Erobert die Demokratie zurück!
Hauptsache durchregieren
Weiche Themen, billige Texte
Sozialhilfe für alle
Fegefeuer des Marktes
Darwins kluge Erben
Aus der Rolle gefallen
Nach dem Sturm
Schein der Bilder

Erobert die Demokratie zurück!

von Hanjoheyer @ 2005-09-20 - 10:33:09
In diesem unbedingt lesenswerten Beitrag des österreichischen Schriftstellers Robert Menasse ( http://www.zeit.de/2005/38/Wahlkampf?page=all ), Pflichtlektüre für jeden, der wenigstens einigermaßen wissen will, was in der Welt los ist, heißt es (Fett: Hervorhebungen von mir):

"Hinter dem Abbau des Sozialstaats hat unbemerkt ein dramatischer Demokratieabbau stattgefunden. Zur Wahl steht, welche Macht Bürger und Parlament noch haben

Von Robert Menasse

"... Für die Arbeiterbewegung hatte die deutsche Bourgeoisie den Begriff »vaterlandslose Gesellen« geprägt und durchgesetzt – heute fleht die deutsche Sozialdemokratie auf Knien das international agierende deutsche Kapital an, an das Vaterland zu denken und im Land zu bleiben, während es der DGB Jahr um Jahr nicht schafft, auch nur einen Schritt in Richtung zumindest eines europäischen Gewerkschaftsbundes weiterzukommen. Verkehrte deutsche Welt! Versucht man, die Praktiken großer Unternehmen, den Staat zu erpressen, bis dieser den Konzernen Steuerbefreiung gewährt, als das zu bezeichnen, was es ist, nämlich Klassenkampf – wird man als einer verhöhnt, der sich aus der »historischen Mottenkiste« bedient. Hätte man nicht von einem sozialdemokratischen Kanzler oder von seinem an Karl Chemnitz vormals Marx geschulten Vizekanzler erwarten können, auszusprechen, wo hier die »Mottenkiste« steht: nämlich bei jenen, die zurückwollen hinter die sozialen Errungenschaften des letzten halben Jahrhunderts, ...

Das ist Deutschland heute: Die Restauration tritt auf als Zukunftshoffnung, während Rot-Grün kaum noch imstande ist, ihr Parteiprogramm zu restaurieren. Wild entschlossen, wieder einmal einem »internationalen Trend« jene Willfährigkeit zu erweisen, die schon sehr bald als »Befehlsnotstand« gegenüber dem Weltgeist entschuldigt und mit einem geläuterten »Nie wieder!« ad acta der Geschichtsbücher gelegt werden wird, wetteifern Regierung und Opposition darum, vor einer Wahl mit größerer Glaubwürdigkeit zu verkünden: »Wir haben keine Wahl!« Weil: »die internationale Entwicklung!« Die »Globalisierung!«. Der »Standort!«. »Schmerzliche Einschnitte« für die »Wettbewerbsfähigkeit«. So viel Identität der Phrasen bei aller Differenz der Meinungen!

»Internationale Trends« und »demokratische Normalität« – diese Begriffe bezeichnen auch das Unglück im Glück der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die klassische Demokratieformel – das Wechselspiel zwischen Konservativen mit restriktiver Haushaltspolitik, bis so viele Menschen ihren Anteil am wachsenden gesellschaftlichen Reichtum fordern, dass die Sozialdemokraten die Mehrheit erlangen und ihn so lange verteilen, bis wieder die Konservativen gewählt werden, um das Budget in Ordnung zu bringen, und immer so weiter – ist ebenfalls in Deutschland auf den Kopf gestellt worden. In der Epoche eines international höchst erfolgreichen sozialdemokratischen Vierteljahrhunderts währte die sozialdemokratische Kanzlerschaft in Deutschland gerade einmal eine »heiße Viertelstunde« – in der Berufsverbote für Linke beschlossen wurden. Und das Geld floss statt in den Ausbau des Sozialstaats in den Aufbau eines »starken Staats«. Alsbald wurden die Sozialdemokraten kalt abserviert von einem Unions-Kanzler, der aus dem Vollen schöpfte und es mehr als ausschöpfte. Dieser Kanzler stand wie eine Mühle stoisch im Gegenwind und mahlte die Geschichte klein, während die Linke, längst schon untergegangen und daher mit Titanic als ihrem Zentralorgan, dagegen anritt. Und als dann ganz Europa konservativ wurde, sah sich Rot-Grün gezwungen, just das zu tun, was klassisch die Aufgabe jener gewesen wäre, die sie gerade abgelöst hatten: sanieren.

Und noch einmal: Jetzt, da der Weltgeist wieder nach links geht, droht in Deutschland die konservative Wende. Wer mit dem Anspruch an »deutsche Normalität« kann das normal finden?

Worum geht es jetzt also bei der Wahl? Sicherlich nicht um das Kanzleramt. Lediglich die, die es anstreben oder verteidigen, behaupten anderes. Was nämlich objektiv fehlt, ist eine einigermaßen vernünftige Begründung dafür, warum Frau Merkel Kanzlerin werden oder warum Herr Schröder Kanzler bleiben solle. Alle politischen Entscheidungen der letzten Jahre, die dazu geführt haben, dass der amtierende Kanzler das Vertrauen der Bevölkerung weitgehend verloren hat, wurden von der Union mitgetragen. Just für diese Politik will Frau Merkel jetzt selbst das Vertrauen der Bevölkerung. Und Herr Schröder kämpft darum, das Vertrauen der Bevölkerung für die Politik zurückzugewinnen, die er die »seine« nennt, während für exakt diese seine Politik in allen Umfragen die Union die Zustimmung der Mehrheit hat. Dieser simple objektive Sachverhalt, bereits von Fontane als »deutsches Stiefzwilling-Phänomen« bezeichnet, kommt in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht vor – obwohl an den mir bekannten deutschen Mittagstischen nur davon die Rede ist.

... In Wahrheit wird die Wahl am 18. September keine demokratische Richtungswahl, sondern muss eine Richtungswahl über Demokratie werden. Die Frage ist nicht, ob Frau Merkel oder Herr Schröder in der längst eingeschlagenen Richtung weitergehen, sondern ob es in Deutschland gelingen wird, verlorenes demokratisches Terrain zurückzuerobern – und dadurch erst wieder wirkliche Alternativen aufzutun.

Hinter der Politik des Sozialstaat-Abbaus der vergangenen zwei Legislaturperioden hat nämlich weitgehend unbemerkt ein dramatischer Demokratieabbau stattgefunden. Und nur durch diesen Demokratieabbau erscheint der Sozialabbau so alternativlos und naturgewaltig. Warum ist denn die Politik der Regierung Schröder von der Union mitgetragen worden? Warum sind rund neunzig Prozent der im Bundestag beschlossenen Gesetze einstimmig verabschiedet worden? Weil die gewählten Volksvertreter gar nicht anders konnten. Sie sind, wie alle Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, durch einen Zusatz in der eigenen Verfassung gezwungen, EU-Verordnungen und -Richtlinien umzusetzen. Das heißt, die Mitgliedsstaaten haben sich eine übergeordnete Instanz gegeben, mit deren Hilfe so schnell und flexibel, wie es den kurzfristigen Wirtschaftsinteressen entspricht, undemokratisches Recht gesetzt werden kann. Die EU-Gesetze werden von EU-Rat und -Kommission beschlossen – Instanzen, deren Repräsentanten nicht demokratisch in diese Funktion gewählt sind. Zum Trost dürfen die Menschen ein Europäisches Parlament wählen – das aber keine gesetzgebende Gewalt hat. Kurz: Den nationalen Parlamenten ist jede Macht entzogen, das übergeordnete supranationale EU-Parlament hingegen ist nie in demokratische Macht gesetzt worden. In diesem Verhältnis versickert seit Jahren die Demokratie. ...

Zugleich haben sich die nationalen Verfassungsgerichte von ihren Kontrollbefugnissen zurückgezogen. Die EU verlangt das – Argument: Harmonisierung von Recht(sprechung) in allen Mitgliedsstaaten. Denn wenn in allen Mitgliedsstaaten die Rechtsordnungen unterschiedlich sind, behindert das den wirtschaftlichen Verkehr. Dadurch aber ist das undemokratische EU-Recht auf dem Weg, unser System ganz zu durchdringen, also letztlich alle demokratischen Strukturen abzubauen und demokratisch vernünftige Prozesse zu behindern. So konsequent antidemokratisch läuft das »Zusammenwachsen Europas« ab: Harmonisierungen, die in keinem Mitgliedsstaat eine Chance auf demokratisch mehrheitliche Zustimmung hätten, werden rasch beschlossen und umgesetzt, während wünschenswerte Harmonisierungen, wie zum Beispiel die des Steuerrechts, von Rat und Kommission nicht nur behindert, sondern explizit verboten werden. Eine Harmonisierung des Steuerrechts würde die einzelnen Mitgliedsstaaten davor schützen, von Konzernen mit Abwanderung in billigere EU-Staaten erpresst zu werden. Ein Harmonisierungsbeschluss erfordert aber just in dieser Frage »Einstimmigkeit«, er kann also durch das Veto eines einzigen europäischen »Steuerparadieses« verhindert werden. Begründung: Förderung des Wettbewerbs! – Plötzlich aber nicht Förderung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen, sondern des Wettbewerbs machtloser Nationalstaaten um die Gunst der Unternehmen.

Mit welchem Recht buhlen jene, die das als Mitverantwortliche zulassen und befördern, jetzt um die Gunst der Wähler? Mit welchem vernünftigen Argument wollen sie jetzt in eine Verantwortung gewählt werden, die sie schon längst abgegeben haben? Mit welcher schlagenden Begründung soll man sich jetzt für eine Partei oder Koalition stark machen? Weil man lieber von den einen als von den anderen geschlagen werden will?

Unter dem Titel »Zusammenwachsen« sollen wir trennen, was untrennbare Ansprüche sind: Demokratie und Friede. Im EU-Verfassungstext kommt »Markt« 78-mal vor, »Wettbewerb« 27-mal, »demokratisch« viermal, »Vollbeschäftigung« nur einmal. Aber der Friede! Gab es einen einzigen Sonntag, an dem nicht in einer Rede von politischen Würdenträgern das faszinierende »Friedensprojekt EU« beschworen wurde? Als wäre Friede ein Trostpreis für den Verlust demokratischer Partizipation. Als wäre Friede nur durch internationale Vernetzung einer Wirtschaftspolitik möglich, die zu immer größerer Verelendung großer Teile der Gesellschaften führt – und nicht durch Friedenspolitik. Dass heute der soziale Abbau mit dem Baldachin des »Friedens« überspannt werden kann, zeigt, dass der letzte Krieg wieder einmal zur Erpressung in Friedenszeiten missbraucht wird. Das kannten schon die so genannten Ossis, und genau das hatten sie satt: den Mangel legitimiert zu bekommen durch Friedensrhetorik. »Starrt in diesen Himmel, der über euch aufgespannt wurde, und vergesst euch selbst!« Das ist der gegenwärtige himmlische Friede Europas, »Friede den Palästen« seine ganze friedenspolitische Anstrengung.

Dieser Friede ist Schein, weil er den militärischen Krieg exportiert und im Inneren den sozialen Frieden bedroht. Friede, gerade unter der Voraussetzung der Globalisierung, kann nur eine Globalisierung der demokratischen Freiheit sein. Allerdings keine international militärisch erzwungene Scheindemokratie, die nur ein trüber Zerrspiegel der demokratischen Defizite »zu Hause« ist.

Worum also kann es bei der nächsten Wahl gehen? Immer mehr Menschen wollen ihre gewählten Vertreter zur Verantwortung ziehen. Sie wollen, dass sie die Verantwortung wieder übernehmen, die ihnen gegeben war. Die Frage ist also, ob durch die kommende oder überhaupt eine Wahl eine Konstellation herstellbar ist, die diese gesellschaftliche Dynamik befördert statt beruhigt. Die bloße Wut, die gärende Unzufriedenheit der überwältigenden Mehrheit sind die erste demokratische Antwort auf die Selbstabschaffung der Demokratie im europäischen und globalen Kontext. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung aber wird sich auch nach einem Wechsel nicht ändern, wechseln werden nur die Adressaten der gesellschaftlichen Wut.

... Die vorgezogene Wahl ist durch eine gesellschaftliche Dynamik erzwungen worden, die nicht nur der Union demoskopischen Aufwind gab, sondern auch eine neue Linkspartei beförderte. Die Wende in Deutschland kommt janusgesichtig. Mit der Fusion des Ex-Stalinisten Gysi und des Psycho-Stalinisten Lafontaine ist ein mögliches Korrektiv zur neoliberalen Entwicklung entstanden, das die deutsche Sozialdemokratie und die Grünen seriös bedauerlicherweise nicht werden konnten. Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte, wenn man nur überprüft, wie viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter für dieses Linksbündnis kandidieren.

Objektiv aber bekommt es jetzt vielleicht innerhalb des Kapitalismus die Funktion, die dieser verkommene Sozialismus vor 1989 von außen hatte. Denn so katastrophal der Stalinismus für die von ihm beherrschten Länder war, so positiv wirkte er sich als Korrektiv von außen auf den Kapitalismus aus. Sozialstaat und soziale Marktwirtschaft sind ja nicht aus schierer Unternehmerlogik entstanden, sondern als Konsequenz der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Westen und Osten. Die nächste Regierung wird diese Linkspartei hassen, aber sie wird, falls die Linkspartei eine gewisse Stärke erreicht, sozialpolitisch so auf sie reagieren müssen wie früher der Westen auf den Osten.

Das ist noch so eine ausgleichende Ungerechtigkeit: Als das Korrektiv »drüben« zusammengebrochen war, wurde sofort begonnen, den Sozialstaat triumphalisch abzubauen – ohne zu bedenken, dass man das Korrektiv nun herüben hat, noch dazu sehr teuer eingekauft. Jetzt spielt es wieder seine alte, einzig vernünftige Rolle. Populistisch? Na und? Die den Vorwurf erheben, sind Populisten, die nicht populär sind.

Das ist die Lage Deutschlands in diesem Herbst. Der Weltgeist ruft: Ich fordere keine Willfährigkeit, sondern Vernunft, keine Übertreibungen, sondern Konsequenz! Fürchtet euch nicht! ..."

Mein Kommentar: Die Tatsache, daß wir in Deutschland eine auf dem Kopf stehende Revolution haben - die sogenannten Konservativen revoltieren mit ihrem Neoliberalismus gegen die Demokratie, und die Linken wollen die sozialen Errungenschaften konservieren - ergänzte Menasse um das nicht unerhebliche Detail, daß in Deutschland die Linken die Rechte des Wirtschaftsdespotismusses stärkten und die wirtschaftsfreundlichen Schwarzen unter Helmut Kohl das soziale Netz noch ausbauten. Dies bewirkte bei der Bevölkerung eine große Akzeptanz der Schwarz-Gelben, der eigentlichen programmatischen Verräter der Demokratie. Das vorgestrige Wahlergebnis entspricht der Verwirrung, die dieses paradoxe Szenario beim Wähler ausgelöst hat.

Als Ende der Achtzigerjahre der Ostblock zusammenbrach, wurde ich nicht müde zu prophezeihen, daß es nun auch bald mit unserer Glitzerwelt zuende gehen würde, denn der Kapitalismus habe es nach seinem Sieg nicht mehr nötig, Kreide zu fressen und könne nun - exakt nach dem Vorbild von "Rotkäppchen und der Wolf" seine Zähne zeigen und rufen: "Damit ich dich besser fressen kann!" (siehe meine Fabel weiter unten!)

Neu für mich war Menasses Gedanke, daß die Linkspartei nun im Innern jene Funktion erfüllt, die ehemals der Ostblock von außen her innehatte. Obwohl durch und durch korrupt, zwang er den Westlichen Raubtierkapitalismus, sich ein Schafsfell überzuziehen und auf Sozial zu machen. Eine starke Linkspartei könnte eine Rot-Grüne oder eine Schwarz-Gelbe Regierung (welche, ist egal) zwingen, das Soziale Netz (noch) nicht zu zerschneiden.

Menasse bestätigt voll und ganz meine Analyse, daß wir augenblicklich einem Prozeß beiwohnen, einem neuen Kalten Krieg, (der jedoch sehr schnell heiß werden könnte und jenseits unserer Grenzen schon sehr heiß ist!) in welchem Feinde der Menschheit die menschliche Kultur bewußt zerstören wollen. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann mag in Gegenwart gekaufter Richter sein Victory-Zeichen selbstewußt hochrecken, aber er und Seinesgleichen werden am Ende doch nicht siegen, denn - wie schrieb ich in www.hanjoheyer.de/notiz18.html die Fabel:

Letzte Erkenntnis: Ein Schmetterling wurde von einem Wolf (im Schafspelz) gefressen. Der Wolf erhob sich und flatterte davon. Als er zu seiner Familie zurückgekehrt war, sagte er: "Ich mächtiger Wolf! Ich fraß den Schmetterling!" Und der Schmetterling dachte bei sich selbst: "Laß ihn in seinem Glauben!" und er breitete seine Flügel über die Erde, und überall, wo der Staub von seinen Flügeln fiel, sproß das bunte Leben.

Die Macht des Geistes ist letztlich stärker, als die Macht der Materie, obwohl es laut Joh.3.31+32 anders ausschaut: "Des Geistes Zeugnis nimmt niemand an". Die Materie, der Materialismus, der Neoliberalismus, diese neue Perversion der Freiheit, mag siegen in der objektiven Welt, aber in uns Subjekten kann jeder Einzelne seinen persönlichen, subjektiven - und damit realen - Sieg des Geistes herbeiführen.

Wir brauchen es nur wollen - in der toten Welt des Sachzwanges!

Hauptsache durchregieren

von Hanjoheyer @ 2005-09-22 - 12:10:39
Von Thomas Assheuer
http://www.zeit.de/2005/38/Konservative

"... Im Programm der CDU ist kein konservatives Projekt zu erkennen. Doch der Schein trügt. Hinter der Konturlosigkeit steckt ein klares Konzept: Der Traum vom Rückzug des Staates aus der Gesellschaft.

... Sieben Jahre Opposition, und keiner vermag genau zu sagen, was Christdemokraten wahrhaft wollen.

Was aber, wenn der Schein trügt und die Unklarheit selbst Programm ist? ... Salbungsvolle Versprechen, vollmundige Konzepte, kernige Lösungen – für konservative Vordenker sind das die Rezepte von gestern. Sie sind untauglich, weil programmatische Versprechen im Volk Erwartungen wecken, die im Investorenkapitalismus niemand mehr erfüllen kann. ...

... Wenn der Staat nicht länger von sozialer Verantwortung eingeschnürt und es ihm endlich wieder erlaubt sei, in kompromissloser Klarheit zu handeln, dann komme »Leben« in die verweichlichte, dem tragischen Ernst entfremdete Gesellschaft. ...

... Sie hatte ein klares und brutales Ziel: Mit ihr sollte ein scharfer Schnitt gemacht werden, um sich der Verlierer und der Schwachen, der Habenichtse und selbst ernannten Opfer zu entledigen. Ungeschminkt forderte die Weimarer Rechtsintelligenz, den Staat von Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen zu entpflichten, denn seit Menschengedenken gehöre zur Gleichheit naturgemäß die Ungleichheit zwingend dazu. Eine Demokratie verdiene auch dann noch, Demokratie genannt zu werden, wenn sie einen Teil der Bevölkerung »ausscheide« – wie im alten Athen.

... Ihrer Ansicht nach existiert weder eine Krise des Wachstums noch das Problem gesättigter Märkte; Grund für die deutsche Misere sei allein die Unfreiheit der Wirtschaft und die Last sozialer Verantwortung, die dem Staat aufgebürdet worden sei. Drastischer gesagt: Es gibt zu viele Modernisierungsverlierer, die den Staat mit ihren Komfortansprüchen unters Joch zwingen und ihn der Souveränität berauben, der Wirtschaft die Freiheit zurückzugeben. Deshalb muss man nicht besonders hellhörig sein, um aus dem Satz, die »Frustrierten« dürften nicht über den Wahlausgang bestimmen, die Klage herauszuhören, ohne die illegitime Macht der Jammerlappen und des nicht mehr verwertungsgeeigneten Humankapitals sei die politische Elite in der Lage, das deutsche Staatsschiff wieder auf Kurs zu bringen.

Der christdemokratische Ruf nach Entscheidung, und nichts anderes ist Angela Merkels Wunsch nach störungsfreier Anwendung von Macht (»Durchregieren«), passt übrigens vortrefflich zum Verzicht auf konservatives Moral- und Wertebewusstsein. Der Grund ist einfach. Merkels »Politik aus einem Guss« funktioniert umso reibungsloser, je weniger Moral bei ihrer Durchführung im Wege steht – Werte stören das Regierungssystem bei der Arbeit. Das heißt, die Abrüstung konservativer Leitwerte bedeutet nicht unbedingt eine Liberalisierung der Partei; die Freiheitsrhetorik hält vielmehr die Erwartungen der Bürger in Schach und macht Anspruchsmentalitäten geschmeidig für eine Politik der Entscheidung.

... Die Macht wandert aus der Politik aus, ihr Hoheitsgebiet schrumpft. Viele börsennotierte Unternehmen liefen unter Rot-Grün zu Hochform auf; ihre Gewinne stiegen, doch Arbeitsplätze gab’s kaum.

Vor diesem Hintergrund ist es auf trostlose Weise konsequent, wenn die CDU ihre programmatischen Versprechen abrüstet und politische Perspektiven durch Machttechniken (»Durchregieren«) ersetzt. Entsprechend drängt sie den Staat zum Rückzug aus der Gesellschaft, denn je mehr der Einzelne für sein Schicksal verantwortlich ist, desto weniger Verantwortung muss der Staat tragen. Deshalb sollen Gerechtigkeitserwartungen ausgenüchtert, Risiken privatisiert, ethische Regulierungen der Wissenschaft aufgehoben und fiskalpolitische Ausnahmeregelungen für soziale Wünschbarkeiten abgeschafft werden. Kurzum, der Bürger wird in den »Garten der Freiheit« (Paul Kirchhof) entlassen. In diesem Garten führen die Wege erst einmal nur in eine Richtung, nämlich in den Zwang zur ökonomischen Selbstsorge, während der Staatsgärtner dafür sorgt, dass das soziale Bodengewächs deutschen Eichen nicht das Wasser abgräbt. ...".

Mein Kommentar: Da sich dieser Artikel inhaltlich mit anderem bereits Zitierten deckt, habe ich hier nur einen einzigen Aspekt herausgegriffen. Meine Zitate spiegeln nicht den gesamten Artikel Assheuers wider.

Bestätigung fand mein Gedanke, daß Politik gleichwie die Gesetzgebung in einem künstlichen Nebel aus tausenden immer wieder neuen "täglich aktuellen" falschen und widersprüchlichen (Des-)Informationen verborgen wird, damit das Volk die wahren langfristigen Absichten der Politiker nicht durchschauen kann. Wer seine Ideologie geheim halten will, erklärt, daß er keine habe - daß er pragmatisch handele, und wer systematisch Gesetze brechen will, muß dafür Sorge tragen, daß der Gesetzesdschungel für den Laien unduchsichtig bleibt.

Als die 68er Generation an den Unis studierte, lernte sie, daß Moral eine Angelegenheit des Konsenses sei; sie habe keinen metaphysischen Hintergrund; es gebe keine absolute (göttliche) Instanz, keine Hölle, kein Fegefeuer. Also werde man für unmoralisches Handeln nicht bestraft. Es gebe kein Karma.

Dann lernte diese Generation, daß es weder Willensfreiheit noch Bewußtsein gebe; außerdem sei evolutionstheoretisch bewiesen, daß das Leben keinen Sinn, die Evolution kein Ziel habe, die Welt sei physikalisch geschlossen: alles versinke im Sumpf aus Zufall und Notwendigkeit. Also könne man ungeniert machen, was man wolle (die Gene vorschreiben). Heute sitzt diese auf diese Weise skrupellos gewordene Generation an der Regierung und in den Vorständen der Konzerne.

Das wichtigste zu verschleiernde Ziel ist, daß die Wirtschaft nicht mehr daran denkt, die überflüssigen Mitesser durchzufüttern. Die falsch verstandene Evolutionstheorie bestätigt ihren Egoismus: Wenn ich nicht rücksichtsloser bin, als meine Konkurrenten, werde ich verlieren im ewigen Kampf ums Überleben. Leider sind diese Leute nicht imstande, zu verstehen, daß Gewinnmaximierungsmodelle immer scheitern, und daß ausschließlich gewinnoptimierende Systeme stabil sind.

Ein Rudel Löwen, das innerhalb kurzer Zeit die Büffelherde metzelt (und dann verhungert), ist zwar bei der Jagd maximal erfolgreich, aber es wäre optimal erfolgreich, wenn sie nur so viele Büffel erlegen, daß immer genug für künftige Generationen nachwachsen.

Der Neoliberalismus ist gewinnmaximierend definiert, also zum absolut sicheren Untergang bestimmt (der Maximierer hat kurzfristig mehr Macht als der Optimierer). Das ist der Trost der "Überflüssigen": Wahr ist, sie sind wichtig; sie werden zum Überleben der Menschheit dringendst gebraucht!

Wer nicht an die Andern denkt, nimmt selber Schaden! Das Gesetz des Karma funktioniert.

Weiche Themen, billige Texte

von Hanjoheyer @ 2005-09-24 - 12:19:09
http://www.zeit.de/2005/38/Medien?page=all

Das Niveau der regionalen Presse sinkt dramatisch. Wie die Freiheit der Information dabei zugrunde gehen kann, zeigt das Beispiel des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages in Flensburg

Von Ulrich Stock

... Der affirmative Blick auf die Heimat wird gerahmt von allerlei Mord und Totschlag, die es ja leider auch gibt. Mehrmals berichtete der Holsteinische Courier in Neumünster über zwei Polizisten, die eine überfahrene Katze in einen Müllkübel geworfen haben. Selbst wenn das Tier, wie behauptet, noch nicht ganz tot gewesen sein sollte: Die Artikel kosteten die Emotion weidlich aus (»Nur unsensibles Fehlverhalten oder brutaler Mord?«), denn die Aufregung über einen Sachverhalt kann seine nüchterne Bewertung glatt ersetzen – das hat die Heimatzeitung von der Bild-Zeitung gelernt.

... Was hier für den sh:z beschrieben wird, ist inzwischen bei vielen Regionalzeitungen Standard: Boulevardisierung der Form, um nicht verschlafen zu wirken, und tägliches Lob der Gegend, denn sie ist der ultimative Grund, ein regionales Blatt zu lesen. Die Kritiklosigkeit, die den Lokaljournalisten seit je als Vorwurf begleitet, darf er heute guten Gewissens ins Positive wenden: als aktiven Beitrag zur Identifikation mit einer Gesellschaft, deren innerer Zusammenhalt auch in der Provinz spürbar nachlässt.

... Zeitgemäße Regionalzeitungen sind keine Käseblätter mehr, es sind Crème-fraîche-Blätter, leicht, modern, bekömmlich für den, der noch was lesen will, bevor er den Fernseher anmacht.

Wenn der neue Harry Potter-Band in der Herstellung ist, berichtet der sh:z detailliert über die Geheimhaltungsmaßnahmen bei der Druckerei Clausen & Bosse im nordfriesischen Leck. Gibt es aber bei diesem Büchermacher, einem der größten Europas, einen Arbeitskampf, acht Wochen lang mit vier Warnstreiks und etlichen Protestveranstaltungen, dann erfahren Hunderttausende sh:z-Leser im Lande nichts davon. Als ob der tarifliche Strukturwandel uninteressant wäre und nicht alle Branchen beträfe! Doch Gewerkschaft und Streik – das sind schwierige Themen. Sie erfordern Engagement, Recherche und Nachdenken, journalistische Grundaufgaben, für die beim sh:z kaum noch Zeit ist.

Denn seine journalistischen Ressourcen sind knapp und werden immer knapper. Vergangenes Jahr hat der Verlag 25 seiner Redakteure entlassen und ein weiteres Dutzend in den Vorruhestand geschickt – fast ein Drittel der Mannschaft. Dies nicht, weil man rote Zahlen geschrieben hätte, sondern um sich besser aufzustellen für eine Zukunft, die wirtschaftlich schwieriger zu werden droht als die Gegenwart. Die Zeiten, da Regionalzeitungsverleger mühelos verdienten – sie sind vorbei.

Zum 1. August 2005 hat der sh:z nun alle seine 16 Sportredakteure entlassen, um sie in einer Tochterfirma wieder einzustellen; allerdings nicht mehr als tarifgebundene Redakteure, sondern zu deutlich schlechteren Bedingungen. Einige Mitarbeiter werden nach einer Übergangsfrist nur noch gut die Hälfte ihrer bisherigen Einkünfte beziehen. Wie soll man dies anders deuten als eine Entwertung journalistischer Tätigkeit?

Der Deutsche Journalistenverband in Kiel läuft Sturm, hat bisher aber wenig ausrichten können. Auf eine Klage will sich kaum ein Redakteur einlassen; zu hoch scheint das Risiko, bald ganz ohne Job dazustehen. Und die sonst so bissige Mediengewerkschaft ver.di? Sie fährt einen Schmusekurs gegenüber dem sh:z, Seite an Seite mit dem Betriebsrat, der versucht, noch Schlimmeres zu verhindern.

Fährt man dieser Tage im Lande herum, um das Gespräch mit sh:z-Autoren zu suchen, zeigt sich das ganze Elend. Es gibt freie Mitarbeiter, die bekommen zwölf Cent die Zeile und schreiben entsprechend. In den Redaktionsstuben findet sich nichts von der frohen Schleswig-Holstein-Stimmung, die im Blatt verbreitet wird. Noch nie war die Atmosphäre in der Zeitung so schlecht wie jetzt – bloß die Leser merken davon nichts. Denn der sh:z ist sich selbst kein Thema. Und die wenigen anderen Nicht-sh:z-Zeitungen Schleswig-Holsteins – die Kieler Nachrichten oder die Lübecker Nachrichten, die zu Springer gehören – schweigen über die Vorgänge im größten Medienhaus. Auch bei Radio Schleswig-Holstein ist Funkstille, was daran liegen könnte, dass der ohnehin anspruchslose Sender teilweise dem sh:z gehört. Einzig NDR-Hörfunk und NDR-Fernsehen informieren über die Erschütterungen, sehr zum Unwillen der sh:z-Geschäftsleitung, die das als unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten betrachtet.

... Der Bremer Weserkurier und die Oldenburger Nordwestzeitung haben dieses Frühjahr Redakteure in einer Leiharbeitsfirma untergebracht; demnächst wird sich das Arbeitsgericht Oldenburg mit der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens befassen. Bei der Rhein-Zeitung in Koblenz sieht es nicht besser aus: Da sind seit dem 1. Juli nur noch die Chefs und die Volontäre regulär beschäftigt, die 90 Redakteure sind auf sechs Miniverlage verteilt, ohne Urlaubsgeld und sonstige Garantien der branchenüblichen Tarifverträge.

... Um in der Zerreißprobe der deutschen Gesellschaft zu bestehen, brauchen die Bürger – auch die im hohen Norden – kritische, differenzierte und relevante Informationen. Tag für Tag mitgeteilt zu bekommen, wie schön Schleswig-Holstein ist, wird da auf Dauer nicht reichen, zumal da das ja nicht einmal mehr gewiss ist.

Mein Kommentar: Beginnen möchte ich mit einem Zitat aus Peter Sloterdijks "Kritik der zynischen Vernunft", Bd.2, S. 572:

"Eine Sache ist eine Sache, und mehr läßt das Medium (Zeitung) nicht zu. Zusammenhänge zwischen "Sachen" herzustellen, das hieße ja Ideologie betreiben. Darum: wer Zusammenhänge herstellt, fliegt raus. Wer denkt, muß aussteigen. Wer bis drei zählt, ist ein Phantast. Der Empirismus der Medien duldet nur isolierte Berichte, und diese Isolation ist wirkungsvoller als jede Zensur, weil sie dafür sorgt, daß das, was zusammengehört, nicht zusammenkommt und auch in den Köpfen der Menschen nur schwerlich sich findet. Ein Journalist ist jemand, der von Berufs wegen gezwungen wird zu vergessen, wie die Zahl heißt, die nach eins und zwei kommt. Wer es noch weiß, der ist wahrscheinlich kein Demokrat - oder ein Zyniker."

Ich kann Sloterdijk voll bestätigen. Ich bin für alles, was auch nur im Entferntesten mit einer öffentlichen Institution, zB einer anerkannten Berufsausübung, zu tun haben könnte, unseriös, weil ich Zusammenhänge herstelle, was heute definitiv tabu ist. Ich bin mit diesem Weblog angetreten, Zusammenhänge zwischen Artikeln der ZEIT und diversen philosophischen und spirituellen Systemen und Haltungen herzustellen, was den ZEIT-Redakteuren, wenn nicht verboten, dann von ihren Geldgebern sicher nicht erwünscht ist. Meine philosophischen Artikel finden heute in keiner Zeitung einen Platz. Auch an der Uni, wo ich Philosophie studierte, durfte ich beim Schreiben meiner Hausarbeiten ausschließlich öffentlich genehmigte Zitate aneinanderreihen; eigenes Denken war verboten ("Es fehlt eine Quellenangabe, Herr Heyer! Oder handelt es sich hier um ihre eigene Spekulation? Womit wollen Sie sie belegen?") Ich sollte gezwungen werden, mich geistig in einem von den Professoren vorgegebenen geschlossenen System zu bewegen.

Günter Grass sagte in http://www.zeit.de/2005/39/Gespr_8ach_Grass

"... Es ist nicht nur eine Niederlage der Umfrageinstitute, sondern auch der Medien. Einen solchen Niedergang des Journalismus hab ich in der Bundesrepublik noch nicht erlebt. Brandt hatte sehr starken Gegenwind, aber er hatte die ZEIT auf seiner Seite, den stern, den Spiegel, die Süddeutsche. Schröder hat bis auf einen Teil der ZEIT gegen alle großen Medien kämpfen müssen und das unbeirrbar getan."

Tom Wolfe sagte in einem ZEIT-Interview http://www.zeit.de/2005/39/Titel_2fWolfe_39 auf die Frage:

"ZEIT: Wie beurteilen Sie den Journalismus in Amerika heute?

Wolfe: Er ist in einem außerordentlich schlechten Zustand, und niemand kann etwas dafür. Jetzt, da Karl Marx’ Ruf zerstört ist, stellt sich heraus: Er hatte Recht! Die Zeitungslandschaft besteht nur noch aus lokalen Monopolstellungen, mit zwei oder drei Ausnahmen. Es gibt keinen Wettbewerb, also sinkt die Qualität."

Was heute mit den Zeitungen geschieht, ist beim Radio bereits abgeschlossen. Wir brauchen es nicht mehr. Weg auf den Müll der Geschichte. Die Ergebnisse der PISA-Studie erscheinen nun in einem völlig anderen Licht: Deutschland war mit seiner Volksverblödung zu schnell, zu erfolgreich, und das fiel auf. Damit es nicht auffällt, muß die gesamte Welt im Gleichschritt verblödet werden. Eine für unsere Experten für Weltordnung (s. www.hanjoheyer.de/BergerLuckmann.html )eine lösbare Aufgabe; da bin ich mir sicher.

Interessant, aber den Wirtschaftsbossen leider unbekannt, ist die Parallele der Untergänge von Zeitung, Radio und Fernsehen und dem sogenannten Turbokapitalismus im Sumpf der informationsfreien Beliebigkeit. Es sind dieselben Mechanismen, die die Untergänge herbeizwingen. Wir können diesen Mechanismus studieren, indem wir ein mit Informationen beschriebenes Blatt Papier kopieren, die Kopie wieder kopieren, die Kopie der Kopie kopieren usw... Am Ende haben wir ein weißes Blatt mit beliebigen schwarzen Flecken oder umgekehrt: ein schwarzes Blatt mit weißen Flecken. Ideologiefreie Systeme enden notwendig in dieser Art Beliebigkeit. Ideologiefrei heißt: Man verbleibt im geschlossenen empirischen System.
Eine Kopie machen ist dasselbe wie eine empirische Erfahrung machen. Eine Naturwissenschaft, die immer nur Messungen aufeinander bezieht und induktiv Theorien aus ihnen ableitet, löst sich selbst auf.

Beispiel Gehirn/Bewußtseinsforschung: Bleibt man bei der Empirie, verliert man notwendig alles, was man eigentlich erforschen wollte: Man verliert die Existenz des Geistes, der Seele, des Bewußtseins, des freien Willens, des Lebens, des Forschers selbst. Alle empirischen Systeme enden im Nichts.

Die Wirtschaft will empirisch sein, eine Wissenschaft. Also wird sie zum Nichts implodieren. In meiner HP habe ich diese Gedanken weiter ausgeführt.

Sozialhilfe für alle

von Hanjoheyer @ 2005-09-24 - 23:02:34
In diesem ZEIT-Artikel, siehe http://www.zeit.de/2005/38/Kasten_Arbeitslos?page=all geht es um Versuche, das Problem der Kopplung von Arbeit und Einkommen zu lösen. Der Mensch hat in seinem zivilisatorischen Prozeß die Technik entwickelt, um seine Arbeit zu erleichtern und endlich abzuschaffen. Antrieb war seine Sehnsucht nach dem Paradies auf Erden. Das große zivilisatorische Ziel ist fast erreicht: Immer mehr Menschen müssen nicht mehr arbeiten. Was früher ein Fluch war - ohne Arbeit gab es kein Brot - wird nun zum Segen. Der heutige Mensch des Umbruchs muß umdenken. Der Arbeitslose darf nicht länger als Bremser des Fortschritts, sondern muß als Avantgarde, als Vorbild, gesehen werden. Als Mensch der Zukunft sollte allerdings nicht der gedemütigte, gedrückte, gehemmte, von Depressionen und Minderwertigkeitsgefühlen geplagte Arbeitslose von heute vorgestellt werden, sondern der selbstbewußte Meister des gelingenden Lebens, der Lebenskünstler. Hier in Auszügen der ZEIT-Artikel:

"Links wie rechts entwerfen Vordenker Konzepte für ein Bürgergeld. Doch die einen wollen die Arbeitslosen fördern, die anderen fordern

Von Kolja Rudzio

... Radikaler noch ist die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Es wird von einigen linksalternativen Denkern ebenso wie von einigen liberalen Ökonomen gefordert – allerdings wiederum mit gravierenden Unterschieden. Für Wirtschaftswissenschaftler wie den Nobelpreisträger Milton Friedman oder Thomas Straubhaar, den Präsidenten des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts, heißt das: Alle Sozialleistungen würden abgeschafft, inklusive Renten-, Pflege- oder Arbeitslosenversicherung, die Löhne wären absolut frei, jeder Bürger erhielte aber ein Grundeinkommen, etwa auf dem Niveau des Existenzminimums. Das liegt gegenwärtig bei knapp 650 Euro. Der Vorteil aus ihrer Sicht: weniger Gängelung, keine Bürokratie, mehr Freiheit. Das garantierte Einkommen diene dazu, dass gesellschaftliche Konflikte vermieden würden und »der Gutverdienende und der Kapitalist in Ruhe ihre Arbeit machen können«, sagt Straubhaar.

Andere Verfechter eines bedingungslos gewährten Grundeinkommens oder Bürgergelds haben ein großzügigeres Modell im Sinn. Götz Werner, Inhaber der Drogeriekette dm, plädiert für 1300 bis 1500 Euro. Bei 82 Millionen potenziellen Empfängern würde das etwa dem Doppelten aller heutigen Sozialausgaben entsprechen. Zur Finanzierung solle die Mehrwertsteuer auf bis zu 48 Prozent erhöht werden, alle anderen Steuern würden abgeschafft. ...

Das Problem: Ein hohes Bürgergeld verleitet so manchen zum Nichtstun

Die Ideen sind verschieden, doch der Haken an der Sache ist immer der gleiche. Berechnungen, die belegen sollen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar sei, knüpfen am Status quo an. Über die Dynamik, die so eine radikale Reform entwickelt, lässt sich aber nur spekulieren: Wie viele Menschen werden weniger oder gar nicht mehr arbeiten wollen, wenn es ein großzügiges Grundeinkommen gäbe? Daraus folgt ein Zielkonflikt: Wird das Grundeinkommen so niedrig angesetzt, dass es nur die nackte Existenz sichert, würden die meisten Beschäftigten an ihrem Job festhalten. Das Bürgergeld wäre ja nicht mehr als eine Art Hartz IV für alle. Dann wäre die Entkopplung von Arbeit und Einkommen aber nicht gelungen. Armut, die heute oft als relative Armut im Vergleich zum Durchschnittseinkommen definiert wird, wäre nicht beseitigt und die soziale Lage der Arbeitslosen kaum besser als heute.

Legt man aber ein deutlich höheres Minimaleinkommen fest und wertet damit auch den sozialen Status des Lebens ohne Job auf, dann würde wohl ein größerer Teil der Menschen ihren Arbeitseinsatz reduzieren. Wahrscheinlich würde auch der eine oder andere Schüler schon kürzer treten – es geht ja auch anders. Und Lehrlinge brächen wohl noch öfter als heute ihre Ausbildung ab. Hätten die U-Bahn-Plakatierer damit ihr Ziel erreicht, herrschte dann Freiheit statt Vollbeschäftigung?

Vorsicht. Je mehr Menschen sich tatsächlich ganz oder teilweise aus der Arbeitswelt zurückziehen, desto stärker schrumpft das volkswirtschaftliche Einkommen, das zur Finanzierung eines großzügigen Grundeinkommens nötig wäre. Hinzu kommt: Viele einfache, unattraktive Arbeiten müssten wesentlich teurer bezahlt werden als heute – was den realen Wert des Grundeinkommens verringerte. So landete man am Ende doch wieder nur bei einer Art Sozialhilfe zu erleichterten Bedingungen."

Mein Kommentar: Stimmen die Einwände Rudzios, zu wenige Menschen würden bei einem Einkommen ohne Arbeit noch arbeiten wollen? Das Bürgergeld könne dann nicht mehr erwirtschaftet werden.

Ich denke, Rudzio irrt. Es ist ja nicht so, daß wenige Arbeitende das Bürgergeld für die vielen Arbeitslosen erwirtschaften müßten. Es sind Maschinen, die für die Bürgergeldbezieher arbeiten.

Wir müssen von dem alten Zopf der Statistiker wegkommen, die die Arbeit immer noch "pro Kopf" auf Menschen umrechnen. Ein Mensch, der eine vollautomatische Autofabrik besitzt, kann mit dem Gewinn durchaus 100000 Menschen versorgen. Das kann statistisch richtig sein, aber praktisch ist das Unfug. Klüger ist die Rechnung, nach der der gesamtdeutsche Gewinn, den Mensch und Maschine erwirtschaften, zur Begleichung der Ausgaben, also auch für das Bürgergeld, herangezogen wird.

Falsch ist auch die Behauptung, die Arbeitslosen würden nichts tun. Auch ihr Tag hat 24 Stunden, die verbracht werden müssen - und zwar möglichst sinnvoll. Kein Mensch will sein Leben sinnlos verplempern. Rudzio würde sich wundern, zu was sich "Arbeitslose", die nicht mehr wie heute entmutigt und wie unnütze Schmarotzer behandelt werden, freiwillig aufraffen würden!

Auch das Lernen würden die Menschen nicht aufgeben. Lernen ist ein Urbedürfnis, das den Kindern im frunstrierenden Schulbetrieb oft ausgetrieben wird. Im neuen Modell würden sich die Schulen natürlich ändern: Statt berufsorientiertes Pauken würde wieder das echte Lernen, das sich bilden, erbauen, genannt, kommen. Das Wort "Schule" stammt vom griechischen Begriff für "Muße" ab. Daran sollten die Padagogen erinnert werden!

(Ich interpretiere Rudzios Artikel als Kritik an meiner Seite http://www.hanjoheyer.de/Steuermodell.html )

Fegefeuer des Marktes

von Hanjoheyer @ 2005-09-27 - 20:15:31
In einem überaus wichtigen Artikel, den ich hier stark gekürzt widergebe, analysiert ZEIT-Redakteur Jens Jessen in http://www.zeit.de/2005/30/Kapitalismusserie unter dem Titel "Fegefeuer des Marktes" den "neuen Kapitalismus", wobei sich zeigt, daß seine Analyse in allen Punkten mit der meinen übereinstimmt. (Meine Kommentare sind zwischengeschoben.)

"Der neue Kapitalismus ist zu einer Weltanschauung geworden. Er begnügt sich nicht mehr mit der Wirtschaft. Er will unser Leben und Denken beherrschen.

Der Kapitalismus hat sein Gesicht verändert. Weit scheint heute die Zeit des Jubels von 1989 zurückzuliegen, als der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers allgemein wie ein Triumph der freien Marktwirtschaft gefeiert wurde. Nur der konservative Soziologe Niklas Luhmann, gewiss kein Nostalgiker des Sozialismus, wollte damals von keinem Sieg sprechen: Er meinte, man könne allenfalls und höchstens die Formulierung wagen, dass der Sozialismus früher als der Kapitalismus zusammengebrochen sei."

Was nach dem Zusammenbruch kommt, werde ich im nächsten Essay "Was kommt nach dem Kapitalismus?" zeigen.

"Über die prophetische Qualität seiner Äußerung wird man mit Luhmann, der unterdes gestorben ist, nicht mehr streiten können. Fest steht allerdings, dass die Zustimmungsraten für den Kapitalismus überall auf der Welt, und selbst in seinen westlichen Ursprungsländern, dramatisch gesunken sind. ...

Auch der Unternehmer sieht sich als Opfer des Systems

Selbst die Wirtschaftsführer, die in den Talkrunden des Fernsehens sorgenvoll ihr Haupt wiegen, beteuern glaubwürdig, dass sie dem System des freien Marktes ausgeliefert und in ihren Entscheidungen ohne Spielraum seien. Sie wollen keine Massenentlassungen vornehmen, aber die Kapitalrendite fordere es; sie wollen keine Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, aber die Konkurrenz erzwinge es; sie wollen Firmen weder schließen noch ausweiden, aber die Börse mit ihrem unerbittlichen Blick auf den Aktienkurs mache es leider unausweichlich. ...

Der Jenenser Sozialphilosoph Hartmut Rosa hat kürzlich eine Minimaldefinition des klassisch marxistischen Entfremdungsbegriffs vorgeschlagen, die unsere gegenwärtige Situation recht gut trifft: Jeder, der sich auf dem kapitalistischen Markt bewegt, fühlt sich für sein Überleben zu etwas gezwungen, das er jenseits des Marktes niemals anstreben würde. Niemand will die Umwelt zerstören, aber die Notwendigkeit, Produktionskosten zu senken, zwingt ihn dazu; jeder will, dass den Verlierern der Gesellschaft geholfen wird, aber die Notwendigkeiten, Sozialkosten zu senken, bringt den Staat dazu, sie auszugrenzen; alle leiden unter der hysterischen Abfolge technologischer Neuerungen, aber der Wettbewerb zwingt die Produzenten dazu, ständig neue Waren herzustellen. ..."

Dieses Opfersein der Unternehmer habe ich als "Objektivierung" interpretiert. Die Bosse - wie ich diese Opfer nenne - sind keine Subjekte mehr, sondern ausschließlich bewußtlose Funktionäre eines Systems, das zum Menschen- und Subjektfeind mutiert ist. Ich erklärte, daß der Mensch, der aufgrund seiner Vereinnahmung vom Kapitalismus seine ethischen Werte verliert, gleichzeitig seine EXISTENZ verliert: "Entweder ist man moralisch oder man ist nicht!" Der Mensch, der sich mit dem Kapitalismus identifiziert, verliert sein subjektives Zentrum, sein selbstgesteuertes Eigenleben; er wird für Lebendige zu einem Teil der Außenwelt.

"Was ist geschehen, dass Sozialdemokraten, deren historisches Verdienst immer die Zähmung des Kapitalismus war, inzwischen meinen, er sei ein System, das sich nicht mehr zähmen ließe? Was hat den neuen Kapitalismus in einer Weise verändert, dass er selbst von seinen Anhängern und Profiteuren als Zwang erlebt wird?

Es ist die Globalisierung. So lautet die allgemein akzeptierte, bei näherer Betrachtung jedoch recht merkwürdige Antwort. Denn Globalisierung in diesem Zusammenhang meint nichts anderes als die Ausweitung der Marktkonkurrenz über den nationalen Rahmen hinaus auf die Welt. Die billigsten Produzenten eines reichen Landes konkurrieren mit den noch billigeren Produzenten der armen Länder. Das heißt aber zunächst nur: Der Kapitalismus ist gewachsen. Konnte er dadurch allein schon sein Gesicht verändern? Oder bedeutet der Umstand seiner Ausweitung auf die unterentwickelten Länder, dass er als Ganzes in eine frühe Entwicklungsphase zurückgefallen ist, die der klassischen marxistischen Beschreibung wieder entspricht? ...

Marktgesetze sollen wie Naturgesetze gelten

... Bei ihrem Versuch, die Marktwirtschaft gegen jede Form der Kritik zu immunisieren, gehen sie nämlich noch einen charakteristischen Schritt über Marx hinaus, indem sie das Prinzip der Konkurrenz quasi als Naturgesetz behandeln.

Die Regeln des freien Marktes sind ihnen keine Regeln, die sich die Gesellschaft gegeben hat (und also auch wieder nehmen könnte), sondern ewige Kräfte, vergleichbar der Schwerkraft, gegen die aufzubegehren sinnlos ist. Ein Land, das in seinem Inneren den Wettbewerb einschränkt, wird dafür den Wettbewerb zwischen den Ländern verlieren."

Genau dies war Thema meiner letzten Notizenseite, der Seiten "Steuermodell" und "Bundestagswahl1", wo ich schrieb, daß wenigstens die Zinsen abgeschafft werden müssen, denn zumindest sie lassen sich nicht als Naturgesetz beschreiben.

"Nach diesem Muster erklärt der neue Ökonomismus sämtliche Gesellschaftsphänomene, selbst in der Kultur (Aufstieg und Abstieg von Kunstgattungen) und in der Bildung (Untergang des altsprachlichen Gymnasiums). Mit anderen Worten: Das Unterfutter der neuen Marktideologie bildet ein Darwinismus einfältigster Sorte. Die Entwicklung der menschlichen Kultur vollzieht sich in dieser Perspektive unsteuerbar wie die Evolution.

Eine solche Behauptung ewiger Gesetze, nach denen sich die Zukunft vorhersagen lässt, ist nun freilich nach der klassischen Definition Hannah Arendts das wesentliche Kennzeichen aller totalitären Bewegungen. Sie entbinden von jeder Form moralischer Abwägung; denn wer nach diesen Gesetzen Opfer und wer Sieger sein wird, steht von Anbeginn fest. Der Untergang der zum Untergang Verurteilten (der am Markt Schwächelnden) kann nicht verhindert, er kann nur beschleunigt werden, so wie die Nationalsozialisten den Untergang angeblich schlechtrassiger Völker und die Bolschewisten den Untergang so genannter absterbender Klassen beschleunigen wollten.

Dieser Wille zur Beschleunigung ist ein weiteres Merkmal der neokapitalistischen Ideologen, das sie mit den totalitären Bewegungen der Vergangenheit teilen. Sie wollen keineswegs zusehen, wie sich das siegreiche Beispiel der westlichen Wirtschaftsweise von selbst über die Welt ausbreitet, vielmehr soll es durch erpresserisch angetragene Freihandelsabkommen, in Fällen besonders störrischer Länder auch durch Krieg vorangebracht werden. ..."

Und hierüber schrieb ich, daß im Falle, daß ein scheiterndes System beschleunigt (rationalisiert, verschlankt, effizienter) wird, um es zu retten, in Wahrheit nur sein Untergang beschleunigt wird.

"(Der) Ökonomismus () hat sogar zu behaupten versucht, dass der Kapitalismus für sich schon eine demokratische Einrichtung sei, insofern der Konsument bei jedem Einkauf an der Ladenkasse abstimme und sich der Markt daher schon aus Eigeninteresse keine Diskriminierung leisten könne."

Diese Lüge habe ich bereits im Text "Ist Erpressung gerecht (in "Ethik") entlarvt.

"Die souveräne Ausblendung des Umstands, dass der Kapitalismus bisher auch in Diktaturen blendend gedieh und vom Apartheid-Regime in Südafrika nicht ernstlich behindert wurde, zeigt vielleicht am deutlichsten, dass es hier nicht um Empirie, sondern um Demagogie geht. ...

Und in der Tat begnügt sich auch die Propaganda des Bush-Regimes, die den Demokratie-Export predigt, keineswegs mit der Errichtung demokratischer Institutionen – jedenfalls nicht, solange diese nicht im Sinne des ungezügelten Wettbewerbs entscheiden. Der amerikanische Versuch, alles ehemals staatlich Organisierte und Kontrollierte für den freien Handel zu öffnen, einschließlich Bildung, Wasserversorgung und Infrastrukturen des Verkehrs, beweist, worum es tatsächlich geht: um ein Imperium, das der ganzen Welt sein Abbild aufzwingen will, nicht nur die Demokratie, sondern auch seine Lebens- und Wirtschaftsweise.

Der Kampf der Privatwirtschaft gegen den Staat

Auch darin ist der neue Kapitalismus eine totalitäre Bewegung, dass er nicht zur Ruhe kommen kann oder will, ehe er nicht die ganze Welt erfasst und alles in private Hände gelegt hat, was ehedem noch der staatlichen oder bürgerschaftlichen Kontrolle unterworfen war. Dieser rasende Wille zur Selbstreproduktion und Einebnung aller Unterschiede steht geradezu im Zentrum von Hannah Arendts berühmter Untersuchung über Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1955). Dazu gehört die eigentümliche Staatsfeindlichkeit totalitärer Ideologien, die sich nicht zufällig lieber als Bewegung denn als Partei verstehen. Alles irgend durch Regeln Gebundene, Kontrollierbare und darum Statische muss verdampfen vor dem dynamischen Prinzip der Bewegung. Alles Individuelle, Traditionsbestimmte, kulturell Besondere und Widerständige soll durch den Kapitalismus wie durch ein reinigendes Fegefeuer, an dessen Ende die eine, gleichförmige und erlöste Welt steht."

Siehe hierzu auch meine "Notizen 16" und "Bundestagswahl1", in denen ich schrieb, daß der Raubtierkapitalismus, wie er jetzt herrscht, aufgrund der Tatsache, daß er die Demokratie abschafft, verfassungswidrig sei und daher verboten werden müßte. Es sei die Pflicht aller Demokraten, die Herrschaft des Kapitalismusses zu brechen.

"... Amitav Ghosh: »Die Verbindung aus Kapitalismus und Imperium bedeutet ein Programm des permanenten Krieges – jener Vorstellung, an der sich einst die Trotzkisten berauschten und die sich nun jene Neokonservative aufs Neue zu Eigen machen, die das Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert ersonnen haben.«"

Hier outete ich den Zins als Kriegsverbrecher Nr. 1. ER zwingt die Kapitalisten zum permanenten Krieg.

"Es geht übrigens, wenn man dem Prinzip totalitärer Herrschaft weiter folgen will, auch gar nicht um Erfüllung der Ziele, sondern um das Element steter Unsicherheit, das die Menschen zuverlässig von abschließender Urteilsbildung und also etwa widerständigem Handeln abhalten kann. Hierin liegt der Grund für die eigentümliche Kulturfeindlichkeit des neuen Kapitalismus, der überall die intellektuellen und potenziell kritischen Formen der Hochkultur zugunsten einer dumpfen Massenunterhaltung unterbinden möchte (angeblich, weil die Hochkultur nicht konkurrenzfähig sei). »Die konsequente Unterdrückung aller höheren Formen geistiger Aktivität durch die modernen Massenführer« hat jedoch nach Hannah Arendt »tiefere Gründe als die natürliche Abneigung gegen das, was man nicht versteht. Totale Beherrschung kann freie Initiative in keinem Lebensbereich erlauben.«

Ganz ähnlich hat der amerikanische Soziologe Richard Sennett in unserer Serie die Lähmung jeden selbstständigen Handlungsimpulses beschrieben. »Die neue Unsicherheit ist keineswegs nur eine unerwünschte Folge der unsteten Märkte; sie ist in den neuen Kapitalismus einprogrammiert. Sie ist kein ungewolltes, sondern ein gewolltes Element.« Mehr noch: Sie ist tief in die Organisationsstruktur moderner Unternehmen, mit ihren flachen Hierarchien und ständigen Wechseln in der Führungsebene, eingelassen. »Die dauernden Säuberungen, das plötzliche Auf und Ab der Berufskarrieren verhindern jedes Sicheinarbeiten, jede Entwicklung zuverlässiger Berufserfahrung« – schreibt nun aber nicht mehr Richard Sennett über den neuen Kapitalismus, sondern wieder Hannah Arendt, nämlich über die Sowjetbürokratie unter Stalin.

Flache Hierarchien als Element totaler Herrschaft

Der Nutzen einer solchen Struktur, in der es »zwischen der obersten Instanz, dem Führer, und den Beherrschten keine zuverlässigen Zwischenschichten gibt«, liegt auf der Hand: Durch das »Fehlen jeder gesicherten Hierarchie bleibt der Diktator in absoluter Unabhängigkeit von jedem seiner Untergebenen und kann jederzeit die außerordentlich rapiden und überraschenden Wendungen seiner Politik vornehmen.« Übersetzt man Führer (oder Diktator) mit Unternehmer und Politik mit Unternehmenszielen, dann erhält man die ziemlich genaue Charakteristik einer Firma, die sich nach Maßgabe des Shareholder-Values flexibel am Markt, das heißt sprunghaft, ungebunden und ohne jede Rücksicht auf Mitarbeiter und Kunden bewegen kann.

Mit dieser vielleicht unheimlichsten, nämlich inneren Veränderung, die den neuen Kapitalismus selbst an seinen Produktionsstätten in die Nähe totalitärer Bewegungen bringt, kann unsere Zusammenschau wohl ihr Ende haben. ...

Es wäre nicht das erste imperiale System in der Geschichte, das im Moment seiner Bedrohung bös’ und zu einer Gefahr für die zivilisierte Menschheit wurde."

Was kommt nach dem Kapitalismus? Nun, danach kommt entweder globaler Terrorismus und Krieg oder eine verbesserte Version einer Sozialen Marktwirtschaft, die dann besser "Soziale Gesellschaft mit angeschlossener Marktwirtschaft". Der Kapitalismus muß seine Herrschaft über die Menschheit einbüßen und wieder in ihren Dienst gestellt werden. Wie genau das funktionieren soll, ist Thema meiner HP.

Darwins kluge Erben

von Hanjoheyer @ 2005-10-02 - 10:54:46
Beginnen möchte ich mit dem Artikel "Mehr Licht im Labor" vom Dalai Lama: http://www.zeit.de/2005/38/Dalai-Bewusstsein

"Viele Wissenschaftler begreifen das Bewusstsein als einen physiologischen Prozess, der aus der Struktur und Dynamik des Gehirns hervorgeht. Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Diskussion, die ich vor mehreren Jahren mit angesehenen Neurobiologen der medizinischen Fakultät einer amerikanischen Universität geführt habe. Nachdem sie mir freundlicherweise die neuesten wissenschaftlichen Apparate vorgeführt hatten, mit deren Hilfe sie immer tiefer in die Struktur des Gehirns eindringen konnten – Magnetresonanztomografie und Elektroenzephalografie – und mir schließlich mit dem Einverständnis der Familie des Patienten auch noch erlaubt hatten, eine Gehirnoperation mitzuverfolgen, setzten wir uns zusammen und sprachen über die wissenschaftliche Auffassung vom Bewusstsein. Ich fragte einen der Wissenschaftler: »Offensichtlich hängen viele unserer subjektiven Erfahrungen – Wahrnehmungen und Empfindungen zum Beispiel – von Veränderungen der chemischen Prozesse im Gehirn ab. Ist die Umkehrung dieses Verhältnisses von Ursache und Wirkung denkbar? Ist es vorstellbar, dass das Denken selbst Veränderungen der chemischen Prozesse im Gehirn bewirken kann?« Mich interessierte dabei, ob die Umkehrung dieses kausalen Prozesses zumindest theoretisch vorstellbar ist.

Die Antwort des Wissenschaftlers war sehr überraschend für mich. Da alle mentalen Ereignisse aus physikalischen Prozessen entstünden, sagte er, sei eine solche Umkehrung nicht denkbar. Obwohl ich aus Höflichkeit nicht weiter darauf einging, dachte ich damals und denke auch heute noch, dass es keine wissenschaftliche Grundlage für eine solche Behauptung gibt."

Ich pflichte dem Dalai Lama bei. Er hat das Wesen der Naturwissenschaft besser begriffen, als die Naturwissenschaftler selbst.

Nachtrag 20.10.05: Lies hierzu auch den neuen SPIEGELonline-Artikel
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,380648,00.html :

Eklat um Vortrag des Dalai Lama: Der Dalai Lama soll einen Gastvortrag auf einer Neurologen-Tagung halten - und hunderte Forscher sind entsetzt. Ein Nicht-Wissenschaftler dürfe so etwas nicht, meinen sie - auch nicht, wenn er das religiöse Oberhaupt der Tibeter und Friedensnobelpreisträger ist.
(Ende des Nachtrags)

Nun zu "Darwins kluge Erben" in http://www.zeit.de/2005/40/N-Evolution

"Das Umschalten von Aktivitätsmustern als treibende Kraft der Entwicklung erklärt elegant, was Gegner der Evolutionstheorie für unerklärbar halten: Vielfalt in ihrer Komplexität. Die könne durch zufällige Mutation nicht entstanden sein, lautet das Schlüsselargument der Evolutionsgegner. Sie führen daher den Schöpfungsglauben ins Feld oder sprechen neuerdings vom »Intelligent Design«, das der Evolution ein Ziel, eine Richtung gebe (siehe folgende Seite). Derweil reifen in den Labors der Entwicklungsbiologen die Gegenargumente heran.

Doch zunächst ist es auch hier meist wie im wahren Leben: Viele Hierarchien sind nur schwer zu durchschauen. »Ich fühle mich manchmal wie George W. Bush, der im Nachhinein den Irak-Krieg erklären muss«, stöhnt der Genetiker Michael Levine von der University of California in Berkeley über sein Problem, die Evolution der komplexen Interaktion zu erklären.

Auch Eric Wieschaus, nobelpreisgekrönter Entwicklungsbiologe von der Princeton University, weiß um das Unverständnis mancher Menschen angesichts der unübersichtlichen Zellstammbäume und Genhierarchien. Er kann sogar den Vertretern des Intelligent Design Verständnis entgegenbringen: »Im Alltag kann ich Menschen verstehen, die sich nach Antworten sehnen und von der Komplexität des Lebens überfordert sind. Aber es ist in der Wissenschaft verboten, da, wo man nicht mehr weiterweiß, einfach Gott einzusetzen.« Wieschaus’ Co-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard wird deutlicher: »Der intelligente Designer ist eine faule Ausrede für noch nicht gemachte Experimente.«

... »Darwin war klüger als die Darwinisten«, sagt der Schriftsteller Tom Wolfe im Interview (ZEIT Nr. 39/05). Denn der Schöpfer der Evolutionstheorie gebe offen zu, nicht zu wissen, »woher der erste Impuls kommt für eine Zelle, die sich teilt«. Doch auch dieses Manko wollen die Biologen beheben. Sie dringen heute tiefer denn je in die Entscheidungshierarchien der Embryonalentwicklung vor: Manche erforschen die Evolution von Proteinen, andere fragen, wie aus Einzellern Vielzeller wurden, oder fahnden nach verschollenen Geschlechtschromosomen von Schnabeltieren.

Sie alle arbeiten an einem vollständigeren Bild der Evolution – mit wachsendem Erfolg. Vielleicht auch deswegen, weil eine ideologische Hürde gefallen ist. »Früher durfte man in der Biologie nur Wie? fragen«, sagt Christiane Nüsslein-Volhard. Das Warum? war verboten – schließlich steuert die Evolution nicht auf ein Ziel hin, da sind sich die Biologen einig. »Neuerdings ist das Warum? wieder erlaubt«, freut sich die Nobelpreisträgerin. Die Evolution hat zwar noch immer kein Ziel, aber mancher Evolutionsbiologe einen freieren Kopf."

Mein Kommentar: Hier wird die systematische Manipulation durch die Vertreter der Evolutionstheorie deutlich. Zuerst geben sie dem Dalai Lama eine Auskunft, die sie entsprechend ihres eigenen wissenschaftlichen Ethos nicht hätten geben dürfen, denn sie sind Wissenschaftler und ausschließlich auf dem Gebiet der Naturwissenschaft Experten. Auf geistigem Gebiet sind sie vollständige Nieten und sollten das auch zugeben. Da sie ihre partielle Blindheit nicht erkennen, sind sie zudem Wissenschaftler, die nicht in der Lage sind, über den Tellerrand ihres Fachgebietes zu schauen.

Die Vertreter des "Intelligent Design" werden denunziert, indem man die dummen Vertreter dieser Theorie, also diese bibelgläubigen religiösen Fundamentalisten, widerlegt. Nicht widerlegt werden die intelligenten Vertreter der Intelligent-Design-Theorie, aber die Denunzianten hoffen, das auf diese Weise erzeugte schlechte Image werde auf die Intelligenten abfärben.

Es geht nicht darum, daß die Komplexität des Lebens ein Argument der Intelligent Designer ist. Dieses wird nur als ihr Argument angeführt, weil die Evolutionisten es leicht widerlegen können. Das wahre Argument der Intelligent-Designer wird wohlweislich verschwiegen.

Den Gipfel eines faulen Ablenkungsmanövers ist der letzte Absatz des besprochenen Atikels, in welchem Christiane Nüsslein-Volhard zu Wort kommt. Hier wird dem oberflächlichen Leser suggeriert, die Evolutionisten machten sich nun sogar auf den Weg, die WARUM-Frage zu beantworten - was die Naturwissenschaft prinzipiell niemals können wird. Es wird in diesem Artikel selbstverständlich auch kein Ansatz der Beantwortung der Warum-Frage vorgelegt - im Gegenteil. Aber haftenbleiben soll der Schwindel, daß die Wissenschaft diese Frage nicht mehr tabuisiert.

Was ein echter Intelligent-Designer behauptet: Er behauptet, daß die Evolutionstheorie bloß die Folge von Erscheinungen bescheibt, also das WIE einer Entwicklung, niemals das Warum. Die Intelligent-Designer fragen nicht, welche Erscheinung vor einer Erscheinung war. Sie konstruieren zwischen aufeinanderfolgenden Erscheinungen keine Kausalität. Sie fragen, was generell Erscheinungen verursacht. Die I.D. suchen nach einer Kausalität, die im mathematischen Sinn senkrecht auf der angeblichen Kausalität zwischen Erscheinungen besteht.

Die empirische Naturwissenschaft hat keinen Begriff von Erscheinungen, denn sie behauptet, die Erscheinung sei bereits physikalische Realität. Das ist die Grundlüge der empirischen Wissenschaft. Die Wissenschaft leugnet, daß wir die Natur nie unmittelbar beobachten können, sondern stets vermittelt durch Sinnesorgane und Gehirn. Die Physik ist nicht Basis unseres Denkens (im materiellen Gehirn), sondern - wie der Dalai Lama richtig vermutet - umgekehrt: Sie ist ein Denkmodell unseres Geistes. Wäre die Physik Basis, könnten Physiker nicht irren. Da ist irren können, ist klar, daß Physik ein Theoriegebäude ist.

Was verschwiegen wird, was tabuisiert wird, ist, daß die objektive, materielle Welt, in der wir leben, nicht das Produkt äußerer Naturgesetze ist, sondern unsere Interpretation. Wir leben in unseren eigenen "Hirn"-Konstrukten; wir laufen alle in unseren "Sehrinden" herum. Und da wir selbst es sind, die "die Welt" interpretieren, können wir mittels Änderungen unserer Interpretationen die scheinbar objektive Welt ändern. Wir leben in einer geglaubten Welt. Wir leben in unserem eigenen Mythos; wir leben in Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählen und an die wir so sehr glauben, daß wir sie für real halten.

Mehr in meiner HP, besonders in http://www.hanjoheyer.de/Philosophie.html

Aus der Rolle gefallen

von Hanjoheyer @ 2005-10-04 - 12:48:23
http://www.zeit.de/2005/40/01_leit_2_40?page=all

Aus der Rolle gefallen

Wenn Journalisten Stimmung machen, setzen sie ihr höchstes Gut aufs Spiel: Die Glaubwürdigkeit

Von Giovanni di Lorenzo

Vielleicht sollten wir Journalisten nach dem 18. September nicht gleich zur Tagesordnung übergehen. Es haben nämlich vor der Wahl nicht nur alle Demoskopen und ein Teil der Politiker die Ängste und Wünsche der Wähler falsch gedeutet und einen klaren Sieg der Union vorausgesagt. Auch die Medien haben sich blamiert. Sie haben sich ganz auf die Prognosen verlassen und sich gegenseitig in ihren falschen Einschätzungen noch bestärkt, statt sie mit Distanz zu prüfen. Insofern sind wir Journalisten Teil des Problems, das mit dem überraschenden Ergebnis am 18. September sichtbar geworden ist: Das Sensorium für die Menschen außerhalb des politischen Betriebs ist stumpf geworden. ...

... Fast jeder Kommentator würde in das Klagelied einstimmen, die Politik erfahre eine Vertrauenskrise. Nicht alle aber merken, dass die Medien längst Teil dieser Krise sind, weil sie sich zu wenig infrage stellen. Einige der wichtigsten Medienhäuser haben aufgehört, sich gegenseitig zu kritisieren – auch dann nicht, wenn Einzelne Kampagnen veranstalten oder Vendetta-Journalismus an Kritikern üben. Es geht aber am Ende um unsere Glaubwürdigkeit bei den Lesern oder Zuschauern. Glaubwürdigkeit heißt, wie in der Politik auch: Unabhängigkeit. Und Unterscheidbarkeit.

Aus genau diesem Grund - mein Vertrauen in die ZEIT wurde aufgrund einseitiger Propaganda gegen Rot-Grün und besonders gegen die Linkspartei enttäuscht - startete ich vor ein paar Wochen dieses "die-zeit.blog.de", um die zumindest vorübergehend verlorengegangene Selbstkontrolle der ZEIT via meines externen "Kontrollorgans" zu ersetzen.

Nach dem Sturm

von Hanjoheyer @ 2005-10-09 - 11:30:42
http://www.zeit.de/2005/41/New_Orleans_?page=all

... Millionen Menschen aus Texas und Südlouisiana sind auf der Flucht vor Rita und stecken auf den Straßen in Richtung Norden fest. Aber in Ville Platte – einer Stadt mit 11000 Einwohnern in Acadiana, dem französischsprachigen Teil Südlouisianas – lautet die traditionelle Antwort auf einen Hurrikan nicht Evakuierung, sondern Zusammenhalten und Kochen. Dolores Fontenot, Matriarchin eines Clans, für die es nichts Besonderes ist, sonntags 40 Leute zum Essen zu mobilisieren (die »engste Familie«) und bei einer Hochzeit auch schon mal 800 (die »entfernte Familie«), überwacht die Zubereitung eines gewaltigen Krebs-Gumbos. ...

... Die Einwohner von Ville Platte – einer armen, aus weißen Cajuns und schwarzen Kreolen bestehenden Gemeinde, deren Durchschnittseinkommen nicht halb so hoch ist wie im übrigen Land – haben ihre Türen in den letzten drei Wochen über 5000 obdachlos gewordenen Menschen geöffnet. Sie nennen sie ihre »Gäste«, denn »Flüchtlinge« oder »Evakuierte« gelten als unpersönliche, ja unhöfliche Begriffe. Fischer und Jäger der Gegend stellten auch die ersten Freiwilligen, die mit Booten nach New Orleans fuhren, um Bewohner aus ihren überfluteten Häusern zu retten.

Die selbst gestrickten Rettungs- und Hilfsbemühungen, die in Ville Platte nach dem Motto »Wenn nicht wir, wer dann?« organisiert sind, stehen in krassem Gegensatz zu der Inkompetenz der Regierung. Sie stehen auch im Gegensatz zu der Feindseligkeit anderer, wohlhabenderer Städte, darunter auch einige weiße Vororte von New Orleans, gegenüber dem Andrang der Evakuierten, besonders armer Farbiger. Tatsächlich ist Evangeline Parish eine Insel der Solidarität, die sich über Rassengrenzen hinwegsetzt – und das in einem Staat, der sonst eher für Rassismus und Korruption steht.

Bootsbesitzer aus Evangeline Parish machten sich mit ihren Booten auf den Weg nach New Orleans, um zu helfen.

... »Da war keine FEMA (Federal Emergency Management Agency, amerikanische Katastrophenschutzbehörde), nur eine Menge alter Cajuns mit ihren Booten. Wir versuchten uns so gut wie möglich abzusprechen, dennoch herrschte Chaos. Es war glühend heiß, überall roch es nach Tod. Die Leute auf den Dächern harrten seit Tagen in der Sonne auf Hilfe, ohne Essen, ohne Wasser. Sie waren dehydriert, verbrannt und krank. Sie waren kurz davor aufzugeben und bereit zu sterben.«

... Die Behauptung der FEMA, sie hätte die Mehrzahl der Menschen gerettet, weist er entschieden zurück. Abgesehen von der Küstenwache, sei nur die vom LDWF rekrutierte »Cajun Navy« im Einsatz gewesen. »Das war’s. Nur wir. Alles Freiwillige.« ...

Stadt der Toten: ... Wir haben nachts gearbeitet, wegen der Hitze und um die Hubschrauber der Medien zu meiden, die tagsüber wie Geier ihre Kreise zogen. Wir wollten nicht, dass ein armer Kerl in den Sechs-Uhr-Nachrichten sieht, wie seine Oma von Ameisen und Krebsen angeknabbert wird.«

... Die FEMA kümmerte sich erst nicht um Wasser, Lebensmittel und Medikamente, aber sie hatte 50000 Leichensäcke eingeflogen.

... Wir hatten die Anordnung, nur Leichen zu bergen. Doch viele Menschen standen noch auf den Dächern; das Wasser stieg, sie schrien, flehten und verfluchten uns. Aber unser Boot war voller Leichen, einige waren eine Infektionsgefahr. So retteten wir Tote und ließen Lebende zurück.« Vincent ist überzeugt, dass ein Großteil der »Schießereien«, über die in den Medien so reißerisch berichtet wurde, von gestrandeten Menschen ausgingen, die wütend waren, weil Boote und Helikopter nicht sie, sondern Leichen mitnahmen.

... Acadiana war einmal eine Hochburg der Rassentrennung, trotz der tiefen Verwandtschaft, die durch Kultur, Religion und Abstammung zwischen den Rassen bestand. Noch vor wenigen Jahren musste ein Versuch, die Wahlbezirksgrenzen neu zu ziehen, damit die schwarzen Wähler nicht zu sehr ins Gewicht fielen, als Verstoß gegen den Voting Rights Act abgewehrt werden. Daher frage ich Jennifer, die sowohl französischer wie afroamerikanischer Abstammung ist, ob die Hilfsbemühungen nicht doch dezent weiße Kleinbürger bevorzugten: »Ganz und gar nicht. Wir nehmen jeden mit derselben Liebe auf. Das Projekt wird von der ganzen Gemeinde unterstützt: ob schwarz oder weiß, katholisch oder baptistisch. Ein Drittel aller Haushalte hat jemanden von außerhalb aufgenommen. Es spielt keine Rolle, ob die ›Gäste‹ aus dem schwarzen Ninth Ward kommen oder dem weißen Chalemette. Wir sind alle dazu erzogen worden, für Nachbarn zu sorgen und Fremden freundlich zu begegnen.«

Jennifer lobt die örtlichen Lehrer und den Stadtrat. Als wir sie jedoch auf nationale Hilfsorganisationen und Washington ansprechen, zeigt sie auf das Transparent über dem Eingang der Notunterkunft: »Kein Rotes Kreuz, keine Heilsarmee, keine Bundesgelder. Nur Freunde.«

»Ich wollte sofort Kontakt mit dem Roten Kreuz aufnehmen. Dreizehn Tage lang rief ich dort an, und mir wurde gesagt: ›Kein Personal verfügbar.‹ Laut Wall Street Journal standen dem Roten Kreuz, das eine Milliarde US-Dollar für die Katrina-Opfer sammelte, 163000 freiwillige Helfer zur Verfügung. Sie wollten kommen, sagten aber im letzten Moment wieder ab. Genauso lief es mit der FEMA. Bei uns hat sich noch kein einziger Vertreter der Bundesregierung blicken lassen.« Bevor Rita-Flüchtlinge die Straßen verstopften, sahen auch wir keine Spur der Bundesbehörde, es sei denn, man zählt die allgegenwärtigen Geländewagen mit dem Logo des Ölkonzerns Halliburton dazu.

In Villa Platte, einer Stadt, in der das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der schwarzen Mehrheit bei 5300 US-Dollar liegt, hat man es geschafft, ohne einen Cent vom Roten Kreuz oder irgendwelche Bundesgelder Tausenden zu helfen. Es ist kaum zu fassen: Welches überlegene Organisationsprinzip oder welche charismatische Führergestalt bringt das zustande? Jennifer ist verwirrt: »Mein Komitee ist mein Telefon. Ich rufe Leute an, die reagieren. Lebensmittel, Kleidung, Betten, Medikamente – alles wird bereitgestellt. Bei uns haben selbst arme Leute noch eine Portion Rehfleisch in der Gefriertruhe übrig oder eine alte Steppdecke oder ein Ersatzbett. Wir wissen alle, wie man spontan Hand in Hand arbeitet, schließlich organisieren wir ständig Taufen oder Familienfeste. Wozu also offizielle Führungskräfte?« In einem Land, das auch in der Regierung ohne kompetente Führungskraft auskommt, ist das eine tiefgründige Frage.

»In Louisiana«, sagt er, »ist es wie in jedem ausgebeuteten ölreichen Land. Seit Generationen haben die großen Öl- und Gaskonzerne Milliarden von Dollar aus unseren Bayous und Küstengewässern gepumpt, und wir kriegen dafür Küstenerosion, Verschmutzung, Krebs und Armut. Und neuerdings aufgedunsene Leichen und tote Städte. Das restliche Amerika muss begreifen, dass es keine ›natürlichen‹ Katastrophen in Louisiana gibt. Dies ist eines der reichsten Länder der Welt – von Zucker bis zu Öl und Schwefel gibt es alles –, aber wir liegen Kopf an Kopf mit Mississippi als ärmster Bundesstaat. Natürlich baut Washington eindrucksvolle Dämme, um die Interessen des Transportverkehrs und der Schiffsindustrie wahrzunehmen, aber niemand kann ernsthaft glauben, dass es sich um Schwarze, Indianer oder popelige Cajuns schert. Die Dämme der Armen, wenn es sie gäbe, wären so gut wie unsere Schulen – nämlich im nationalen Vergleich am unteren Ende. Katrina hat nur die Umrisse der Ungleichheit nachgezeichnet.«

Mark glüht. »Es geht um nicht weniger als die Seele Louisianas.« Er zählt die Kulturen der Arbeiter auf, die zu verschwinden drohen: die schwarzen second line-Viertel von New Orleans, die französischen Indianer in Houma, die vietnamesischen und von den Kanarischen Inseln eingewanderten Fischer in Plaquemines, die Cajun-Gemeinden entlang der gesamten Golfküste. »Wenn es nach unseren führenden Köpfen ginge, könnte die gesamte Region entweder ein giftiger Friedhof werden oder ein riesiges Museum, in dem für Touristen Jazz, Zydeco und Cajun-Musik gespielt wird, während die Kulturen, aus der sie hervorgingen, untergehen.«

Marks schlimmste Befürchtungen scheinen schnell Wirklichkeit zu werden. So sagte Bushs Wohnungsbauminister Alphonso Jackson dem Houston Chronicle, er halte es für einen Fehler, das schwarze Viertel Ninth Ward wieder aufzubauen. Er prophezeite, dass die schwarze Bevölkerung (67 Prozent vor Katrina) auf nur 35 bis 40 Prozent sinken werde: »New Orleans wird, wenn überhaupt, lange nicht mehr so schwarz sein, wie es einmal war.«

Das war zweifellos Musik in den Ohren des republikanischen Meisterstrategen Karl Rove, dem klar ist, dass der Verlust von 10000 bis 15000 schwarzen demokratischen Wählern das Machtverhältnis in Louisiana umkrempeln und einen gemäßigten Bundesstaat über Nacht in einen konservativen verwandeln würde. Marks Lösung heißt deshalb Sezession: »Lasst uns die Einkünfte aus unserem Öl und Gas, und wir sorgen allein für die Erhaltung unseres Lebensstils. Wir gehören ohnehin nicht derselben Kultur an. Ihr achtet Geld, Wettbewerb und persönlichen Erfolg – wir schätzen Familie, Gemeinschaft, Feste. Gebt uns Unabhängigkeit, und wir stellen die Wasserlandschaften wieder her, bauen Ninth Ward wieder auf und verlegen die Hauptstadt nach Evangeline Parish. Wenn ihr wollt, könnt ihr uns auch die Freiheitsstatue bringen, wir haben eine neue Inschrift: ›Gib mir deine müden, deine niedergedrückten Massen, und wir geben ihnen Hurrikan-Gumbo.‹«

Alles lacht, aber jeder weiß, es ist Galgenhumor. Die einfachen Menschen in Louisiana und an der Golfküste begreifen allmählich, was es heißt, wenn man wie die Iraker zum Opfer der scheinheiligen Versprechen und Militäraktionen Washingtons wird. So haben Katrina und Rita in Louisiana die Wahrheit ans Licht gezerrt: Versäumnisse der Regierung, Gier von Konzernen, ethnische Separation. Allerdings zeigt sich ebenso klar das uralte moralische Grundgestein der Bayous, das sich in populistischer Revolte, kulturellem Widerstand und christlicher Großzügigkeit äußert. Wann aber haben im Lauf der Geschichte gütige Menschen über die Verschwörung von Geld und Macht gesiegt?

Mein Kommentar: Anfangs konnte ich es nicht glauben: Da stehen 163000 freiwillige Helfer des Roten Kreuzes in Wartestellung, und ihr Einsatz wird von Regierungsseite abgesagt. Keine Helfer der FEMA, des staatlichen Katastrophenschutzes, aber jede Menge Hubschrauber der Fernsehanstalten, nicht um die Sensationsgier der Nichtbetroffenen zu befriedigen, sondern um die werbe- und damit einnahmeträchtigen Einschaltquoten zu erhöhen.

Und dann stellen Präsidentenberater Karl Rove und Bauminister Jackson die Rechnung auf, daß bei 10000 bis 15000 toten Schwarzen und einem Nichtwiederaufbau der Schwarzenviertel New Orleans' die Republikaner die nächsten Gouverneurswahlen gewinnen könnten. Ich fürchte, der Nichteinsatz des Roten Kreuzes, das völlige Versagen staatlicher Hilfe, hat etwas mit diesen perfinden Regierungsplänen zu tun.

Es geht sicher nicht um Rassismus - Condoleezza Rice und Powell der Bush-Regierung sind Schwarze - sondern um das Bewußtsein der Masse. Es geht um ein neues Bewußtseins-Design, um Menschenzüchtung. Der Raubtierkapitalismus versucht sich den zu ihm passenden Menschen zu züchten. Der letzte Satz des ZEIT-Essays bringt es auf den Punkt:

"Wann aber haben im Lauf der Geschichte gütige Menschen über die Verschwörung von Geld und Macht gesiegt?"

Es geht um den Kampf der Beseelten gegen die Seelenlosen; es geht um den gnostischen Krieg des Lichtes gegen die Finsternis. Ja, es geht um die Seele Lousianas!

Der von mir bekämpfte Neoliberalismus ist die Ideologie, die der Finsternis (Materialismus, Egoismus) zum Sieg verhelfen soll.

Meine Letzte Erkenntnis zu diesem Krieg - und um die Beantwortung der Frage, wann gütige Menschen über die Verschwörung von Geld und Macht gesiegt haben - steht in den "Notizen 18" meiner HP:

"Ein Schmetterling wurde von einem Löwen gefressen. Der Löwe erhob sich und flatterte davon. Als er zu seiner Familie zurückgekehrt war, sagte er: "Ich mächtiger Löwe! Ich fraß den Schmetterling!" Und der Schmetterling dachte bei sich selbst: "Laß ihn in seinem Glauben!" und er breitete seine Flügel über die Erde, und überall, wo der Staub von seinen Flügeln fiel, sproß das bunte Leben."

Schein der Bilder

von Hanjoheyer @ 2005-10-12 - 12:29:23
In der Besprechung (von Rudolf Walter) des Buches "Der Bilderkrieg" von Gerhard Paul fand ich die schönen Worte:

"Anders als im britischen Falkland-Krieg (1982), der praktisch unter Ausschluß freier Medien und unter strenger Zensur stattfand, entschloß sich das Pentagon seit dem ersten Golfkrieg von 1991 zur Akkreditierung 'williger Journalisten', was Paul zutreffend als Übergang vom 'Zeitalter der Zensur' in jenes der 'Desinformation durch Überthematisierung' bezeichnet. Die Medien wurden mit einer Flut von Bildern vom blitzsauberen High-Tech-Krieg überschwemmt..."

Das erinnerte mich sofort an mein Gedicht 'Gesetz der Macht':

Gesetz der Macht

Es ist die heilige
Pflicht der Mächtigen,
Zu verbergen die Wahrheit
Unter einem Berg aus Nichtigkeiten.

Und es ist ihnen gesetzt:

Wen sie nicht führen können, (2)
Den müssen sie bestechen;

Wen sie nicht bestechen können, (3)
Den müssen sie vernichten;

Wen sie nicht vernichten können, (4)
Den müssen sie verachten;

Wen sie nicht verachten können, (5)
Den müssen sie einweihen;

Wen sie nicht einweihen können, (6)
Dem müssen sie dienen.

Wer die Macht hat, (7)
Ist bewußt und lebt in Ewigkeit.

Wer das Höhere in sich trägt,
Darf nicht nach niederem
Gesetz gerichtet werden.
So sei es:
Jedem das Seine!

Dieses Gedicht beschreibt in unheimlicher Präzision, was in der Welt vorgeht. Es gibt 7 Bewußtseinsstufen (siehe Klammern), sieben geschiedene Welten in einer. Jede Welt hat ihre je eigene Hölle und ihren eigenen Himmel.
Hier die Beantwortung der Frage, ab welcher Stufe dieser Berg aus Nichtigkeiten durchsichtig wird.
Ab Stufe 4. Aber der Nebel dort ist noch so dicht, daß die Ebene dahinter noch nicht zu sehen ist. Daraus resultiert die Unenschlossenheit und die Zurückgezogenheit des unbeachteten und verachteten Sehers.
Spannend wird es erst bei Stufe 5, dem typischen Provinzpolitiker, jener Sorte Politiker, die wir täglich im Fernsehen bewundern dürfen. Es ist prickelnd, eingeweiht zu werden. Bei mir war es allerdings so, daß ich alles schon vorher gewußt hatte. Ich hatte mir meinen Machiavelli (oder http://www.hanjoheyer.de/PolitikHerren.html) bereits aus systemtheoretischen Überlegungen abgeleitet, bevor ich über ihn in Kenntnis gesetzt wurde. Danach kommt der Übergang von der verliehenen Macht zur Macht durch Bewußtheit: nicht mittelbare Machtausübung, sondern unmittelbare, ohne Distanz, ohne Vermittlung, ohne Wahrnehmung: absolute geistige Macht. "Absolut" jedoch richtig verstanden als transzendentaler Gegensatz zu "relativ", nicht als 'maximale Macht' mißzuverstehen. Absolute Macht kann sehr mickrig ausfallen.
Stufe 6 hat man erreicht, wenn man festzustellen in der Lage ist, daß der eigene Wille über das Eintrittstor "Zufall" in die materielle Welt hineinwirkt. Ab Stufe 6 gilt man sämtlichen "Offiziellen" als unseriös. Man beachte meine Essays über die Willensfreiheit in meiner HP. Niemals käme ein ernstzunehmender ordentlicher Professor auf die Idee, mich zu zitieren. Undenkbar. Undenkbar, daß ein Pamphlet wie dieses zB in der ZEIT abgedruckt würde. Ich würde das auch gar nicht wollen.
Stufe 7 hat man erreicht, wenn man hinter das Geheimnis der Zeit gestiegen ist. Geist und Materie sind dann derart in eine Harmonie zueinander gelangt, daß Machtausübung eine immer geringere Rolle spielt. Man ist im Grunde mit allem einverstanden. Worüber ich in meiner HP oder diesem Weblog schreibe, gilt bloß für Bewußtseinsstufen, die ich bereits gemeistert habe. Ich versuche bloß, ein paar Wenige auf ein höheres Level zu heben.
Soviel mal zum Gedicht. Weiter im Text:

Paul schreibt, daß sich die USA aufgrund des Senders al-Dschasira, den sie nicht unter ihre Kontrolle zu bringen vermochten, keine Totalzensur wie die Briten im Falklandkrieg installieren konnten. Also beschlossen sie, einen "Berg aus Nichtigkeiten" zu errichten, bei dessen Besteigung sich der Informationssuchende rettungslos verirren sollte. Danach ergreifen die Verirrten jede ihnen gereichte starke Hand, die Autorität ausstrahlt, am besten die 'amtliche Verlautbarung' eines Präsidenten. Mit durchschlagendem Erfolg:

"Bereits im Oktober 2002 glaubten 79 % der US-Bürger, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen und habe seine Hände im Spiel gehabt bei den Attentaten vom 11. September."

Diese Masse der Verführten ist letztlich an den paartausend toten US-Boys - und nicht zu verschweigen, den 100000 toten Irakern - genauso schuldig wie die verführenden Politiker und Presse-Zombies. Der Teufel kann, wie wir alle wissen, nicht in deine Stube hineinkommen, wenn du ihm nicht die Tür öffnest und über die Schwelle bittest.

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