziehe ich die Berechtigung meiner "Schule für Lebenskunst" - aber das nur am Rande.

Hallo Hans Joachim
danke für die gute Erklärung. Ich glaube sie verstanden zu haben. Allerdings ist das Bewusstsein dann nur insofern zeitlos, als dass es kein Anfang und kein Ende besitzt. Die Größe des Bewusstseins innerhalb der Allgegenwart zeigt sich dann in der Kraft der Projektion seiner selbst (in welcher Wirklichkeit) es lebt und in der Intensität der Erkenntnis des Bewusstseinsdaseins.Es gibt also immer nur den Zustand der Gegenwart, der sich zu jedem beliebigen Zustand verändern kann, auch zu den Zuständen, die es in Vergangenheit und Zukunft geben wird und schon gegeben hat. Vergangenheit ist nur eine Zurückrechnung, Zukunf nur eine Vorausrechnung.

Martin

Hallo Martin,

ich stimme in allem außer dem zweitletzten Satz zu. Ich glaube nämlich NICHT, daß das allgegenwärtige Bewußtsein sich (beliebig) in einen vergangenen Zustand versetzen kann, WEIL eben diese Vergangenheit nur eine Projektion (Erinnerung) ist. Die Erinnerung kann nicht identisch mit dem tatsächlichen vergangenen Zustand sein; sie ist viel, viel blasser. Soweit der Stand meiner Erkenntnis.

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