Webtagebuch 2

 

Die Konjunktur des Tötens
Nicht sein Stil
Des Teufels stumpfe Hörner
Darwins kluge Erben II
Das Beste kommt noch
Die neuen Helden
Tötungsarbeit
Sparsam geht das Land zugrunde

Die Konjunktur des Tötens

von Hanjoheyer @ 2005-10-13 - 11:16:22
In der Diskussion um die Todesstrafe heißt es:

"Damals hatten sich die Eliten unter dem Einfluß von moderner Psychologie und Erbforschung von der Todesstrafe abgewandt. Diese Wissenschaften schienen traditionelle Annahmen über den freien Willen des Einzelnen, also auch die individuelle Schuldfähigkeit, zu untergraben. Viele einzelstaatliche Parlamente schafften die Todesstrae ganz oder weitgehend ab; ..."

Was man damals dachte, wird heute immer noch gedacht. Selbst modernste Forschungsrgebnisse scheinen dieses Denken zu stützen. Vorgestern schickte mir ein Leser folgenden aktuellen Link:

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21074/1.html

Dort heißt es:

"Nicht der Mensch mordet, sondern sein Gehirn
Fabian Kröger 10.10.2005

Die Hirnforschung provoziert den Rechtsstaat
Nicht der Mensch mordet, sondern sein Gehirn. Das behaupten seit einiger Zeit führende deutsche Neurowissenschaftler. Unser freier Wille sei in Wirklichkeit nur eine Illusion, die uns unser Gehirn vorspielt, sagt Gerhard Roth, Direktor des Instituts für Hirnforschung an der Universität Bremen. Schon vor unserem subjektiven Entschluss, etwas zu tun, habe das Hirn sich bereits dafür entschieden. Deshalb könne bei Verbrechen nicht mehr einfach von Schuld gesprochen werden.

Ein Mörder habe sich zum Mord entschieden, "weil er mit einem Gehirn ausgestattet ist, das in diesem Moment so entscheiden konnte und nicht anders", meint auch sein Forscherkollege Wolf Singer, Direktor am Max Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Die Hirnforscher fordern deshalb eine Änderung des Strafrechts: Da unser Verhalten nicht von selbstbestimmten Entscheidungen, sondern vom limbischen System abhänge, "muss im Strafrecht das Prinzip der moralischen Schuld aufgegeben werden", fordert Roth in einem Beitrag für die Zeitschrift Information Philosophie. Wer von Genen und Neuronen gesteuert werde, sei nicht schuldfähig. ..."

Mein Kommentar: Alles totaler Quatsch!

Begründung: Wenn der Mensch keinen freien Willen hat, kann er sich aufgrund irgendwelcher neuer Forschungsergebnisse nicht entscheiden, anders zu handeln, als bisher, zB die Todesstrafe aufzuheben. Nicht nur der Mörder wäre dann unfrei und unverantwortlich, sondern auch der Neurowissenschaftler!

Sollten die Neurowissenschaftler, zB Gerhard Roth oder Wolf Singer recht haben, dann MUSSTE der Mensch früher die Illusion der Willensfreiheit haben und heute MUSS er die Illusion haben, keine Illusion bezüglich der Willensfreiheit zu haben. Beidemale ist der Mensch zu seinen Handlungen gezwungen (und unwirksame epiphänomenale Illusionen darüber zu haben): früher zur Annahme seiner Verantwortung, heute zur Annahme seiner Nichtverantwortung.

Wenn nun der Neurowissenschaftler glaubt, aufgrund neuer Erkenntnisse von der Willensunfreiheit anders entscheiden zu müssen, als bisher, begibt er sich in ein Paradox, denn genau dieses Andersentscheiden setzt Willensfreiheit voraus!

Nochmal: Wer aufgrund der Erkenntnis, es gebe keine Willensfreiheit, glaubt, anders handeln zu müssen, als unter der alten Prämisse (der Existenz der Willensfreiheit), geht von der Existenz der Willensfreiheit aus, obwohl er Gegenteiliges behauptet.

Dieses Paradox kann nur gelöst werden, indem man die Willensunfreiheit als Illusion, die Willensfreiheit als Existent und die Natur als Nichtparadox ansieht.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie derart intelligente Philosophen derart dumme Theorien aufstellen (und MEINE Philosophie* als unseriös bezeichnen) können. Das kann m.E. nur politische/wirtschaftliche Gründe haben. Man will den unfreien willenlosen Arbeiterzombie, den Homo Ökonomikus, züchten. Und die dazu gehörigen Bewußtseinsinhalte werden von unseren Neurowissenschaftlern zur Verfügung gestellt.

Menschen mit freiem Willen haben sich entschieden, die Nichtexistenz der Willensfreiheit zu lehren, auf daß der Mensch willenlos und rational wie eine Maschine denke und handele. So löst sich das Paradox in Wohlgefallen auf!

Und wer diese Desinformation nicht glaubt, nun, der schaue im "Gesetz der Macht" (s.u.) nach, und er kann dort nachlesen, was dann mit ihm geschieht: Er wird bestochen! Gegen ein entsprechend hohes Honorar und öffentlicher Anerkennung als Professor ist man gern bereit, ein bißchen zu flunkern.

Mein Soziologieprofessor sagte (trotzdem!!) in meinem 1. Semester, 1. Vorlesungsstunde: "Wer sich nicht zerreißen läßt, wird keinen beruflichen Erfolg haben!" Ein Psychologieprofessor sagte im 1. Semester, 1. Vorlesung (trotzdem!!): "Wer glaubt, sich selbst therapieren zu können, wenn er Psychologie studiert hat, irrt sich!"

Ich hätte die Vorlesungen am liebsten sofort verlassen, aber nach kurzem Nachenken, ENTSCHIED ich mich, zu bleiben, aber keinerlei Prüfungen abzulegen. Von da an interessierte ich mich auschließlich für die Methode der Manipultion des Bewußtseins der Studenten. Mein Studienfach lautete ab sofort: Bewußtseinsdesign oder das "Gesetz der Macht" (s.u.).

PS: KEIN Student verließ die Vorlesungen...

* siehe meine Arbeiten zur Willensfreiheit in www.hanjoheyer.de/Philosophie.html

Nicht sein Stil

von Hanjoheyer @ 2005-10-17 - 12:32:16
http://www.zeit.de/2005/42/Graf_Goltz

Hans Graf von der Goltz ... ist 79, groß gewachsen. ... Fünfzig Jahre hat er die Wirtschaft der Bundesrepublik mitbestimmt, mitgeprägt. Er war Vorstandsvorsitzender des Pharmaziekonzerns Altana, für BMW und Dresdner Bank saß er im Aufsichtsrat. Er kannte sie alle: die Manager, die Minister, die Konzernchefs. Mehr als zehn Jahre war er engster Vertrauter des Großindustriellen Herbert Quandt, später sein Testamentsvollstrecker. ... Seit 1997 ist er im Ruhestand. Nun beobachtet er den grausamen Niedergang des Ansehens von Unternehmern aus der Ferne: feindliche Übernahmen, Mannesmann-Prozess, VW-Affäre, Massenentlassungen bei Mercedes. Heuschrecken! Was denkt einer wie er über die heutigen Wirtschaftslenker?

Goltz schreibt Romane über die Wirtschaft im »Zeitalter der Gier«

... Goltz sagt: »Dieser Neoliberalismus ist eine Pest.« Dabei drückt er den Rücken in die Höhe, er bleibt freundlich, nur seine Stimme hebt sich ein wenig. »Die neue Religion heißt: Geld, Geld, Geld – wachsen bis zum Platzen«, schiebt er nach. Es bestehe keine Bindung mehr zum Unternehmen, wenn von oben die Loyalität aufgekündigt werde. »Wenn ein Betrieb früher in Schwierigkeiten geriet, kam als Erster der Eigentümer dafür auf und als Letzter der Arbeitnehmer. Heute ist es umgekehrt.« Shareholder-Value, er schleudert die Worte hinaus, als wolle er sie von seinen Lippen vertreiben. »Dieses verdammte Share…Holder…Value.« Alles konzentriere sich nur noch darauf.

... Bis in die neunziger Jahre hinein saß Goltz im Aufsichtsrat der Dresdner Bank, dort warnte er vor dem Aufkauf von Investmentbanken: »Ihr kauft da 20 Leute für Milliarden«, sagte er zu den anderen. »Die gehen weg, und dann bleiben euch teure Schreibtische.« Die Antwort: »Sie haben doch keine Ahnung.«

Kommentar: Hier prallen Welten aufeinander: die Welt des alten verantwortungsbewußten Geld- und Blutadels, in der der Mensch noch zählt, besonders die "feinen Familen-Netzwerke, gut gepflegte Verbindungen über Jahrhunderte hinweg, die sich durchs ganze Land ziehen" und die Welt der entwurzelten, seelenlosen Zombies, die vergessen haben, daß sie Menschen sind. Wahrscheinlich folgen Zweitere hörig ihren Komputer-Wirtschaftsmodellen. Sie haben in ihre Simulationen den Faktor Mensch ausschließlich als Arbeitskraft programmiert und wundern sich nun (nicht), daß der Mensch im System "Wirtschaft" neben den Maschinen fast nur noch als Störfaktor existiert.

Was die Manager alten Typs zumindst noch ahnten, ist der jüngeren Generation fast völlig abhanden gekommen. Jene ist verbildet durch die "moderne" Schule einer zufällig ablaufenden Evolution*, bei der der Mensch ein Tier ist, das sich durch nichts vom Tier unterscheidet, auch nicht durch Willensfreiheit, Selbstbewußtheit oder andere "transzendentale" Eigenschaften. Der Mensch als Mensch wurde zur Illusion erklärt.

Wir sollen Tiere sein, sie sich bewußtlos des "rational choice" bedienen. Was Philosophen mitunter noch über die Managergeneration von heute wissen, ist den Managern selbst - in Anwendung der Lehre auf sich selbst - nicht bewußt. Aus diesem Grund sind sie Getriebene unverstandener "Sachzwänge".

* Das System "zufällige Mutation" und "Auslese" nach mechanischen Auswahlkriterien macht vergessen, daß in jedem Auswahlkriterium, sei es auch noch so mechanisch beschrieben, ein (notwendig freier) Wille verborgen liegt. Die Evolutionstheorie entpuppt sich als Verschleierung des Willens, als Verschleierung des Geistes, bzw. intelligenten Designers hinter der Erscheinungswelt.

Propagandisten eines zB von den Genen determinierten Willens (s. die Kommentare von Kowalski in den Diskussionen der vorangegangenen ZEIT.blog-Artikel) mögen zwar Konjunktur haben; sie irren trotzdem, wie jene, die an hölzernes Eisen glauben.

Des Teufels stumpfe Hörner

von Hanjoheyer @ 2005-10-18 - 13:40:22
http://www.zeit.de/2005/42/Botho-Strau_a7-UA?page=all

Die Weltgeschichte als Höllenküche: Luc Bondy inszeniert »Schändung« von Botho Strauß in Paris

Von Peter Kümmel

... In seinem mit einem gewaltigen Unheilszeigefinger fuchtelnden Essay Anschwellender Bocksgesang hat Botho Strauß einst der Masse böse Namen gegeben. Die Demokratie: ein »politisch-technischer Selbstüberwachungsverein«. Unsere Welt: »Totalherrschaft der Gegenwart, die dem Individuum jede Anwesenheit von unaufgeklärter Vergangenheit, von geschichtlichem Gewordensein, von mythischer Zeit rauben und ausmerzen will.« Unser Verhängnis: »keinen Sinn mehr für das Verhängnis zu besitzen, unfähig zu sein, Formen des Tragischen zu verstehen«. Wir selbst: die »verwüstet Vergeßlichen«, tumbe Resultate der »kulturellen Gesamtveranstaltung Jugendlichkeit«. Zum Zwecke der Tiefenerinnerung hat Botho Strauß nun den Titus Andronicus, ein Frühwerk Shakespeares, in seine Dienste genommen. Er nennt’s Übermalung. In Schändung will er zweierlei zeigen: den blutigen Urgrund der Menschheit und die mürben Gerüste aus Geschwätz und Verdrängung, die wir darüber errichtet haben.

... Der Wahnsinn verschont uns nur, weil in uns kein Sinn mehr zu verwirren ist.«

... »In mir, Titus, fallen alle Messgeräte aus, wenn niemand sich an feste Regeln hält. Es macht mich wild.«

... »Das Übeltun verlor im Lichte neueren Verstehens sein düsteres Ansehen. Verstehen und Verständnis entdecken im gemeinsten Schurken die erbarmungswürdige Seele. Verstehen und Verständnis schleifen sogar des Teufels Hörner stumpf.«

Der Teufel krepiert in der Hölle der Sozialarbeiter und Allesversteher. Hier spricht schon nicht mehr Shakespeares Aaron, sondern Botho-Aaron. Der hatte es im Bocksgesang so gesagt: »Die Schande der modernen Welt ist nicht die Fülle ihrer Tragödien, darin unterscheidet sie sich kaum von früheren Welten, sondern allein das unerhörte Moderieren, das unmenschliche Abmäßigen der Tragödien in der Vermittlung.«

... Hier sind lauter Kindserwachsene, die nicht mehr eigene Erfahrungen sprechen lassen, wenn sie spielen, sondern: Auslegung, Zitat, Lerneinheit, Hörensagen.

Kommentar: Gestern schrieb ich über Graf von Goltz, dem Gegentypus des hier von Botho Strauss gezeichneten modernen Menschen. Die Geschichtslosigkeit des modernen Menschen, die Pseudophilosophen wie Bush-Berater Francis Fukujama in Büchern wie "Das Ende der Geschichte" noch fördern und "philosophisch" unterfüttern wollten, führt zur geistigen Erblindung:

Der Geschichtslose ist der Maßstabslose. Er sieht nicht, was er nicht kennt. Und wenn es ihm schlecht geht, weiß er es nicht. Er hat keinen Vergleich. Wie die Kinder, die im Elend aufwachsen und nie Anderes gesehen haben. Menschen ohne Geschichte bleiben Kinder. Sie können ihre Tragödien nicht als solche erkennen, schreibt Strauss ganz richtig. Und was macht der "allesverstehende, hörnerabstumpfende Verstand"? - Er versteht garnichts, wähnt sich aber, alles zu verstehen. Ich habe häufig mit derartigen Verstandesleistungen gewisser Leute zu tun. Ein Verstand, der nur beschreibt, aber sich nie etwas dabei denkt, ist ein seltsames Ding, denn ihm werden alle Wörter hohl und ohne Sinn.

Ich empfehle, diesen und den Goltz - Text zu vergleichen.

Darwins kluge Erben II

von Hanjoheyer @ 2005-10-20 - 11:04:01
Ich habe soeben "Darwins kluge Erben" vom 2.10.05 um einen interessanten Absatz erweitert. Leider läßt sich der Link aus SPIEGELonline nicht korrekt anklicken. Um den Artikel lesen zu können, mußt du den Link markieren, ausschneiden und im Internetzbrowser einfügen:

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,380648,00.html

Hier wird deutlich, wie sich die Naturwissenschaft gegen wissenschaftsfremde Konzepte abschottet. Ich bitte diesen Link innerhalb des hinzugefügten Absatzes meines Blogs vom 2.10. zu öffnen, damit der Zusammenhang diverser Publikationen - mein Lesen zwischen den Zeilen - deutlicher wird.

Kowalski [Besucher]

20.10.05 @ 16:07
Hi Jo,

was ich nicht verstehe, ist dass die meisten Wissenschaftler nicht zu verstehen scheinen, dass Wissenschaft letztlich nichts anderes ist als eine "Kenntnis von Phänomenen". Die Interpretation dieser Phänomene, die die Wissenschaft "kennt", ist grundsätzlich NICHT wissenschaftlich! Deshalb sind die Meinungen des Dalai Lama`s genau so gültig wie die eines Neurologen, ja seine Meinungen sollten sogar von höherer Reife und Güte sein als die des Neurologen; der Neurologe dürfte zwar eine grössere Kenntnisse von Phänomenen haben, aber doch mit hoher Wahrscheinlichkeit eine nur unterdurchschnittliche Fähigkeit besitzen, diese in einen grösseren Sinnzusammenhang zu stellen, wo doch gerade auf diesem Gebiet der Dalai Lama eine Kapazität ist. Solange also der Dalai Lama nicht die Phänomene selbst anzweifelt, gibt es keinen Grund, panikartige Schreie der "Unwissenschaftlichkeit" von sich zu geben! Das zeigt nur wieder einmal mehr, dass die heutigen Wissenschaftler ihre Grenzen nicht kennen!

Beste Grüsse,

Kowalski

Erebos [Mitglied]
21.10.05 @ 09:30

Ich finde, man sieht hier doch sehr gut, dass sich die Wissenschaft ähnlich wie die Kirche im Mittelalter verhält. Der Dalai Lama ist ein "Ketzer", ein "Ungläubiger"(besser gesagt Gläubiger ) und diese dürfen ihre Informationen nicht verbreiten bzw. Anhänger finden....diese Initiative "Against Dalai Lama's Lecture" ist einfach nur lächerlich....traurig, wie es zur Zeit um die wissenschaftliche Gesellschaft steht.

Erebos

Das Beste kommt noch

von Hanjoheyer @ 2005-10-27 - 13:15:13
http://www.zeit.de/2005/43/Koalition?page=all

Warum auch Intellektuelle eine Große Koalition nicht fürchten sollten

Von Thomas Assheuer

Wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass nach einem Sommer der Feindseligkeit, nach einer Kette der Schmähungen, nach Hohn und Spott Angela Merkel zu Franz Müntefering findet und dieser zu ihr? Weil zwei Verlierer zu den Gewinnern zählen wollen? Weil zwei zerbröckelnde Volksparteien aus schierer Not sich aneinander klammern und gemeinsam jene große Mitte besetzen, die ihr zu entgleiten droht?

Wohl kaum. Christ- und Sozialdemokraten haben sich so schnell gefunden, weil sie seit langem in derselben Himmelsrichtung unterwegs sind und nun dort weitermachen können, wo sie als informelle Große Koalition aufgehört haben. Denn sowohl das größte sozialpolitische Projekt der Bundesrepublik, die Peter-Hartz-Reform, ist von ihnen gemeinsam durchgesetzt worden wie die Gesundheits- und beinahe auch die Föderalismusreform. Auf ihrer unsichtbaren Regierungsbank, im Vermittlungsausschuss, hat diese Koalition geprobt, gebrütet – und entschieden. Möglich war dies, weil sich die Großparteien, so der Politikwissenschaftler Franz Walter, programmatisch in einem Maße angenähert hatten, »wie es in der deutschen Parteien- und Parlamentsgeschichte zuvor unbekannt war. Schröder und Merkel redeten diesseits der rhetorisch konfrontativen Wahlkampfzeiten von denselben ›Realitäten‹, zu denen es nach ihrer Überzeugung keine Alternativen mehr gibt.«

Rot und Schwarz trieben bislang ein doppeltes Spiel. Das ist nun vorbei.

Mit bloßem Auge war die informelle Koalition aus Rot und Schwarz freilich nur schwer zu erkennen, denn der pragmatischen Annäherung der Volksparteien nach innen entsprach die polemische Abgrenzung nach außen, der Kampf ums Profil. Die heimlichen Koalitionäre gönnten sich nicht das Schwarze unterm Nagel, weil jeder die Prämie für die gemeinsame Politik für sich kassieren wollte, erst recht im Wahlkampf. In zermürbenden Polarisierungskämpfen simulierten Sozialdemokraten Unvereinbarkeiten, wo vorher keine waren, und CDU/CSU machten Gesetze madig, an deren Zustandekommen sie im Vermittlungsausschuss zuvor entscheidend mitgewirkt hatten. ...

... und nun scheint alles vergessen; Rot und Schwarz reichen sich die Hände, als sei nichts geschehen. ...

... Mit diesem doppelten Spiel wäre Schluss. In Gestalt einer Großen Koalition verließen Christ- und Sozialdemokraten das Verhandlungshinterzimmer, legalisierten ihre Beziehung und sorgten für glasklare Verhältnisse. ...

Es klingt paradox, doch eine Große Koalition ist sogar geeignet, die beschädigte Selbstachtung der Volksvertreter zu stärken.

Mein Kommentar: Assheuer meint also, die Große Koalition mache die verlogene Bühneninszenierung namens Demokratie, bei der "Regierung und Opposition" gespielt wurde, überflüssig. Eine bisher im Verborgenen geführte (weltanschauliche) Ehe könne nun endlich legalisiert und offen gezeigt werden. Und über diese neue Ehrlichkeit sollten wir uns alle freuen; eine echte Opposition könne nun echte Alternativen aufs Tapet bringen: das Beste kommt noch. Wir sollen uns nicht ärgern, daß wir die ganze Zeit belogen worden sind, sondern sollten uns darüber freuen, daß es nun angeblich einen Grund weniger gibt, uns zu belügen. Na denn!

... So zum Beispiel, als Schröder einen Kurswechsel in der Biopolitik durchsetzen und massive Ängste in der Bevölkerung abschleifen wollte. Mit präsidialer Geste erfand er einen Nationalen Ethikrat, dessen Mitglieder handverlesen wurden – obwohl eine parlamentarisch legitimierte Enquete-Kommission zu diesen Fragen längst existierte.

Und dieser Ethikrat hatte nicht die Aufgabe, zu beraten, sondern ein bestelltes Gutachten abzuliefern. Das ist ein eklatanter Mißbrauch des Ansehens von Experten!

... Doch das sind Kleinigkeiten, gemessen an der Droh- und Vollzugsgewalt, mit der international operierende Konzerne die Souveränität des Parlaments unterlaufen. In der schönen neuen Welt des Investoren-Kapitalismus besiegeln nichtgewählte Manager mit einem Federstrich das Schicksal Tausender Arbeitsplätze, während die Macht der gewählten Volksvertreter sich in der Regel darauf beschränkt, Gesetze zu beschließen, die die Unterhaltskosten für das freigesetzte »Humankapital« nach unten drücken. Gegen diese Form politischer Entmachtung ist eine Große Koalition ebenso hilflos wie jede andere Regierung auch. Aber sie wird selbstbewusst genug sein, um auf die ideologische Überhöhung ihrer Politik (»Weniger Sozialstaat ist mehr Freiheit«) zu verzichten; sie wird Abschied nehmen vom neuliberalen Dezisionismus, also von der Phrase, es gebe nur einen Pfad der Anpassung, nur einen Weg der Reform, nur eine Gestalt der Modernisierung. Der akademisch veredelte Ausdruck dafür lautet bekanntlich »Postpolitik« – und damit ist eine Politik gemeint, die dem Bürger weismacht, ihre Maßnahmen seien »ohne Alternative«, und genau diese Wahl müsse der Bürger treffen.

Aha, wir hatten bei der Wahl zwischen SPD/GRÜNE und CDU/CSU/FDP gar keine Wahl, denn alle Parteien (außer der LINKS-Partei) waren auf den Neuliberalismus eingeschworen und darauf, ihn als alternativlos darzustellen. Oder besser noch: Regierung und Opposition sind nicht nur programmatisch auf gleicher Linie, es ist zudem völlig egal, was sie wollen, denn die Politik ist sowieso bereits (selbstverständlich alternativlos) entmachtet und darf nur noch den Erfüllungsgehilfin der despotisch arbeitenden Konzerne spielen, mit anderen Worten: Sie hat bloß noch die Aufgabe, die "freigestellten" Arbeitskräfte möglichst billig zu entsorgen.

Es mag Wunschdenken sein, aber sobald das Trommelfeuer von der angeblichen »Alternativlosigkeit« verstummt ist, kehren Themen ins Parlament zurück, die Rot-Grün aus Gründen des machtpolitischen Selbsterhalts unter den Tisch fallen ließ. Das größte Tabu, bei dem auch die Linke verlegen wird, ist die Legende von der Vollbeschäftigung, die sich angeblich morgen umso sicherer einstellt, je mehr Arbeitsplätze heute schon abgebaut werden. Tatsächlich wird der anstehende Aufschwung die Sockel-Arbeitslosigkeit kaum verringern, denn die Schulweisheit »Mehr Wachstum gleich mehr Arbeitsplätze« ist ein Trost von gestern. In den sechziger Jahren, als die Konturen der postindustriellen Gesellschaft im Morgennebel dunstiger Zukunftstheorien bereits auszumachen waren, hat die Linke dies noch gewusst und die heutige Rationalisierungs-Arbeitslosigkeit kommen sehen.

Hier widerspricht Assheuer sich selbst. Einmal schreibt er von der Entmachtung der Politik, und dann gibt er seinem Wunschtraum Ausdruck, es mögen in der Politk Alternativen zum Neuliberalismus diskutiert werden. Wie Alternativen-Diskussionen heutzutage aussehen, erlebten wir im Umgang der etablierten Parteien mit der Linkspartei. Alle waren sich einig, daß mit der Linkspartei nicht geredet werde.

Unter dem Druck einer übermächtigen Regierung entsteht auch ein heilsamer Druck auf die opponierenden Parteien. Vor allem die partnersuchenden Grünen müssen Farbe bekennen und sagen, was sie mit ihrer Macht und Herrlichkeit künftig anfangen möchten. Dass die Partei, wie Fritz Kuhn meint, eine klare sozialstaatliche Alternative im Angebot hat, ist der Öffentlichkeit so nicht bekannt. Im Übrigen bleibt unvergessen, wie eilfertig grüne Kellner die von den Spitzenköchen Schröder/Merkel garnierten Hartz-IV-Gesetze einst dem Volk servierten. Und als Müntefering zu Recht darüber Klage führte, Fondsgesellschaften fielen wie »Heuschrecken« über nationale Unternehmen her, beeilte sich die Grünen-Spitze, den SPD-Mann zu ermahnen, er solle seine Kapitalismuskritik stecken lassen. Vielleicht könnten ja die Grünen stattdessen einmal die Ersten sein, die ein finanzierbares Grundeinkommens-Modell für die arbeitslose Arbeitsgesellschaft auf die Beine stellt, zudem einen mehrschichtigen, sozialstaatlichen Gerechtigkeitsbegriff, der ohne wuchernde Bürokratie auskommt und die Bürger nicht demütigt.

... Denn eines scheint gewiss: Kommt eine schwarz-rote Reformbedarfsgemeinschaft zustande und ist sie überdies erfolgreich, dann geht die Herrschaft der neuliberalen Weltanschauung ruhmlos ihrem Ende entgegen. Dann wird man sich über jene Zeiten wundern, in denen Heerscharen von Ökonomen und publizistischen Aktionsgemeinschaften keine andere Weisheit in ihrem geistigen Aktenköfferchen trugen als die, man müsse den Staat in eine Agentur für Wirtschaftsförderung umbauen und seine Bürger mit Wertschöpfungspatriotismus (»Du bist Deutschland«) auf Trab halten. Wie immer es ausgeht: Das Beste kommt noch.

Wie das? Welche Kraft soll nun den neuliberalen Kurs in Zweifel stellen? Die Große Koalition der Neuliberalen selbst? Gar der Erfolg der Großen Koalition oder des Neuliberalismusses?? Die folgenlosen Diskussionen innerhalb der Linkspartei? Und was haben die Intellektuellen damit zu tun? Hier formuliert Assheuer sich entweder gar nicht oder (für mich jedenfalls) völlig unverständlich.

Fände tatsächlich eine Diskussion um Alternativen statt, wären beispielsweise folgende Punkte Thema:

1. Machtwechsel von der Politik (Staat) zur Wirtschaft (Konzernkonglomerate). Neoliberalismus zwecks Anhäufung des Machtmittels "Geld" zwecks Aufkauf von Konkurrenzunternehmen. In meiner HP schrieb in "Notiz18":

"4.10.2005- "Schlußlicht" Deutschland:

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56048?PHPSESSID=348g4q6qg3pl36469qd92kvaq7

Große Herausforderungen 29.09.2005
BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) - Die Spitzenunternehmen der deutschen Wirtschaft haben eine Liquiditätsreserve von mehr als 100 Milliarden Euro angesammelt und bereiten nach Stärkung ihrer Eigenkapitalbasis neue Übernahmeoffensiven in konkurrierenden Nationalstaaten vor. Dies ist das Ergebnis einer soeben veröffentlichten Untersuchung deutscher Firmenanalysten. Die Überschüsse wurden vor allem im Exportgeschäft erzielt und belegen die anhaltende deutsche Dominanz in der Europäischen Union, die auf Kosten anderer Volkswirtschaften geht. In einer ergänzenden Studie wird prognostiziert, daß die deutschen Industriestandorte in den kommenden fünf Jahren noch erheblich an Wettbewerbsfähigkeit hinzugewinnen werden, während die europäischen Nachbarn- insbesondere Großbritannien und Italien - Einbußen hinzunehmen haben. Die deutschen Selbsteinschätzungen beenden jahrelange Wehklagen, wonach die nationalen Rahmenbedingungen den Aufschwung der Produktion behindern und stimulierende Gewinnmargen schmälern. Solche Verlautbarungen waren in Paris, aber auch in London, für bare Münze genommen worden und erweisen sich angesichts der jetzt vorliegenden Zahlen als taktische Signale."

Aufgrund dieser Meldung wurde mir klar, wozu die Riesengewinne der Konzerne verwendet werden: Für einen geheimen Wirtschaftskrieg sondergleichen. Ich wüßte nicht, daß das irgendwo öffentlich diskutiert wurde!

2. Da uns die Technik unsere Arbeit erleichtern soll, ist es logisch, daß im Technischen Zeitalter dem Menschen die Arbeit ausgeht. Ergo muß Arbeit und Einkommen entkoppelt werden: Bürgergeld für jeden! Bei den Reichen sind beide ja schon entkoppelt: Bill Gates kann gar nicht so viel arbeiten, wie sein Einkommen suggeriert.

3. Abbau der Staatsverschuldung ist möglich, wenn anerkannt wird, daß Staatsschulden ungerechtfertigte Gewinne der Konzerne sind. Ergo müssen die Konzerne für die Staatsschulden via Vermögenssteuern aufkommen.

4. Abbau und Abschaffung der Zinsen, da sie ein Fehler des kapitalistischen Systems sind. Nur bei Realisation von 4. kann 3. gelingen.

5. Bewußte Erhaltung der ethischen Komponente im Wirtschaftssystem. Der Neuliberalismus ist ohne Ethik instabil und schlittert notwendig in den Untergang (Stichwort "Wirtschaftsimplosion": Ausgliederung der Armen, Rückgang der Produktion, weitere Ausgliederungen bis zum biteren Ende).
Die ethische Komponente muß dafür sorgen, daß das Geld von oben nach unten (via Steuern) umverteilt wird (Bürgergeld!), da sich ohne diese Umverteilung das Geld unter einer einzigen Adresse ansammelt, wo es dann endlich seine Kaufkraft verliert (Implosion).
Die ethische Komponente der Ökonomie ist nötig aufgrund der unumstößlichen Tatsache, einst von Einstein formuliert, daß geschlossene Systeme nichts mit der Realität zu haben und offene Systeme Anomalien (Fehler, Widersprüche) enthalten müssen. Die (metaphysische) Ethik "repariert" den Fehler des offenen (physischen) ökonomischen Systems.

6. Strafzölle gegen Ausbeuter: Wir können nicht gegen menschenrechtswidrige Ausbeuterkonzerne zB in China, wo zum Teil für 35 Cent Stundenlohn produziert wird, konkurrieren. Also muß ein Strafzoll her. Ohne Strafzölle gegen Ausbeuter geht unsere Kultur unter.

Die neuen Helden

von Hanjoheyer @ 2005-11-02 - 11:45:40
http://www.zeit.de/2005/44/Sammler?page=all
Kunst

Die neuen Helden

Auf der Art Cologne werden die Sammler mehr verehrt als die Künstler. Warum? Sie haben das Geld

Von Wolfgang Ullrich

Sammler sind die neuen Stars des Kunstbetriebs. In Sonderserien, in Home-Storys und Interviews werden sie gefeiert. Und so wie einst den Malern und Bildhauern attestiert man nun ihnen »ungebremste Experimentierfreudigkeit«, »Mut« und »Intuition«, sie seien der Zeit voraus, kurzum die wahre Avantgarde.

Selbst junge Sammler werden nun groß gewürdigt, Rik Reinking etwa, ein Sammler aus Hamburg, der in dieser Woche von der Art Cologne besonders geehrt wird. Er habe »sein Taschengeld nicht in Bier und Mädchen, sondern in Fluxus und Informel« investiert, war über ihn zu lesen. Ganz ähnlich wird auch über andere Sammler geschrieben: Sie seien schon früh ganz anders als ihre Gleichaltrigen gewesen, interessante Außenseiter. Von dem Sammler und Verleger Lothar Schirmer heißt es, er »begann als Oberschüler, mit wenig Taschengeld und dem auf dem Bau verdienten Ferienlohn zeitgenössische Kunst zu kaufen«.

Solche Geschichten dienen dazu, das Sammeln als Leidenschaft und spezifische Begabung erscheinen zu lassen.

... Waren es vor ein paar Jahren noch die Künstler Thomas Huber und Bogomir Ecker, die das städtische Kunstmuseum in Düsseldorf in ein Künstlermuseum verwandeln durften, indem sie die Exponate nach ihren Vorstellungen neu anordneten, hat man inzwischen also Sammlern eine solche Aufgabe übertragen. ...

Was nur haben die Sammler den Kuratoren, Museumsdirektoren, Galeristen oder Theoretikern voraus? Braucht nicht jeder, der es im Kunstbetrieb zu etwas bringen will, Experimentierfreudigkeit und Intuition, einen eigenen Blick und frische Ideen? Warum wird an Sammlern gelobt und bewundert, was an Ausstellungsmachern oder Kritikern genauso hervorgehoben werden könnte?

Offenbar meinen viele, dass sie einen größeren Einsatz für die Kunst leisteten als andere. Dass sie Geld ausgeben, lässt sich als entschiedenes und ernsthaftes Bekenntnis zur Kunst auslegen. Wer würde so viel zahlen, wenn ihm die Kunst nicht viel bedeutete? Und ist es nicht eines, Werke für eine Ausstellung auszuwählen oder darüber zu schreiben, und etwas ganz anderes, für sie zu zahlen?

... Reiner Speck, selbst prominenter Sammler, formuliert es folgendermaßen: »Wenn sich ein Sammler nicht permanent bis an die Grenzen verschuldet, kann ich ihn nicht ernst nehmen.« Und Christian Boros, ein weiterer Star, gesteht: »Ich gehe immer an die Grenze des Möglichen, notfalls stottere ich etwas ab.«

Sammler sollen damit als die wahren Heroen und Eingeweihten der Kunst erscheinen, die nicht nur mit Wissen oder Sensibilität beeindrucken, sondern die etwas leisten, von dem viele andere wissen, dass sie es nicht leisten können oder wollen: Entweder verfügen sie nicht über genügend Geld, oder sie räumen ein, dass sie andere – bessere – Vorstellungen davon haben, wie sie es ausgeben. ...

Dass mittlerweile bereits als bloßer Kunstlaie abgestempelt wird, wer nicht sammelt, bedeutet jedoch einen klaren Abschied von den Kriterien, nach denen in der Moderne das Verhältnis zwischen In- und Outsidern der Kunst organisiert wurde. Geld spielte da nämlich keine Rolle. Solange das Bildungsbürgertum tonangebend war, durfte sich vielmehr als Insider fühlen, wer viel kannte oder, noch eher, wer anregend über Kunst sprechen, wer sie lebendig vermitteln konnte.

Heute aber, in der kapitalistisch formatierten Gesellschaft, entsteht Privilegiertheit aus Einsatz von Geld. Als Kenner gilt nicht, wer über Kunst theoretisiert, sondern wer sie bezahlt. ...

Freilich: Anders als ein Theoretiker oder Kurator braucht ein Sammler keine Argumente und Theorien, um anderen den Wert eines Kunstwerks nahe zu bringen. Dass er dafür – viel – gezahlt hat, genügt den meisten schon, um eine Arbeit für bedeutend zu halten. Je stärker Sammler an die Stelle von Kuratoren und Theoretikern treten, desto weniger muss also überhaupt noch über Kunst diskutiert und debattiert werden. Preisangaben ersetzen Diskurse, materieller Opfermut nimmt die Rolle von Streitbarkeit ein.

Auch sonst werden Quantitäten zu Gradmessern für Leidenschaft. ...

... Armin Waehlert, Sammler aus Frankfurt, gesteht sogar, dass er seine Stücke einfach im Depot verstaut: »Man bewahrt sie auf, ohne sie je wieder anzusehen.«

Jemand, der so sehr mit Masse imponiert, ja der kaum etwas von der Kunst haben kann, da er sie in einem Keller oder einem Lagerhaus wegsperrt, sollte tatsächlich genauer auf seine Motive hin befragt werden. Kann es ihm überhaupt um die jeweilige Arbeit gehen? Oder reizt mehr der Nervenkitzel, viel Geld auszugeben? Oder ein Jagdinstinkt, der in dem Moment erlischt, in dem die Beute eingesackt ist? Oder die Demonstration der eigenen Kaufkraft – als Potenzbeweis, den man sich oder anderen gegenüber erbringt? Oder das Gefühl, mit dem Werk ein Stück weit auch den Künstler gekauft zu haben? Oder sich zumindest einen privilegierten Zugang zu ihm erworben zu haben?

Es kann durchaus zweifelhafte Gründe geben, zum Kunstsammler zu werden. Dann geht es um Machtdemonstration, Kaufkraftexhibitionismus und Konsumgeilheit. Kurz und bündig bringt es Christian Boros auf die Formel: »Als Sammler willst du haben.« Wäre von Briefmarken oder Spielzeugautos die Rede, brauchte ein solches Bekenntnis zum Habenwollen nicht zu verwundern; bezogen auf Kunst, sollte es hingegen stutzig machen. Immerhin gilt es seit Kants berühmter Formel vom »interesselosen Wohlgefallen« als Voraussetzung für den Umgang mit einem Kunstwerk (und mit Schönem allgemein), gerade kein Begehren – oder Besitzstreben – damit zu verbinden. Wer etwas, das ihm gefällt, haben will, ist (so Kant) »nicht mehr frei«, kann weder kontemplieren noch reflektieren – und verpasst daher die Chance, sich anregen und beleben zu lassen. Die Kraft der Kunst entfaltet sich nicht, solange (wiederum Kant) das »Begehrungsvermögen« im Spiel ist. Das niedere materielle Bedürfnis verhindert die Erfüllung höherer Bedürfnisse.

... Inzwischen jedoch scheint Kants Argument nicht mehr zu verfangen. Vielmehr setzt sich gerade eine gegenläufige Vorstellung durch, wonach es allein existenzielle Gesten sind, die einen besseren Zugang zur Kunst ermöglichen: Wenn jemand für ein Bild oder eine Installation einen Kredit aufgenommen, eine Villa verkauft oder auf eine Weltreise verzichtet hat, ja wenn jemand so viel Opfermut an den Tag gelegt hat, dann muss das doch mit ungewöhnlich tiefen Einsichten in die Kunst belohnt werden, zu denen ein Laie, der sich nicht verausgabt, nie gelangen kann. Nicht Interesselosigkeit, sondern Passion wird zum Maßstab des angesagten Umgangs mit Kunst.

Mein Kommentar: In diesem hervorragenden Artikel wird am Beispiel der Kunst der derzeit herrschende Zeitgeist portraitiert. Wo der Zugang zu höherer Qualität versperrt ist, geht der Geist in die Breite, ufert aus und versumpft. Wer nichts mehr von WERTEN weiß, interessiert sich nur noch für den Preis.

Menschen, die diesem Zeitgeist verfallen sind, schwimmen wie Schaum an der Oberfläche und meinen, sie seien "die Sieger im Wettstreit um die Plätze an der Sonne", seien maßgeblich. Schlimmer gehts nimmer! Wenigstens dem Biertrinker sollte bekannt sein, daß die Eichmarke am Bierkrug nicht dem Schaum, sondern dem Bier gilt.

Aber nicht nur die Kunst wurde vom Zeitgeist kompromittiert. Auch die Wissenschaft ist zum Scientismus verkommen. Welcher Wissenschaftler weiß denn noch um die Bedingungen und Grenzen seines Geschäfts? Ganze Wissenschaftsdisziplinen sind aus dem Unwissen über das Fach entstanden, zB die Bewußtseinsforschung, aber auch alle Politikwissenschaften, die Soziologie und die Psychologie.

Und weil es nicht mehr Philosophen, sondern Wissenschaftler sind, die die neuen Wirtschaftstheorien ausdenken, sind auch die neuen Wirtschaftstheorien bar aller Weisheit, mit der Konsequenz, daß der Mensch die Herrschaft über seine Denkmodelle verloren hat.

Der Mensch weiß so wenig noch davon, daß die Materie bloß das Kleid des Geistes ist - die Welt die Oberfläche der Seele. Wer das Bild für die Realität hält, wer an die materielle Grundlage des Geistes glaubt, kann auch die Kunst nicht mehr verstehen.

Der Zeitgeist zerstört den Geist; der Mensch verliert sein Bewußtsein, wird zur Maschine. Wir Übriggebliebenen sind aufgerufen, auf den blinden Zeitgeist einzuwirken, auf daß er wieder weise werde.

Anmerkung 1 h später: Zuerst wollte ich an dieser Stelle noch das Wort meines "Lieblingsprofessors" Dr. Walter Patt aus den Zeiten meines Philosophiestudiums in Mainz anfügen, der sagte: "Nicht das Mittelalter war dunkel; es sind die heutigen Zeiten! Das Mittelalter war licht, durchleuchtet von Geist!" Ich hatte jedoch darauf verzichtet, weil ich immer auch bestrebt bin, meine Texte kurz zu halten. Dann fand ich bei SPIEGELonline folgendes: http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltraum/0,1518,381627,00.html

MITTELALTER UND MODERNE

Wie die Erde zur Scheibe wurde

Von Philip Wolff

Das Mittelalter wird aus der heutigen Perspektive gern als dunkle Zeit der Ignoranz und des frömmelden Aberglaubens gesehen. Doch dass etwa die Erde eine Scheibe sei, glaubte im Mittelalter niemand. Diesen Mythos hat die Moderne geschaffen - zum eigenen Ruhm.

Erebos: Hi Jo,
Sehr schöner Artikel. Auch ich las ihn vor einigen Tagen mit Begeisterung und kam zu der selben Ansicht wie du. Mir kam jedoch gerad eine Idee, die dieses Verhalten vll noch näher beschreiben könnte. Und zwar, dass der Mythos des Materialismus dahinter steckt. Und zwar in dem Sinne, dass die Leute nur noch an "festes" und "eindeutiges" glauben. Wissen und Begreifen der Kunst kann man nämlich nicht direkt nachweisen, den Wert eines Gemäldes schon. Genauso ist es unserem Bildungssystem und der sozialen Stellung. Leute mit guten Zeugnissen sind schlau. Leute mit viel Geld sind erfolgreich. So denken die meisten! Auch wenn sie Erläuterung ihres Fehlschlusses diesen eigentlich immer einsehen (zB das ein Millionär, dessen Familie verstirbt, bestimmt nicht glücklich ist), so bleibt doch die Assoziation Geld=Glück bestehen. Warum sonst sind alle neidisch auf die Millionäre? Warum sonst sagt man uns heute nicht, "werde gebildet", sondern "bekomm ein gutes Zeugnis"? Warum sonst sind Kunstsammler höher angesehen als Künstler?

Viele Grüße
Erebos

Hanjoheyer [Mitglied]
04.11.05 @ 12:01

Hallo Erebos,

du hast meine Zustimmung! Den Preis eines Kunstwerks kann man in Form von materiellen Geldscheinen in der Hand halten; den ideellen Wert eines Bildes nicht. Also siegt der Preis über den Wert.

Aber wenn man genauer hinschaut, erkennt man, daß der Preis ebenfalls ein ideeller Wert ist. Ein Geldwert ist ein geglaubter, kein objektiver. Offensichtlich reicht ein beschriebenes Stück Papier, um Geist für die einfachen Leute anfaßbar und damit überzeugend zu machen.

Ich mache regelmäßig die Erfahrung, daß mein Titel "Diplomingenieur" den Leuten wichtiger ist, als alles, was ich je gelernt habe. Daß ich inzwischen fast alles Ingenieursmäßige vergessen habe, interessiert die Leute nicht. (Ich arbeite seit 1985 nicht mehr als Ingenieur.) Ich bin und bleibe für die Leute Diplomingenieur.

Daß ich mein Philosophiestudium ohne offiziellen Abschluß (ohne Titel) beendete (da man von meiner Phil. nichts wissen wollte), hat die Konsequenz, daß ich von titeltragenden Philosophen niemals anerkannt, niemals zitiert werden kann. Jeder, der mich in einer Facharbeit zitieren würde, würde seine Arbeit der garantiert karriereschädigenden Gefahr der Unseriosität aussetzen.

Den Leuten ist dieses Papier, auf dem steht, daß ich Dipl.-Ing. bin, identisch mit Fachkompetenz. Selbst Philosophieprofessoren können sich unmöglich von dieser hartnäckigen Illusion befreien.

Wir sollten über solche Erscheinungen nicht beleidigt sein, sondern sie nüchtern zur Kenntnis nehmen. So funktioniert die Welt. Die Menschen sind süchtig nach Symbolen. Die Diplomurkunde symbolisiert ein spezielles Sachwissen und wird dann mit dem Sachwissen gleichgesetzt - wird identisch mit dem Wissen: aus einer symbolischen Sinnwelt wird eine materielle Welt. Aus Geist wird über Symbole Materie.

Jede Urkunde ist ein Gefängnis des freien Geistes. Wer sich von Urkunden befreit, wer also ein Wissender ohne Titel ist, ist offiziell unseriös und taucht in keiner Publikation (außer seiner eigenen) auf. Der Freie ist somit narrenfrei, unsichtbar. Am Zauberer wird immer vorbeigedacht, vorbeigesehen. Er wird nie als Erste Ursache erkannt.

Die Erscheinungwelt bleibt ein geschlossenes System. Der Zauberer lebt auch außerhalb der Welt. Die Weltlichen sehen immer nur das geschlossene System der Wirkursachen (causa efficiens), aber die Zielursache (causa finalis) des Zauberers, den Willen, sehen sie nicht.

Wer hier wieder sehend wird (Jesus klagte: "Sie haben Augen und sehen nicht..."), kann Geist sehen. Die Welt bekommt neue Dimensionen...

Du siehst, wie wichtig ein offizieller Universitätsabschluß ist, wenn man Zeit zum Denken haben und nicht ums tägliche Brot kämpfen will. Heute, also in diesen supermodernen Zeiten, sind Titel für Geisteswissenschaften allerdings kaum noch was wert. Es muß schon BWL, Jura, Informatik oder eine handfeste Naturwissenschaft wie Physik oder Chemie sein.

Mit dem erworbenen Titel kann man dann wuchern und auch beliebig in fremdem Terrain wildern. Jedem in Philosophie völlig unbeleckten Naturwissenschaftler wird bei philosophischen Themen mehr geglaubt, als einem Philosophen - mit oder ohne Titel. (Es gibt kaum noch Expertengremien, an denen Philosophen beteiligt sind. Selbst an Ethikkomissionen läßt man heutzutage fast nur noch Naturwissenschaftler und Juristen teilnehmen.)

Es ist wie in der Welt des Kapitalismusses: Du bist Werkzeug, nicht Mensch. Braucht man dich als Werkzeug nicht mehr, hörst du auf zu existieren. (Oder glaubst du, ein Konzernboß interessiert sich für Arbeitslose? Oder die Gewerkschaft?)

Es ist wie in der Kunstszene: Der Käufer bestimmt, was Kunst ist, nicht der Künstler.

Erebos [Mitglied]
04.11.05 @ 20:50

Hallo Jo,
Ich gebe dir vollkommen Recht. In materialistischen Zeiten(welche momentan im Westen herrschen) muss man sich dem Denken ein Stück weit anpassen, um in der Gesellschaft überleben zu können. Deswegen bin ich auch ziemlich froh, dass ich mich für Physik interessiere, denn somit werden mir bei meiner Berufung(sprich Beruf/arbeit) keine Steine in den Weg gelegt. Und ich hoffe auch, dadurch etwas bewegen zu können. Denn nur jmd, der deiner Meinung ist, dem glaubst du auch. Soll heißen, wenn ich evtl als Naturwissenschaftler angesehen bin, habe ich auch wieder die Möglichkeit, idealistisches Gedankengut zu verbreiten.
Man sollte aber auch in Betracht ziehen, dass es umgekehrt nicht besser ist. Wenn der Idealismus nämlich überwiegt, regieren schnell Aberglaube(profaner Art) und Emotionen. Man sollte sich um ein Gleichgewicht bemühen, auch wenn der Weltgeist diesen Zustand immer nur vorrübergehend einnimmt.

Viele Grüße
Erebos

Hanjoheyer [Mitglied]
05.11.05 @ 11:34

Hallo Erebos,

obwohl es mir nicht zusteht, deine Entschlüsse zu kritisieren oder zu loben und damit möglicherweise zu beeinflussen, möchte ich dich in deinem Entschluß, Physik zu studieren, bestärken.

Ich finde die Idee großartig. Und wenn du die komplementäre Komponente, die Transzendentalphilosophie, hinzunimmst, zB als "Hobby" oder als Nebenfach, wird ein Aspekt den anderen zu neuen Ideen befruchten und auf beiden Gebieten zu Erfolgen führen. Es hatte nicht nur Vorteile, daß die Naturphilosophie gespalten wurde in reine Naturwissenschaft und reine Transzendentalphilosophie. Beide haben durch diese Spaltung Schaden genommen.

Es gibt gar nicht so wenige Wissenschaftler/Physiker, die ihren Blickwinkel mittels des Philosophierens erweitern und sich auf diese Weise auch zu physikalischen Neuerungen inspirieren lassen. Hans Peter Duerr ist ein berühmtes Beispiel. Oder F.v. Weizsäcker, David Bohm, Frietjof Capra ("Das Tao der Physik" u.v.a.). Auch unser "Chris", der in diesem Webtagebuch und in meinem Parsimonyforum Beiträge schreibt, ist Physiker UND Naturphilosoph, der keine Angst hat, seinen Blick in (offiziell) verbotene Zonen zu werfen und (beim Philosophieren) selber zu denken.

In meiner HP habe ich gestern in www.hanjoheyer.de/Wissenschaft.html unter gestrigem Datum einen Neueintrag eingefügt, den ich gern mit einem Physiker diskutieren würde.

Tötungsarbeit

von Hanjoheyer @ 2005-11-04 - 13:09:42
http://www.zeit.de/2005/44/P-Welzer?page=all
politisches buch

Tötungsarbeit

Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat ein wichtiges Buch zur immer wieder gestellten Frage geschrieben: Was machte ganz normale deutsche Männer zu Massenmördern?

Von Christopher R. Browning

In den 1990er Jahren wurde die Debatte über Holocaust-Täter zwischen zwei gegensätzlichen Lagern geführt. Daniel Goldhagen sprach sich für ein »kognitives« Modell aus, das die Denkweise und Einstellung der »normalen Deutschen« durch einen jahrhundertealten und tief in der Kultur verwurzelten »eliminatorischen« Antisemitismus erklärte. Goldhagen beschrieb eine deutsche Gesellschaft, die nur auf die Nationalsozialisten gewartet hatte, um den Genozid gegen die Juden entfesseln zu können, an dem »normale Deutsche« geradezu begeistert teilnahmen, weil sie ihn als notwendig und richtig erachteten. Ich dagegen führte in meinem Buch Ganz normale Männer (1993) ins Feld, dass situative Faktoren und allgemeinere Eigenschaften der menschlichen Natur (wie sie etwa aus der Dynamik des Gruppenverhaltens erwachsen) »normale Männer« zu nationalsozialistischen Mördern werden ließen....

Wie schon der amerikanische Sozialpsychologe Leonard Newman führt jetzt auch Harald Welzer überzeugend aus, dass es keine »objektiven« Situationen gibt; vielmehr bewegen wir uns in einer »konstruierten« Welt, in der wir die Umstände, unter denen wir leben, gemäß unseren unterschiedlichen »normativen Referenzrahmen« und kulturellen Voraussetzungen sowie unseren allgemeinen Verhaltensmustern wahrnehmen, interpretieren, bewerten und auf sie reagieren. Jede künftige Täterforschung muss also versuchen, die richtige Mischung aus kulturellen und situativen Faktoren und deren Wechselwirkung zu finden – und darf sie nicht nebeneinander stellen.

... Letztendlich nimmt Welzer zwei große Fragen in Angriff: Wie und warum konnte sich der »normative Referenzrahmen« nach 1933 in Deutschland so schnell und vollkommen verändern? Und warum waren fast alle »normalen Männer« in Einheiten wie dem Reserve-Polizeibataillon 45 bereit zu töten, wenn auch mit einem unterschiedlichen Grad von Begeisterung, Gleichgültigkeit oder Abscheu? Im Mittelpunkt der NS-Herrschaft stand für Welzer die Neudefinition der menschlichen Gemeinschaft, und zwar von einer integrativen, dem Menschenbild der Aufklärung verpflichteten hin zu einer ausgrenzenden, auf Rassismus und Antisemitismus basierenden. ...

Welzers Erklärung, warum es den Nationalsozialisten so schnell und lückenlos gelang, einen auf Ausgrenzung basierenden neuen »Referenzrahmen« zu schaffen, mag mitunter eklektisch und bruchstückhaft sein. Trotzdem ist ein zentrales und überzeugendes Argument des Buches, dass die erfolgreiche Neudefinition, wer der deutschen Gesellschaft angehörte, grundlegend für die Ingangsetzung der »selbst dynamisierenden sozialen Veränderungsprozesse« war, die zum Massenmord an den Ausgeschlossenen führten.

... Vielleicht war es nicht vorhersehbar, aber letztlich ermöglichte die Ausgrenzung, dass die Enteignung und Ermordung der Juden von jeglichem Bewusstsein für Verbrechen und Unmoral entkoppelt werden konnte.

Welzer untersucht dann, wie »normale Männer« im Reserve-Polizeibataillon 45 zu willigen Mördern wurden. Dabei beruft er sich sowohl auf die Situation wie auf den Prozess. Er nutzt die Forschung von Asch, Milgram und Zimbardo, um akribisch herauszuarbeiten, dass die Männer des Bataillons, die den Auftrag zum Mord an den Juden erhielten, verschiedene Stadien durchliefen: Erwartung, Initiation, Ausführung und Anpassung. Es war ein sich langsam vollziehender Prozess, der den Massenmord durch zunehmende Professionalisierung in normale »Arbeit« umwandelte. ...

... Er zeichnet ein kollektives Porträt der »normalen« Mörder als Männer, die in ihrer »Arbeit« größtenteils eine unangenehme, aber durchaus notwendige historische Pflicht sahen, wegen der sie weder damals noch später ein schlechtes Gewissen empfanden.

.. Welzer erkennt außerdem, wenn auch weit weniger nachdrücklich, zwei wichtige Beobachtungen im menschlichen Verhaltensbereich an. Einerseits wollen auch Täter sich als »moralisch handelnde Personen« sehen und von anderen so gesehen werden. Andererseits gilt die Maxime: »Praxis selbst verändert die normative Perspektive.« ...

... Im Gegensatz dazu blieb den Mitgliedern der Tötungseinheiten tatsächlich nur eine harte und unvermeidliche Wahl. Angesichts des starken Drucks, sich in der gegebenen Situation konform zu verhalten, gehorsam zu sein und die zugewiesene Rolle anzunehmen, wurden die meisten Männer zu Mördern, sobald ihrer Einheit der Auftrag dazu erteilt wurde. ...

Mein Kommentar: Entscheidend für Fragen wie die hier behandelte, ist, ob es eine objektive Realität gibt, die letztlich unsere Interpretationen korrigiert (Die Evolution bestraft diejenigen, die die Realität weniger gut erkennen und belohnt jene, die realistischer sind. Illusionen sind ein negatives Selektionsmerkmal, Realismus ein positives.) oder ob es diese Korrekturinstanz "objektive Realität" nicht gibt.

Welzer zeigt, daß unsere "Realität" eine Konstruktion ist, und daß der Nationalsozialismus eine Konstruktion der Führungselite der NSDAP war, die mächtig genug war, zur Realität der "Tötungsarbeiter" zu werden.

Wer neue Realitäten schaffen kann, wer neue "normative Referenzrahmen" erzeugen kann, ist das, was ich in meinem Kommentar zu Erebos' Kommentar zu "Die neuen Helden" schrieb, ein Zauberer.

Nicht nur 1933 wurden neue Referenzrahmen kreiert - auch heute sind die Kreatoren aktiv. Und wie 1933, so heute, ist dieses Tun der Kreatoren den Kreationen (den Opfern) unsichtbar. Ich schrieb in meiner HP und schreibe in diesem Webtagebuch ständig darüber.

Wie genau diese aktive Freiheit erworben wird, ist in keiner Schule und keiner Uni zu lernen. Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, im Rahmen meiner Schule für Lebenskunst diese Lücke zu füllen....

siehe: www.hanjoheyer.de/BergerLuckmann2.html (Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit)

Anm. 5.11.: Zur "Unsichtbarkeit" des Kreierens aus dem geistigen Bereich, sowie eine Bestätigung meiner Aussage über die scheinbare Unseriosität der in diesem Gebiet Arbeitenden, fand ich in PM vom Oktober 05 folgende Äußerung Dr.Dr. Lucadous:

"Aber einen Spuk-Fall seriös zu dokumentieren, also etwa im Bild festzuhalten, ist meines Wissens weltweit noch niemandem gelungen."

Trotzdem weiß Lucadou, daß es Spuk und andere paranormale Phänomene gibt; er selbst hat sie zuhauf erlebt.

Sparsam geht das Land zugrunde

von Hanjoheyer @ 2005-11-21 - 12:43:07
In diesem Artikel (ZEIT v. 3.11.05) wird dem Leser mal wieder vor Augen geführt, daß die Große Koalition, schon bevor sie mit ihrer Arbeit begonnen hat, mit ihrer Politik des Sparens gescheitert ist.

35 Milliarden sollen bis 2007 gespart werden, vor allem beim kleinen Mann, damit die Profite der Konzerne weiter so toll steigen können, wie in den letzten Jahren. Marc Brost, der Autor des Artikels, weist der derzeitigen und bereits der künftigen Regierung eklatantes Versagen vor. Statt zu sparen, sollte Geld unter die Leute, besonders unter jene mit den geringen Einkommen, gebracht werden. Dann würde der Massenkonsum steigen und damit auch die (Massen-) Produktion in den Fabriken und damit die Anzahl von Arbeitsplätzen, was wiederum den (Massen-) Konsum anheizt. Brost kann die Frage, warum die Politik derart eklatante, derart dumme, Fehler macht, leider nicht beantworten. Das werde ich nun tun:

Um das wahre Problem verstehen zu können, müssen wir das Pferd statt von hinten, von vorne aufzäumen. Wir sollten uns nicht länger die Frage stellen, wieso die Politiker derart dumm sein können; wir sollten uns lieber fragen, vor welchem wirtschafts- und politiktheoretischen Hintergrund genau diese Entscheidungen klug sind.

Vor welchem Hintergrund ist es klug, das soziale Netz abzubauen, die Löhne der Arbeiter und Beamten zu kürzen, Massen von Menschen zu entlassen, die Tages- und Lebensarbeitszeit der verbliebenen verängstigten Arbeitnehmer zu verlängern, die Steuern der Reichen zu verringern und der Armen (durch die Mehrwertsteuer) zu vergrößern (man glaube nicht, daß die Reichen Mwst beim Kauf von Konzernen oder Aktienpaketen zahlen werden), die Löhne der Manager radikal (bis zu 400 %) zu erhöhen, die Gewinne der Konzerne radikal zu erhöhen, indem die Steuern auf Null gefahren und die Subventionen erhöht werden.

Vor welchem Hintergrund ist es sinnvoll, Katastrophen wie den Wirbelsturm über New Orleans zu nutzen, die Ölpreise radikal zu erhöhen, sodaß Exxon nun 100 Millionen Dollar täglich verdient, mehr als je zuvor irgendein Konzern? (Quelle: ZEIT) Und unter welchen Umständen ist es klug, daß die Regierung die den armen (meist schwarzen) Wirbelsturm-Opfern von New Orleans zugesagten Milliarden nicht auszahlt, sondern daß bloß ein "unfähiger" Kopf geopfert wird, um der Wut der Enttäuschten den Wind aus den Segeln zu nehmen? Wenn der Protest stark kommt, kann man auch klugerweise Bush selbst opfern - Hauptsache, die Revolution von oben geht ungehindert weiter.

Hier die Antwort auf die Frage nach der Art der Revolution von oben: Dieses "eklatante Versagen der nationalen Regierungen" ist äußerst klug und sinnvoll vor dem Hintergrund folgender geheimen Utopie:

Die führenden Philosophen der Weltmächte - die sog. geheimen Thinktanks (in den USA unter Leitung von Karl Rove) - sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die Entwicklung zur Herrschaft der Megakonzerne nicht aufzuhalten sei, und daß es nun ratsam sei, dieser Entwicklung nach Möglichkeit jegliche Steine aus dem Weg zu räumen, denn wer hier am schnellsten umdenkt und zuerst bereit ist, sich von alten Politik- und Wirtschaftsmodellen zu verabschieden und zur neuen Utopie umzuschwenken, wird der Gewinnner des neuen Wettstreites um die Weltmacht sein.

Der Nationalstaat muß schrumpfen und alle Ressourcen bekommen seine Erben, die Megakonzerne, zugeschustert. Ein schrumpfender Staat bedeutet: weniger Einnahmen und weniger Ausgaben des Staates. Genau das führte Rot-Grün durch und wird Rot-Schwarz forciert durchführen. Der kleine Mann subventioniert die Megakonzerne durch sein unfreiwilliges, unbewußtes Selbstopfer, damit ehemals deutsche Konzerne, nun international, besser a-national, im Wettrennen um die ersten Plätze im Spiel um die Weltmacht, vorne mitmischen können.

Die Nationalstaaten werden samt ihrer Regierungsformen (hier: Demokratien) und Verfassungen (mit ihren Grundrechten, zB dem von der unantastbaren Menschenwürde) aufgelöst. Stattdessen werden wir eine neue Regierungsform erhalten: die Herrschaft der Megakonzerne: die großen Geldkönige werden sich die Macht zuerst teilen, bis im Wettstreit der Geldkönige ein einziger Bill Gates übrig bleiben wird, der die Weltmacht und damit die Macht über die Leit-Utopie der Menschheit hat. Die Macht über das Internetz will die moderne, bereits voll konzerngesteuerte Regierung der USA "um keinen Preis" mit anderen Mächten, zB der UNO, teilen, wie jüngst die Gazetten schrieben. Die UNO - ein letzter Versuch, der Herrschaft der Geldkönige eine (gebündelte) Herrschaft der nationalen Politik entgegenzustellen, wird von den USA aufs Messer bekämpft.

Der Neoliberalismus dient nur zur Tarnung dieses Vorhabens. Sobald die Konzerne ihre despotischen Königreiche ausgerufen haben, werden wir vom Neoliberalismus nichts mehr hören. In der konzerngesteuerten Presse wird man von diesen Plänen nichts erfahren.

Wer mehr erfahren möchte, besonders über Alternativen, Möglichkeiten der Rettung ethischer Systeme, und Anleitung wünscht, wie man persönlich in einer derartig abartigen Umwelt gut leben kann, wende sich an mich in Form bezahlter Emails im Rahmen meiner Schule für Lebenskunst.

1 Stunde, nachdem ich Obiges geschrieben hatte, fand in in den Nachdenkseiten folgendes: http://www.nachdenkseiten.de/cms/front_content.php?idart=1189
mit wichtigen Sätzen über die Herrschaft der Megakonzerne über nationalstaatliche Politik und wie der Neoliberalismus als Begründung für ihre unmenschlichen Taten mißbraucht wird:

Die Gewinne der Giganten explodieren, während die Preise für die Kaffeebauern in den Keller sinken. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Lösungen von Hans Joehr, Leiter der Abteilung Landwirtschaft von Nestlé, er schlägt vor, dass von den 25 Millionen Kaffeebauern mindestens 10 Millionen vom Markt verschwinden müssen, damit der Markt saniert werden kann. Die Entscheidungsträger der Konzerne halten die wirtschaftliche Entwicklung für Naturgesetze des Marktes, die sie nicht ändern können. Ihnen ist jegliches Verantwortungsgefühl abhanden gekommen. Diese Aussage zeigt deutlich mit welcher Ignoranz, Abgebrühtheit und Zynismus Vertreter der Wirtschaft dem Leid der Menschen gegenüber treten.

Daß die Gesetze des Kapitalismusses keine Naturgesetze sind, habe ich in diesem Web-Tagebuch und in meiner HP bewiesen. Meine Floskel vom Geld-König taucht in diesem Text mit identischer Bedeutung als Refeudalisierung auf. Weiter heißt es:

Es wird in diesem Buch deutlich, dass wir in der so genannten Ersten Welt, langsam aber kontinuierlich den Verhältnissen in der Dritten Welt annähern und wenn sich die Macht der transnationalen Konzerne mit ihren Gehilfen aus der Politik weiter über den Globus ausdehnen kann, wird unsere Demokratie untergraben, die Mitbestimmung immer weiter abgebaut, die Staaten erpressbar und die Bürger sind, egal in welchem Land auf der Welt, der Hegemonie der Konzerne hilflos ausgesetzt.

Das Buch „Das Imperium der Schande“ ist äußerst lesenswert, erschienen bei Bertelsmann, Preis 19.90 Euro

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Repuhan: 22.11.05 @ 10:15

Du sprichst mir mit Deinem Artikel aus der Seele !
Remo

Chris [Besucher]

22.11.05 @ 19:27
Ich frage mich, wie die Welt aussehen wird, wenn die Konzerne die Herrschaft über die Welt übernommen haben. Man kann das wohl an dem dahinterstehenden Menschenbild erkennen. Wenn es stimmt, daß von den Verantwortlichen das Prinzip der Menschenwürde gegenüber den Prinzipien des Marktes als überflüssig angesehen wird, kann man wahrscheinlich sagen: Es läuft konsequenterweise auf einen globalen Sklavenstaat hinaus. Die einzige Handlungsmöglichkeit, die ich für mich persönlich sehe, ist, mich NICHT an dem von Neoliberalismus permanent erzwungenen Wettbewerb zu beteiligen. Dann bin ich zwar AUS DER SICHT DES SYSTEMS ein Verlierer, aber das betrifft mich nicht, denn ich mich identifiziere mich mit diesem System nicht.

Ich denke, man kann die Herrschenden immer an ihrem Menschen- und Weltbild erkennen. Auch die Nazis und ihre Verbrechen hätte man auf diese Weise wahrscheinlich schon lange vor dem zweiten Weltkrieg erkennen können. Deshalb glaube ich heute auch, daß die Kollektivschuldtheorie doch stimmen könnte: Kein Deutscher, der damals zum selbständigen Denken befähigt war, kann sagen, er hätte doch vorher nicht wissen können, was da passieren würde.

Chris

Hanjoheyer [Mitglied]
22.11.05 @ 22:50

Hallo Chris,

heute schrieb ich in meiner "Steuertheorie" unter anderm folgendes:

"22.11.05: Definition: Die Sklaverei bis ins 19. Jahrhundert war definiert als Privatbesitz bestimmer Menschen von anderen bestimmten Menschen: A war zB Sklave von B.

Die moderne Sklaverei wird anders definiert: Es gibt kein persönliches Verhältnis mehr zwischen Herr und Sklave, wohl aber die sozialen Klassen "Herren" und "Sklaven". Ein Beispiel soll das heute reale Verhältnis zwischen beiden Klassen aufzeigen:

Auf einer Insel haben es drei von 3000 Menschen geschafft, das Eigentum der Gesamtfläche des Landes und des Meeres bis zur sog. Dreimeilenzone unter sich aufzuteilen. Den anderen 2997 Menschen bleibt keine andere "Wahl", als sich in Lohnknechtschaft zu begeben. Sie sind gezwungen, gegen Geld zu arbeiten. Sie sind keine Sklaven alten Modells, denn kein Mensch zwingt sie persönlich zur Arbeit, wohl aber der Hunger. Niemand zwingt sie persönlich, einem persönlichen Herren auf das Wort zu gehorchen, aber wenn sie die Lohnarbeit behalten und nicht verhungern wollen, gehorchen sie notgedrungen "freiwillig"."

An dieses "notgedrungen freiwillig" denke ich, wenn unsere Politiker sagen, es gebe "keine Alternative" zu ihrer neoliberalen Revolution von oben.

Ich denke, wir sollten uns nicht irre machen lassen von dem, was die Herren der Welt mit uns planen. Es gibt die Möglichkeit der "Widerverzauberung der Welt". In einer solchen Welt funktionieren die Pläne dieser Herren (und Damen) nicht. Als Einstieg empfehle ich die Lektüre des Buches: "Wiederverzauberung der Welt" von Prof. Morris Berman

joachim

heinzi [Mitglied]
25.11.05 @ 03:02

geld unter die leute bringen ist ja gut und schön ...was aber, wenn die dann ausländische produkte kaufen, weil die billiger sind? (toyota statt opel, türkeiurlaub statt schwarzwald? chinesische klamotten statt Boss?).

wie soll das der deutschen wirtschaft helfen?

die schulden bleiben und belasten dann die nachfolgenden generationen ...

tolle idee !

nein: schulden sind nur für sinnvolle (!) investitionen sinnvoll, niemals für konsum.


Hanjoheyer [Mitglied]
25.11.05 @ 10:31

Aus diesem Grund plädiere ich für eine wesentliche Verteuerung der Energie mit der Folge, daß weniger weit gereist und die Konsumgüter weniger weit transportiert werden (zugunsten lokaler Produkte). Diese Verteuerung entsteht durch Erhöhung der Mehrwertsteuer auf die Höhe der Staatsquote.

Die Abwanderung des Kapitals haben wir dem gegenwärtig praktizierten Wirtschaftsmodell zu verdanken. Woher willst du wissen, welche Folgen mein Modell nach sich ziehen wird? Weshalb schließt du aus, daß bei meinem Modell Deutschland als Wirtschaftsstandort derart attraktiv werden könnte, daß Ausländer in unserem Land investieren?

Selbstverständlich appelliere ich auch an die Vernunft der Bürger. Wenn sie nicht wollen, daß Deutschland verarmt - gleichgültig in welchem System - sollen sie ihren Urlaub bitte im Lande verbringen. Das würde auch die Umwelt schonen.

Gesetzliche Maßnahmen sind immer nur bei Unvernunft der Leute nötig. Wer sein Geld ins Ausland schleppt, muß sich nicht wundern, wenn es zu Hause bergab geht. Wer sein Geld in den fernen Supermarkt schleppt, sollte nicht jammern, wenn der Tante-Emma-Laden um die Ecke zumachen muß und die Leute dann gezwungen sind. sich ein teures Auto zu halten (wie in meinem Heimatdorf).

Freiheit kann es in unserem Land nur in dem Maß geben, wie die Leute bereit sind, verantwortlich zu handeln.

Wie lautet deine Wirtschaftstheorie?

joachim

heinzi [Mitglied]
26.11.05 @ 03:36

hier eine wirtschaftstheorie im kommentar darzulegen wäre wohl ein bischen überfordernd.

aber ich vertraue mal grundsätzlich freien märkten (die es ja leider kaum gibt) und einem möglichst zurückgezogenen Staat.

alles andere ist u.a bürokratischer unfug, den die geschichte im laufe der zeit zwangsläufig korrigieren wird (china, udssr etc).

es gibt aber auch sofort erkennbaren groben blödsinn, wie zb die zielsetzungen der französischen sozialisten (PS), die jetzt fordern, daß börsennotierte gesellschaften, die mit gewinn arbeiten, niemanden entlassen dürfen sollen oder mindestlöhne von 1500 euro etc.

beispiele dieser art vollkommenen blödsinns gibt es zuhauf.

was unter dem deckmantel des "sozialen" herkommt, muss zwangsläufig scheitern, weil es die gesetze der ökonomie und psychologie verletzt.

an die vernunft der menschen zu glauben ist ebenso blödsinn. der mensch verhält sich in diesem sinne nicht "vernünftig" (was soll das auch sein?) sondern ökonomisch.

gruß
heinzi


Hanjoheyer [Mitglied]
26.11.05 @ 10:55

Mit deinem Vertrauen in die "freien" Märkte bist du m.E. voll auf die Gehirnwäsche der Massenmedien hereingefallen. Weil ich derartige Manipulationen sehr häufig erlebe, glaube auch ich, daß man nicht auf die Vernunft der Menschen setzen sollte. Die Masse der Bürger fällt in der Regel auf die rücksichtslosesten Schwindler herein. Du bist auf jene Schwindler hereingefallen, die behaupten, der Markt würde alles regeln.

Was ist für dich der Unterschied zwischen "sozialem Deckmantel" und echter Sozialität?

Deinen Einlassungen auf die franz. Sozialisten stimme ich zu. Die Durchsetzung der sozialen Komponente einer Marktwirtschaft muß anders aussehen.

joachim

heinzi [Mitglied]
26.11.05 @ 22:55

zu den märkten gibt es jedenfalls keine alternative.

es gibt ja real praktisch nur märkte, die in irgendeiner form einschränkungen unterliegen (durch gesetzliche regelungen in verschiedenen formen)

das gegenteil zu freien märkten ist staatliche preisfindung bzw - regelulierung. wer soll denn die preise/bedingungen und auf welcher basis festlegen? staatliche preisfestsetzungen haben noch nie funktioniert.

soziale "deckmäntel" sind die ganzen regelungen, die angeblich einem sozialen zweck dienen. zb als gutes beispiel kündigungsschutz.

dieser dient letztendlich einem bestandsschutz bestehender arbeitsverhältnisse und verhindert erforderliche notwendige anpassungen an die betrieblichen erfordernisse. neue einstellungen da, wo sie benötigt werden, werden behindert. der arbeitgeber läßt lieber überstunden fahren als neu einzustellen etc. arbeitssuchende finden schwerer arbeit.

dieser ganze kram - die liste ließe sich verlängern - ist im endeffekt NICHT sozial!

"wahre" solidarität gibt es natürlich zwischen menschen und menschengruppen (familien, sippen, gemeinschaften etc). allerdings unterliegt auch diese solidarität in der regel ökonomischen regeln.

letztlich dient jedes "soziale" wie im tierreich auch nur dem eigenen überleben bzw. der gattung. das klingt zwar nicht besonders schön, aber so ist es nunmal.

alles andere ist wunschdenken und illusion. jede solidarität dient dem EIGENEN nutzen.

gruß
heinzi

Hanjoheyer [Mitglied]
27.11.05 @ 13:34

Hallo Heinzi,

wo sprach ich von Preisfestsetzungen?

Du bist gegen den Kündigungsschutz? Falls du tatsächlich für die Abschaffung des sozialen Netzes bist, kann ich nur sagen, daß du entweder reich genug bist und glaubst, auf andere Menschen verzichten zu können, - dann stehen dir noch einige Lehren bevor. Oder du schneidest dir ins eigene Fleisch. Mich erinnert das an einige Absätze, die Kowalski heute geschrieben hat:

Zitat: "Jedes soziale Problem der neueren Zeit lässt sich letztlich dadurch erklären, dass versucht wird, "das Lebendige" (zu dem auch der Mensch in seiner Gesamtheit gehört) in mathematisch-statistische Gesetze zu zwingen und es so das Verhalten beherrschbar und kontrollierbar zu machen, was zu einer fragwürdigen Systemstabilität führt.

Die Bewusstseine der Menschen treten in Wechselwirkung mit dem jeweiligen Spiel und seinen Spielregeln; so dass es entweder zu politischem Druck auf Veränderung der Spielregeln oder zu einer Bewussteinsanpassung der Menschen an die Spielregeln kommt."

Ich fürchte, du bist ein erfolgreiches Produkt dieser modernen Gehirnwäsche. Schon seit Jahren wird das soziale Netz in der Presse und im TV lächerlich und den Leuten madig gemacht. Fast täglich werden uns Sendungen über Sozialschmarotzer gezeigt. Unter Sozialschmarotzern werden nicht Großabstauber wie Esser oder Ackermann gezählt, sondern Menschen, die sich mit kleinen Lügen eine kleine Aufstockung ihrer Sozialhilfe erschlichen haben oder die es sich "zu gut gehen" lassen wie "Florida-Rolf". Soll sich ein Sozialhilfeempfänger von Amts wegen schlecht fühlen?

Deine Sätze

"dieser dient letztendlich einem bestandsschutz bestehender arbeitsverhältnisse und verhindert erforderliche notwendige anpassungen an die betrieblichen erfordernisse. neue einstellungen da, wo sie benötigt werden, werden behindert. der arbeitgeber läßt lieber überstunden fahren als neu einzustellen etc. arbeitssuchende finden schwerer arbeit."

finde ich schlimm. Kündigungsschutz ist nötig, damit sich eine Familie ein Haus und/oder Kinder anschaffen kann. Du hast dir offenbar die Position der Bosse angeeignet. Das ist nur dann ratsam, wenn man selber zu den Bossen gehört.

Wie kommst du auf die Schnapsidee, alles Soziale unterliege ökonomischen Regeln?? Du bist wirklich ein Prachtexemplar moderner Gehinwäsche. "Erkenntnisse" wie diese sind raffinierte Lügen, die mit viel und teuer bezahlter Propaganda in die Köpfe der Leute gepflanzt werden, auf daß sie gute Sklaven werden. Sie haben dir erfolgreich alles "Wunschdenken", jede Alternative, ausgetrieben, auf daß du die "einzig mögliche" Vernunft der Sklaventreiber annimmst.

Joachim

zwinkerle [Mitglied]
01.12.05 @ 11:38

Ich würde Heinzi einfach nur mal das Buch "Die Reformlüge" von Albrecht Müller empfehlen. Viele seiner Denkfehler werden da unter die Lupe genommen.

heinzi [Mitglied]
12.12.05 @ 03:55

@ zwinkerle:

bißchen pauschal...

ich empfehle ja auch nicht einfach K.Marx DAS KAPITAL Bd. I. - III.

ein richtiges argument wäre hilfreicher gewesen ...

bemüh dich nicht weiter ...

gruß,
heinzi

Erebos [Mitglied]
25.11.05 @ 19:00

Hallo Jo,
Ich denke, deine Ideen sind gut. Sie stimmen im groben Rahmen auch mit dem überein, was ich mir zur Retung unserer Lage überlegt habe. Jedoch gibt es einen Punkt, der meiner Meinung nach unumgänglich ist: Wir brauchen internationale Wirtschaftsgesetze. Dies wird schon von vielen gefordert, nur eben nich von den Politikern. Die sogenannte Globalisierung ist rein wirtschaftlich! Das ist ihr Problem! Würde die Politik es ihr gleich tun entstünde ein Großteil der Probleme nicht, da man die Wirtschaft eben mit Gestzen im Zaun halten könnte.
Ohne diese Internationalität glaube ich allerdings kaum an eine Lösung, da Deutschland aufgrund von großer Abhängigkeit von äußeren Staaten untergehen würde. Zudem würden sich wahrscheinlich noch mehr Firmen und Privatleute aus Deutschland verdrücken.
Wenn wir auf die Vernunft des Volkes vertrauen könnten, brauchten wir kaum noch Politik, allerdings denkt die Masse sehr kurzsichtig, und deshalb denke ich, hätte dein Wirtschaftsmodell, wenn es nur auf Deutschland angewandt wird und die anderen nicht mitziehen, keine Chance.
Viele Grüße
Erebos

Hanjoheyer [Mitglied]
25.11.05 @ 22:15

Hallo Erebos,

natürlich brauchen wir neben einer globalisierten Wirtschaft unbedingt auch eine globalisierte Politik. Eine solche könnte sich durchsetzen, wenn die Notwendigkeit dazu von der sog. Elite erkannt würde. Heute profitiereen ja die Reichen noch von der politischen Uneinigkeit. Aber das sollte sich ändern, wenn verstanden wird, daß die Freibeuterwirtschaft keine Zukunft hat.
Ich gehe davon aus, daß sich eine in einer Nation erfolgreiche Wirtschaftspolitik international verbreitet. Gute Idee setzen sich am Ende durch. Davon gehe ich aus.

Wir dürfen nicht den Fehler machen, aufgrund der DERZEITIGEN Übermacht einer als falsch erkannten Wirtschaftstheorie darauf zu verzichten, eine bessere Alternative anzubieten.

viele Grüße
dein joachim

Erebos [Mitglied]
25.11.05 @ 22:26

Hallo Jo,
Dem stimme ich vollkommen zu. Jedoch denke ich, dass man eben erst das Thema international ansprechen sollte, bevor man handelt. Ich hatte dich so verstanden, dass man, komme was wolle, diese "neue"(sie ist lange zeit bekannt) Wirtschaftstheorie durchsetzen sollte. Dies geht aber nicht als einziges Land der Welt. Dass sich gute Ideen verbreiten, ist slebstverständlich. Jedoch wird die neue Theorie in der Praxis scheitern, wenn nicht mehrere mitspielen und deswegen keine Verbreitung finden, so denke ich zumindest.
Auf jeden Fall müssen wir wieder hin zu Keynes und weg von der "unternehmerfreundlich"(auf Unternehmer ausgerichtenteten, würde besser passen) Politik. Aber darüber wagt es ja niemand auch nur zu denken! Ausnahme ist die von allen Parteien nicht anerkannte und unterdrückte Linkspartei(welche allerdings auch nich das Heil der Welt darstellt).

Viele Grüße
Erebos

Hanjoheyer [Mitglied]
25.11.05 @ 22:51

Zustimmung!

die Zinsen kann man wohl kaum im Alleingang abschaffen, aber vieles Andere könnte man schon in die Wege leiten. Wichtig ist es natürlich, für die neuen Ideen Werbung zu machen. In der ZEIT v. 3.11., die ich heute las, fand ich sogar eine diesbezügliche Anzeige von Prof. Götz W. Werner mit dem Titel: "Ein Grund für die Zukunft: das Grundeinkommen." Von Werner stammt auch die Idee, die Mehrwertsteuer als (fast) einzige Steuer auf ca. 40 % zu erhöhen.

Link zur Anzeige: www.unternimm-die-zukunft.de

jo

Abraham Goebel [Besucher]

27.11.05 @ 07:43
Interessante Diskussion. Ich sehe Wirtschafts- und Sozialsysteme gerne unter mathematisch-statistischen Aspekten. Letztlich ist es doch so, dass jedes "System", ein Spiel ist; es funktioniert, solange sich die Menschen an die Spielregeln halten (können); warum sage ich "halten können" und nicht einfach "halten"? Weil die mathematisch-statistischen Gesetze, die Wirtschafts- und Sozialsystemen zugrunde liegen und in der Regel in der Öffenttlichkeit nicht diskutiert werden, dazu führen, dass der Einzelne sich nicht an die Spielregeln halten kann, ohne seine Überleben (bezogen auf alle drei Ebenen: Körper, Seele, Geist) zu gefährden. Beipielsweise kann das System so strukturiert sein, dass um sein körperliches (materielles) Überleben zu sichern, man seinen Geist aufgeben und seine Seele verkaufen muss; oder um seine Seele zu retten, muss man materielle Not in Kauf nehmen etc.

Jedes soziale Problem der neueren Zeit lässt sich letztlich dadurch erklären, dass versucht wird, "das Lebendige" (zu dem auch der Mensch in seiner Gesamtheit gehört) in mathematisch-statistische Gesetze zu zwingen und es so das Verhalten beherrschbar und kontrollierbar zu machen, was zu einer fragwürdigen Systemstabilität führt.

Die Bewusstseine der Menschen treten in Wechselwirkung mit dem jeweiligen Spiel und seinen Spielregeln; so dass es entweder zu politischem Druck auf Veränderung der Spielregeln oder zu einer Bewussteinsanpassung der Menschen an die Spielregeln kommt.

Allerdings lassen sich Spiele nicht reformieren; das ist der tiefere Grund des Politikversagens. So lange beispielsweise an der Staatsverschuldung nicht gerüttelt wird, wirken sich die mathematisch-statistischen Gesetze der "Zinsknechtschaft" im System ungestört weiter aus; jeder Reformversuch muss deshalb scheitern.

Man muss zunächst also einmal die mathematisch-statischen Grundlagen eines Systems erfassen, doch diese Grundlagen sind praktisch "Geheimwissen"; nicht deshalb weil es verheimlicht würde, sondern weil die meisten (v.a. die künstlerisch begabten) Menschen mit Mathematik und Statistik nichts anfangen können, was eben dazu führt, dass die Systemnutzniesser sich gerade diese Naivität der Menschen in Bezug auf mathematische und statistische Zwänge zu Nutze machen; so ist es denn dann auch zu erklären, dass heute der Zwang nicht über einen Despoten oder Führer ausgeübt wird, sondern der Zwang von "unsichtbaren", dem System zugrundeliegenden mathematischen und statistischen Gesetzen gehorcht. Das nennt man dann den "Markt" oder die "Globalisierung" usw.

Das ist ganz sich er ein gewolltes Phänomen. Man kann auch beobachten, dass diejeinigen, die Nutzniesser des so strukturierten Systems sind, alles in ihrer Macht befindliche tun, um selbst diesem System zu entkommen. Da wird auf der einen Seite der freie Wettbewerb in den Himmel gelobt, man selbst aber lässt sich Euro 20,000 im Monat auf Lebenszeit garantieren; oder da wird von Leistungsgereichtigkeit gesprochen; man selbst aber lässt sich Millionen an Abfindungen bezahlen, so bald man versagt hat.

Es ist doch leicht einsehbar, dass diejenigen, die die Systeme "gestalten", selbst sehr wohl wissen, dass es ein Spiel ist, dessen Spielregeln eben nur für die anderen gelten! Schon früher hat man von den Klerikern gesagt, dass sie Wasser predigen, aber Wein saufen.

Heute gilt das vornehmlich für die wirtschaftliche Elite des Systems. Sie predigen Globalisierung und freien Wettbewerb, Ich-AG und die Risikogesellschaft, sich selbst aber sichern sie ab, wo es nur geht, d.h. mit Hilfe von Renten, Privilegien, Tantiemen, Rechten, Optionen, Seilschaften, Geheimbünden, Pakten, Versicherungen, Posten, Gehältern, Investments usw.

Grüsse,
Kowalski

Chris [Besucher]

29.11.05 @ 18:54
Hallo,

ich sehe das ähnlich. Heutzutage werden die Gesetze der Witschaft genauso behandelt, wie die Gesetze der Physik. Es hat sich, soviel ich weiß, heute ein eigener Fachbereich namens "Econophysics" etabliert, in dem die Methoden der statistischen Physik auf die Ökonomie angewendet werden. Die statistische Physik wird dann verwendet, wenn man eine sehr große Zahl an identischen Teilchen hat, das heißt, man kenn die Eigenschaften eines einzelnen Teilchens und kann daraus Aussagen über ein System aus sehr vielen Teilchen treffen. Um dieses Prinzip erfolgreich auf die Ökonomie anwenden zu können, muß man also die Verhaltenseigenschaften der Menschen kennen. Darum muß man dafür sorgen, daß die Menschen nach eindeutig festgelegten Regeln "funktionieren". Um herauszufinden, wie diese Regeln aussehen, muß man sich die Propaganda ansehen, mit der wir ständig bombadiert werden, z.B. in Form von Werbesprüchen wie "Geiz ist geil". Solange sich jedes Individuum so verhält, dass er nur auf seine eigene Gier fixiert ist, und gegenüber seinen Mitmenschen nur Neid empfindet, funktioniert die Statistik, und wer sie richtig anwenden kann, wird reich. Verhalten sich die Menschen nach anderen Regeln, löst sich die ganze Statistik in nichts auf, und wer heute reich ist, hätte dann nichts mehr.

Viele Grüße,

Chris

Hanjoheyer [Mitglied]
02.12.05 @ 08:51

Hallo Chris,

ja, die Quantifizierung des Menschen schreitet immer weiter voran. Die Konzerne, mehr noch die Werbeindustrie, glauben immer mehr, es gebe einen linearen Zusammenhang zwischen Werbebudget und Kauflust der Leute. Daß zB eine blöde Werbung die Kauflust schmälert, kommt im Kalkül der Werbemacher nicht vor. Sie haben ihren Blick auf die Inhalte fast völlig verloren. Inhalte sind statistisch auch nicht erfaßbar. Den TV-Programmachern sind Inhalte auch vollkommen schnuppe; allein die Einschaltquote zählt.

Die Bosse vertrauen darauf, daß der Mensch zur berechenbaren Zahl wird, wenn sie von ihm ausschließlich Quantifizierbares ermitteln und veröffentlichen und immer nur vom Menschen als Zahl reden. Der Mensch wird sich an die "Wahrnehmung" der Bosse schon anpassen und zur Zahl werden. Inhaltsdiskussionen erübrigen sich dann von selbst.

viele Grüße
joachim

Hanjoheyer [Mitglied]
12.12.05 @ 11:24

Hallo Heinzi,

meine Aussage "Daß zB eine blöde Werbung die Kauflust schmälert, kommt im Kalkül der Werbemacher nicht vor" nehme ich zurück. Die Werbeindustrie ist ergebnisorientiert. Sie tut alles, was den Verkauf einer beworbenen Ware fördert und blickt sicher auf einen reichen empirischen Erfahrungsschatz zurück.

Wir dürfen also die Art der Werbung dahingehend interpretieren, daß sie die Wahrnehmung und die Interessen der umworbenen Konsumenten widerspiegelt.

Wäre der Konsument an Inhalten interessiert, würde die Werbung mit Inhalten werben. Wäre der Konsument bewußter, würde die Werbung weniger mit unterschwelligen (unbewußten) Botschaften agieren.
So werden zB Kaufempfehlungen für keimfreie Lebensmittel oder keimtötende Putzmittel mit dem Putzwahn, der aus dem Gefühl, eine (durch Selbstverrat) beschmutzte Seele zu sein, gekoppelt oder der Wunsch nach einem neuen Auto mit dem Trieb nach sexueller Befriedigung und dem Drang, in der Hackordnung weiter oben zu stehen, in gedankliche Nähe gebracht.

Diese unterschwelligen Kopplungen/Assoziationen sind eigentlich Anzeichen höchst bedenklicher Geisteskrankheiten, aber wenns Geld bringt, werden auch Wahnsysteme verstärkt.

Werbung setzt auf Antiaufklärung, weil sie nur bei Unaufgeklärten fuktioniert. Also wird in ihr so gut wie keine Sachinformation über die Ware gegeben, sondern fast nur noch sachferne positiv geltende Gefühlserregungen an sie gekoppelt.

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