Kritik 3
Lothar Reschke schreibt am 27.7.2002 in http://www.reschke.de/motive/m_020716.htm folgendes, das ich als Reaktion auf mein "Tagebuch 6" v. 19.7., "Paranormal" vom 17.7. und "Sponsoren & Mäzene" vom 20.7.2002 auffasse.
(Den ersten Teil dieser Arbeit von L.R. beziehe ich nicht auf mich. Deshalb verzichte ich darauf, ihn zu zitieren.)
"...Ich fragte mich, was das mit mir zu tun haben könnte. Es hat sicher mit dem Thema, mit der Sache selbst zu tun, und deshalb lohnt es sich, dies näher zu untersuchen. Ich empfinde es als aufkeimendes Interesse, mich in einem ganz bestimmten Gebiet zu engagieren. Es geht nicht einfach nur um Architektur einfach weil aus mir kein Architekt werden wird. Es geht um eine bestimmte Ausdruckssprache, um Manifestation von Kraft oder von Kräften.
In TB 6 hatte ich geschrieben, daß ich diese Kraft "Überzeugungskraft" nenne. Hier Lothars Stellungnahme:
Und dazu ist zuerst zu sagen, daß Kraft für mich in keinster Weise mehr das ist, was es früher war. Früher war es Ausdruck des Ich, Ausdruck ichhaften Wollens, Ausdruck von Machtwünschen. Das Ich empfindet Spannung, weil es im Gegensatz zum Ganzen steht, und diesen Gegensatz erfährt es als Kraft ich würde es inzwischen eher Druck nennen. Dieser Druck nimmt bestimmte Formen an und versucht sich in gewollten Wirkungen auszuagieren. Der Betreffende empfindet das aber als ureigenste Freiheit, als Ausdruck seines wahren Wesens. Es ist zugleich das, was sich immer an der Tatsache des Todes reibt, reiben muß, denn der Tod ist die Antithese. Entsprechend wird die eine wichtige Alternative zum Tod aufgebaut, man kann auch sagen konstruiert und projiziert: die sogenannte Kreativität.
Mein Kommentar: Auch ich sehe diese von Lothar beschriebene Kraft nicht als ichhaftes Wollen eines Ich, das im Gegensatz zum Ganzen steht. Vielmehr sehe ich mein Ich und meinen Leib als Produkt bzw. Selbstmodell "meiner" Seele, die "-mich" und materiellen Leib und Umwelt kreiert hat als Vorstellung, bzw. Theorie ihrer selbst in ihrem Bezug zu einer vermuteten umfassenden Weltseele.
In "Kritik 1" schrieb ich das gleiche mit anderen Worten: "Also unterstellt Reschke hier auch mir, ich würde mich als eine im Körper befindliche Person, ein handelndes Ich, verstehen. Das ist so nicht richtig. Ich verstehe mich nicht als gegebene leibliche Person, sondern als Seele, die sich einen Körper nach Plausibilitätserwägungen über das Wesen der Wirklichkeit als dreidimensionale Erscheinung "erträumt". Ich bin nicht eine gegebene Ich-Person, sondern ein verkörperter Mythos, eine materiell vor- und dargestellte Theorie meiner Seele von sich selbst unter der Rahmenbedingung von Raum und Zeit. Ich bin die stimmigste, beste, plausibelste Theorie, die meine Seele von sich selber im Rahmen ihrer Theorie einer postulierten Außenwelt hat."
Ich vermute, Lothar mißversteht folgendes: Er glaubt, ich glaube, ich verstehe mich als ein von der Umwelt isoliertes Ich, daß sich als Ursprung von ichgewollten Handlungen deutet, daß sich also als ein Ich sieht, daß glaubt, Macht ausüben, Mythen oder sonst etwas kreieren zu können. Das ist falsch. Ich sehe die Seele als Ursprung von Handlungen und Kreationen und Macht. Das Ich ist selber Kreation. Es scheint bloß Urprung von Taten zu sein, weil die Seele als realer Ursprung sich als Ich in materieller Umwelt abbildet. Die Abbildung soll die realen Verhältnisse möglichst stimmig widergeben. Daher die Parallelität zwischen Erscheinungswelt und vermuteter seelischer Realität.
In meinem Szenario herrscht nicht das Ich, sondern die Seele. Das Ich ist passive Illusion. Die Seele erlebt in ihm (durch es) die Erscheinungen ihrer Schöpfungen. Die aktive Seele schafft sich ein passives, aktiv scheinendes Ich, weil das Ich ihre eigene Aktivität abbilden oder darstellen soll.
Dem Tod verfallen ist bloß die Illusion "Ich", nicht die ewige Seele, die Raum, Zeit, Materie und Tod erschafft.
Ich nenne es jedoch sogenannte Kreativität, weil es in Wirklichkeit das zwanghafte Sich-konstituieren-Wollen des Ich ist, und das ist im Grunde das Gegenteil echter Kreativität, welche wiederum im Einklang mit dem Ganzen steht und sich natürlich und harmonisch ergibt. Die gewollte, künstlich fabrizierte Kreativität erinnert mich an das, was die Rüden tun, wenn sie an allen Ecken und Vorsprüngen hinpinkeln müssen, um ihre Duftmarken zu hinterlassen. So will auch das (fiktive) Ich seine Duftmarken hinterlassen und der Welt seinen Stempel aufdrücken, und das ist eine ziemlich peinliche und jämmerliche Sache, nämlich ein Ausdruck von Schwäche, von Eitelkeit, von Kleinheit. Das jämmerliche, kleine Ich möchte es mit dem Universum aufnehmen, bestes Beispiel: die Politiker, speziell die Tyrannen vom Schlage eines Napoleon oder Hitler (mir würden aber leicht noch weitere, neuere Namen einfallen). Auch Künstler, auch Philosophen folgen diesem Markierungszwang übrigens sind es praktisch ausschließlich Männer, und das wird nie genug reflektiert, ja nicht einmal erwähnt, weil es wiederum so entlarvend wäre. (Überflüssig zu erwähnen, daß alle diese Figuren gar nicht anders können als so zu handeln eben weil es Notdurft ist.)
So handelt die Seele, die sich selbst mit ihrer Kreation, dem Ich, verwechselt, weil sie sich selbst als Kreator vergessen hat. Dann ist sie Empirikerin, glaubt, was sie sieht und unterwirft sich den Illusinen und Erscheinungen, die sie unbekannterweise selber hervorgerufen hat. Als Empirikerin verliert sie ihre Schöpferkraft und macht sich zur Schöpfung, zum naturgesetz-unterworfenen Funktionär, zum Roboter-Zombie und Sklaven.
So etwas war für mich also, genau für fast jeden anderen, Kraft gewesen: ein Druck, eine Zwanghaftigkeit, dahinter eine tiefe Flucht vor der Einsicht in die eigene Nichtigkeit und Leere der Person. Das Wort Kraft hört sich immer ganz imposant an, und gerade Castaneda spielte in jeder Hinsicht mit dieser Wortbedeutung. Das ist, wo G. hängen geblieben ist. Und das Schlimme, was sich jetzt zeigt, ist, wie der Zusammenbruch passiert. Man könnte sagen. Endlich! Aber es zerreißt mir das Herz, es mit ansehen zu müssen. Mir ist es übrigens in meiner Castaneda-Phase oft so gegangen. Da hatte ich immer wieder solche Anläufe zu mehr Kraft, mehr Selbstkontrolle, mehr Wille usw. unternommen, und danach kam immer ein Niedergang und eine Depression. Ich war dann sogar schon, durch viele solche Erfahrungen, zu dem Merkspruch gelangt: Immer wenn es um Kraft geht, erlebe ich letztlich Kraft-Losigkeit. Da zeigt sich die Komplementarität des Lebens auf sehr exemplarische und eigentlich auch schöne, lehrhafte Weise. Jede Sache bringt immer auch ihr Gegenteil mit sich das ist das Leben. Wo es auf der einen Seite hochgeht, da muß es auf einer anderen Seite hinuntergehen. An diesen Gesetzmäßigkeiten kommt keiner vorbei. Wo Geburt ist, ist Tod, wo Schönheit ist, ist Häßlichkeit, wo Stärke ist, ist Schwäche.
Die grün eingefärbten Sätze beziehe ich nicht auf mich. Die polaren Gegensätze Hoch/Runter, Geburt/Tod, Schönheit/Häßlichkeit, Stärke/Schwäche zeigen an, das jene illusionäre Erscheinungswelt der Relationen (im Gegensatz zum Absoluten, Autonomen der Seelenwelt) gemeint ist. Empirisch erlebte Kraft ist selbstverständlich gepaart mit Schwäche! Aber das ist nicht die Kraft, von der ich sprach!
Es gibt jetzt für mich eine andere Kraft, sonst würde ich mich nicht mehr mit Architektur oder ähnlichen Dingen beschäftigen. Diese Kraft hat überhaupt nichts mit dem oben erläuterten Zusammenhang zu tun da ist nämlich gar kein Zusammenhang, kein Bezug, keine Motivation, kein Druck, kein Wunsch oder dergleichen. Da ist nur Ruhe. Den Satz In der Ruhe liegt die Kraft muß ich genau herumdrehen, damit er beschreibt, was ich als Wahrheit empfinde: In der Kraft liegt die Ruhe. In dieser ganz anderen Art von Kraft. Denn diese Kraft ist kein Antagonismus, kein Austragen von Energien, kein gewolltes Streben nach Veränderungen und schon gar kein Wünschen eines Ich, sondern sie ist Ruhe. Sie ist eine Form von Ruhe Ruhe ist ihre tiefere Substanz. Genau wie der Ozean in seinem eigentlichen Wesen Ruhe ist, und nicht nur so eine nette, kleine, vorübergehende Interims-Ruhe, sondern ein umfassendes, gewaltiges Sein aus Ruhe, bis tief in alle Abgründe hinein wo Wellen und manchmal auch Stürme eben nur minimale äußere Kräuselungen sind, die am Wesen dieser Wassermasse nicht im geringsten etwas ändern. Kein Ozean verläßt jemals seinen Platz, und das ist, was ich meine. Ein Mensch, der unter Druck steht, kennt diese Ruhe nicht, sondern befindet sich ob wissentlich oder nicht auf der Suche nach ihr. Er sucht Frieden. Aber der Ozean ist Frieden, daher braucht er ihn nicht zu suchen. Der Ozean ist selbst dann noch Frieden, wenn sich irgendwo an seiner Oberfläche Wellen kräuseln. Man soll nie die Wellen mit dem Ozean verwechseln, sondern täte gut daran, sich zu erinnern, was von wem abstammt.
In "Paranormal schrieb ich drei Tage vor Lothar: "Die Überzeugungskraft wirkt unmittelbar gestaltend auf alles, was mir wichtig ist, bisher mit positivem Resultat für alle Beteiligten. Die Glückseligkeit ist das vollständige Erkennen einer umgreifenden Harmonie jenseits aller oberflächlichen Dissonanzen. Selbst wenn mich etwas aufregt, schwindet das Glück dahinter nicht, da alles Aufregende zum Glück beiträgt und es erweitert. Es ist wie das Erlebnis, ein ruhendes Meer zu sein, dessen Oberflächenwellen, die durch hereinfließende Ströme entstehen, keine Tiefe erreichen und die Ruhe der Tiefe nie stören." (Man beachte auch die Gedichte "Innen Welt" und "Auf Tauchen".
Die Ich-Kraft muß kapitulieren.
Ja, sie darf nicht herrschen und der Empirie verfallen, sondern soll ihr Geschaffensein anerkennen und damit der Schöpferkraft der Seele gestatten, wieder Herrschaft anzutreten. Nein, das Ich soll nicht verschwinden, denn es ist Traum, Ausdruck, Vorstellung, Schöpfung der Seele. Es hieße, die Seele - sich selbst - mißzuverstehen, nicht mehr kreativ sein zu wollen, denn die Seele kreiert durch das Ich.
Aber wie schlimm da noch vorher gekämpft wird! Und die Menschen brechen, sie brechen tatsächlich, sie krepieren jämmerlich, und da ist nichts von Einsicht. Es ist eine einzige Quälerei. Sie lassen erst los, wenn ihnen mit Gewalt die Finger von ihrem Rettungsring (dem Ich, dem Verstand) gerissen werden und sie in die Tiefe stürzen und dort schreiend und wimmernd zerschmettern, mitsamt des Körpers. Der Körper wird immer mit geopfert der Körper muß dran glauben, so groß ist die Gewalttätigkeit sich selbst gegenüber. Sie opfern alles: ihren Körper, ihre Gesundheit, ihr Leben. Weil das Ich immer das oberste Prinzip darstellt, dem der Rest radikal untergeordnet wird.
Im Fall von G. bin ich sehr betroffen und es geht mir nahe. Während ich dies hinschreibe, merke ich, daß ich mich dafür nicht kritisieren sollte (und daß ich hier nicht den Fehler bei mir suchen sollte), sondern daß ich mich wertschätzen kann und wertschätzen sollte für diese Betroffenheit. Es ist, wie wenn ich selbst da mitsterben müßte, und ich brauche keine Psycho-Analyse und keine schulterklopfenden Ratschläge vermeintlicher Helfer, um diese Sache nicht als Problem zu empfinden, sondern lächelnd, distanziert lächelnd und "positiv" zu bleiben. Ich fühle mit, auch wenn es eine Idiotie ist, bei der ich mitfühle.
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Noch etwas zum Ich und seiner Funktionsweise, denn ich lerne hier (gerade an diesem Fall) viel. Das Ich lann nur das Ich sehen und in Ich-Kategorien denken. Es kann nur das Ich-Wollen wahrnehmen.
... wenn es der Empirie verfällt. Dieser Kommentar gilt auch die beiden nachfolgenden Absätze Lothars.
Hier liegt der Schlüssel für die Magie dessen, was als vermeintlich freies Handeln in Erscheinung tritt, und, noch schlimmer, noch illusionärer, als freier Selbstausdruck. Hier sind die ganzen tieferen Werte der Person versammelt. Und die Person kann aus diesem Bannkreis gar nicht heraus, denn sie nimmt ja nur ihren eigenen Bannkreis wahr und interpretiert alles immer nur in diesem Zusammenhang! Die großen, schönen, ehrfürchtig gehegten und gepflegten Werte des Ich sind gleichzeitig sein Untergang, sein Todesurteil, seine Blindheit. Der Mensch lebt in seinem Bereich, handelt nach seinen Vorstellungen, fühlt nach seinen als echt und herzenswahr empfundenen Wünschen und Bedürfnissen. Da lebt er, da bringt er sich ein, da drückt er sich aus.
Von außen müßte ich diesem Menschen sagen: Genau das, was Du da für so wichtig und großartig und bedeutungsvoll hältst, ist exakt das Gift, das Dich tötet und Deine Seele frißt. Da, wo Du nicht bist, da, wo Deine Wertvorstellungen und guten Wünsche und Bestrebungen nicht hinreichen genau da wartet auf Dich die Rettung. Leute, die religiös sind, ahnen das und werfen sich Gott an den Hals, weil sie den Schritt vollzogen haben, sich selbst als unwürdig und nichtig zu erkennen. Nur daß diesem Ablauf eine konstruierte Vorstellung zugrundeliegt, denn Gott ist eben nur ein selbsterzeugtes Objekt und Hilfsmittel. Aber der zugrundeliegende Zusammenhang ist richtig, und er ist tausendmal richtiger als die selbstbezogene Weltsicht der heutigen, vermeintlich aufgeklärteren Menschen. Denn diese sind komplett im Ich-Käfig gefangen, und sie glauben auch noch daran, als wäre es ihr ein und alles.
Obigem stimme ich im großen Ganzen zu, wenn man von der Position des Empirieverfallenen Ich ausgeht. Untenstehendes interpretiere ich als Reaktion auf meinen "Sponsoren" - Artikel.
Außerhalb des Ich ist alles richtig, so paradox es auch klingt, weil die Welt gar nicht so perfekt erscheint. Aber sie ist perfekt. Was nicht perfekt ist, das ist das Ich, und das ist vor allem dieser unendliche Glaube, diese unendliche Entschlossenheit, daß die eigenen Ich-Vorstellungen wertvoll und zukunftsträchtig wären. Das Ich ist der wahre Sysiphus, das reinste Stehaufmännchen, der ewige Kämpfer härter als Beton und Stahl, unzerstörbarer als Diamant, flexibler und widerstandsfähiger als jedes noch so elastische Material.
Was für ein Fluch! Und welche Gnade, wenn dieser Fluch von einem genommen wird, denn sich selbst fortnehmen und aufopfern kann ihn keiner. Da kann man wirklich nur beten und flehen.
In der Ich-Welt ist ebenfalls alles richtig, wenn man sie als "die stimmigste, beste, plausibelste Theorie, die meine Seele von sich selber im Rahmen ihrer Theorie einer postulierten Außenwelt hat", (s. ganz oben) betrachtet. Erkennt man die Ich-Welt als das, was sie ist, ist alles richtg.
Beachten Sie bitte auch meine "Anmerkungen zu >Kritik 3< in "Tagebuch 6"