Tagebuch 4
von Hans-Joachim Heyer

17.6. - 4.7.2002

Stichwörter: Menschen feiern ihre Masken - Aus der Rolle fallen - Wer sind wir ohne Maske? - Sind wir veränderliche oder unveränderliche Seelen? Konsequenzen für die Ethik - Das Ego tut gar nichts! - Wie und warum die Seele ihr Ego kreiert - Mit Dr. Wetter über Überzeugungskraft - Unfruchtbares Warten auf Verändrungen - Wie wirklich sind Romanfiguren? Wie wirklich sind erfundene Welten?

17.6.2002: Rollenspiel: Ein Leser fragte mich, was ich von Lothars Schilderung in http://www.reschke.de/nichts/n_020615.htm auf dem Tanzparkett halte. Er bezog sich auf diese Stelle:

"Hinzu kam, und auch das birgt wieder einiges an Aufschluß, ein dermaßen herbes Ablehnen meiner Person von Seiten einiger Tanzpartnerinnen, daß ich mich nur wundern konnte, wie dreist und instinktlos manche Frauen sich verhalten können. Eine von ihnen ließ mich einfach mitten im Tanz stehen und verschwand, nachdem sie schon vorher mit dem untauglichen Argument, wir hätten bereits miteinander getanzt, gegen mich als Partner protestiert hatte."

Dies war ein Phänomen, das ich schon oft erlebt habe. Ich nenne es das Phänomen der "Demaskierung" oder des "Rollenverlustes". Lothar war während des Kontaktes zu dieser Frau in jenem Bewußtseinszustand, in dem er jegliches Rollenspiel seiner Mitmenschen durchschaute und ablehnte. Da wir Menschen nicht nur in der physikalischen, illusionären Erscheinungswelt, sondern immer auch zugleich in der übergeordneten metaphysischen, seelischen "Welt" leben, stehen wir nicht nur in sinnlichem (optisch, akustisch, taktil usw) Kontakt, zB durch gemeinsame körperliche Anwesenheit in einem Tanzsaal, sondern auch in seelischem. Dieser wird freilich von den Menschen nicht bewußt wahrgenommen. Die Menschen im Tanzsaal feierten ihre Masken! Sie freuten sich ihrer Rollen. Sie waren einzig zu dem einen Zweck im Tanzsaal, sich dort gegenseitig ihrer Rollen zu versichern, zu bestätigen und zu festigen. Jeder weiß, daß sich Masken in der Einsamkeit auflösen!

Und dann kam Lothar, der die Masken durchschaute und ablehnte. Instinktiv wußten die Mitmenschen, daß er ein Spielverderber ist. Ihm gegenüber verlor die Frau ihre Maske. Sie fiel aus der Rolle! Einen kurzen Moment sah sie sich, wie sie wirklich war (in stiller Verzweiflung erkennend, daß sie ein langweiliges fremdbestimmtes Leben in Gefangenschaft lebt - wie alle Herdenmenschen) - und bekam den Schock ihres Lebens. Instinktsicher ließ sie Lothar inmitten der Tanzfläche stehen und ergriff panikartig die Flucht. Ich lernte aus eigenen Erlebnissen dieser Art, daß die meisten Menschen ihre Masken höher schätzen, als ihren Überlebenswillen. Ja, der Herden-Trieb, Mitglied der Rollenspielgemeinschaft zu sein und zu bleiben, ist stärker, als der Selbsterhaltungstrieb!

Nun. Lothar will alle Masken ablegen und zerstören. Ich will damit spielen im Bewußtsein, daß Seelen es lieben, frei mit Masken (und illusionären Welten) zu spielen. Freilich: Nie möchte ich eine Maske für real halten wie zB die Tänzerin. Dann wäre ich Sklave, Herdenmensch. Wäre ich auf dem Tanzparkett, würde die Frau meine Lust am Maskenspiel unbewußt wahrnehmen. Sie würde sich nicht demaskiert vorkommen, sondern anerkannt und vielleicht sogar vorübergehend von der Last der Rolle ein wenig erleichtert, denn ihr gegenüber tanzte jemand, der sie das noch erfolgreichere Rollenspiel lehren könnte. Er würde ihr die alte Maske zwar kurzfristig wegnehmen, aber er würde ihr eine größere wieder aufsetzen. Die Leute ahnen, daß ich kein Spielverderber bin und daß ich sie das größere Spiel lehren könnte. Aus diesem Grund suchen sie meinen Kontakt. Sie möchten, wenn es geht, eine größere Rolle innerhalb der Rollenspielgemeinschaft spielen. Dies zu erreichen, darf ich helfen. Aber sie wollen nicht mit Rollen spielen lernen. Also tun sie alles, um zu vergessen, daß es Masken und Rollen sind, was sie sich zugelegt haben. Sie wollen um alles in der Welt "naive Realisten" sein.

Menschen wie Lothar wurden in vergangenen Zeiten verfolgt und hingerichtet. Denn die Menschen sehen, wenn sie einem Rollenzerstörer ins Gesicht schauen, nichts als die nackte Wahrheit von sich selbst, und das ist oft ein unerträgliches Grauen! Lothar ist eine leere Projektionsfläche, in welcher jeder seine eigene Wahrheit sieht. Auch ich. Und ich sehe, daß ich anders bin, als er. Ich bin keine Projektionsfläche; ich bin Projektor. Allerdings weiß ich, daß ich mich in ihm sehe. Ich gebe nicht ihm die Schuld an dem, was ich sehe, sondern ich bin dankbar für die Spiegelung. Ich sehe Masken, und wenn ich verkrüppelte Masken sehe, unter denen die Maskierten leiden, helfe ich ihnen, bessere Masken aufzusetzen. Und nur den Allerwenigsten, denen, die explizit die Magie lernen wollen, lehre ich, mit Masken zu spielen und ihr wahres Sein, die stets maskentragende Seele, zu erkennen.

19.6.2002: Unveränderliche Seele? Ein Freund (T.) erzählte heute seine Meinung über das Leib-Seele-Verhältnis. Er ist der Ansicht, daß die Seele unbeschmutzbar sei von den Illusionen der Welt. Sie verändere sich nie. Veränderung gebe es nur im Bereich der Illusionen. Er berief sich dabei auf indische Gurus und griechische Philosophen, zB Platon, der gesagt haben soll, daß alles Illusionäre, alles Irdische, vergänglich sei, also Doxa, und die geistige Welt der Ideen, wozu auch die Mathematik gehöre, sei unvergänglich, unveränderlich, also unbeweglich. Die Seele sei wie Gott ein "unbewegter Beweger".

Ich vertrat eine andere Meinung, nämlich daß die Seele nur dann Grund habe, zu träumen oder in eine materielle Welt zu inkarnieren, wenn die Träume, bzw. die weltlichen Taten (und ich denke hier im Besonderen die moralischen Taten) auf sie in irgendeiner Weise zurückwirken. Wenn meine Philosophie, daß die materielle Welt, wie ich sie erlebe, die beste Theorie meiner Seele sei, stimmt, dann sind Veränderungen in der Welt auch Änderungen meiner Seele. Ich glaube, daß Seelen lernen und wachsen können, weil ich glaube, daß es unterschiedlich große Seelen gibt. Meine Seelentheorie wertet die materielle Welt auf. Es lohnt sich, zu leben, zu wirken, zu lernen. Nach der Seelentheorie von TS ist alles sinnlos. Wäre es das, könnte ich folgenlos zum Materialismus konvertieren und "die Sau rauslassen". Was unterschiede mich (oder T.) dann von einem Materialisten, für den ebenfalls alles total sinnlos ist? - Nichts!

Weitere Konsequenzen unserer beiden Leib-Seele-Theorien: T. lehnt alles Spekulieren und Theoretisieren ab, denn seiner Ansicht nach sehe man die Wahrheit erst, wenn man nicht mehr denke, denn Denken sei Bewegung sei Interpretation sei Illusion. Nichtdenken sei unveränderlich sei seelisch sei Wahrheit. Ich sage, seine Nichttheorie sei trotzdem eine Theorie. Da er zugebe, einen Leib zu haben, denke und spekuliere er. Er sage, was er nicht tue. Er denke, daß er nicht denke. Ich sage, was ich tue. Ich denke und sage, daß ich denke. Wer ist nun im Irrtum?

Ich denke, meine Antwort beantwortet auch die Frage eines anderen Freundes (S.), dem der Satz von Lothar Reschke nicht aus dem Kopf ging, der lautet: "Die Menschen versuchen nur, ihre Lebenszeit zu vertrödeln. Kopf hoch, Kameraden, irgendwie bekommen wir die Zeit schon rum!" Er fragte mich, wie er es anstellen könne, seine Lebenszeit nicht sinnlos zu vertrödeln. Ich hatte etwa so geantwortet:

"Ich mache das nicht (mein Leben vertrödeln)! weil ich ja konstruiere. Ich versuche gezielt das Leben zu verstehen und zu erhöhen. Ich versuche zum höheren Menschen zu werden. Selbst wenn ich versage - ich hab's versucht, ich konnte es dann halt nicht besser! (Reschke würde jetzt laut loslachen und antworten: Du *bist* doch schon im Zentrum!) Ja, aber er hat was Wichtiges noch nicht kapiert: daß es die Nabe nur gibt, wenn es das Rad gibt! Theoriebilden ist eine Fähigkeit des Lebens. Ich denke immer: ein Baum braucht festes Holz (Theorien) und Dynamik - das rein Lebendige. Das Theoretisieren ist mein Lebensprozeß.
Ich meine, daß es richtig ist, wenn man davon ausgeht, daß ein gelingendes Leben Zukunft hat. Und dieses Zukunfthaben äußert sich in diesen Wünschen, sich weiterzuentwickeln und Theorien darüber zu machen. Lebendigkeit äußert sich auch im Denken, und vorwärtsstrebende Lebendigkeit im denkerischen Konstruieren, aus dem dann Handeln wird."

20.6.2002 Fortsetzung: Ich bin mit meiner Theorie erst zufrieden, wenn ich auch erklären kann, warum so viele spirituelle Menschen auf die Idee kommen, die Seele sei unveränderlich. Nun, sie ist unveränderlich vom Spandpunkt des Egos her. Wenn die Seele Ursprung aller Kausalketten ist, kann sie selbst nicht der Kausalität unterworfen sein. Und was ist Kausalität anderes als (physikalische, lineare) Zeit? Wenn die Seele zeitlos ist, müsse sie bewegungslos sein. So denkt der Mensch. Das halte ich für einen Trugschluß. Ich sage, daß die Prozesse in der Seele zyklisch sind und daß sich dadurch die Zeit nach außen hin aufhebt. Aber es gibt Veränderungen. Nehmen wir das Beispiel mit dem Film. Auf der Leinwand läuft der Film namens "Weltgeschehen" ab. Ein spiritueller Mensch, der in der Filmebene lebt, könnte nun sagen, daß die "wahre" Ursache eines Lichtscheins auf der Mauer nicht die Sonne, sondern der Filmprojektor sei. Erachte man in Manier der Naturwissenschaft die Sonne als kausale Ursache, könnte man unendlich in dieser Kette der Verursachungen weiterfragen. Aber wenn man vom Lichtschein die Ursache in den Projektor legt, ist sofort Schluß mit der Kausalkette, denn es gäbe keine weitere Erscheinung, die man davor ansetzen könnte. Selbstverständlich könnte man diese zyklischen Prozesse innerhalb des Projektors (Seele) zurückverfolgen, aber das wäre sinnlos, denn diese Prozesse laufen in Schleifen; sie verursachen sich selbst: sind autonom und absolut: freier Wille.

Wäre die Seele unveränderlich und alles "Irdische" einfluß- und bedeutungslos, wären alle ethisch hochentwickelten spirituellen Menschen, sämtliche Mahatmas und Avatare, nicht zu unterscheiden von den übelsten, korruptesten Massenmördern und Schwerverbrechern, die die Menschheit bisher hervorgebracht hat. Es gäbe keinen Grund, zwischen diesen beiden Menschengruppen einen Unterschied zu machen. Beide wären gleicherweise erlöste, freie Seelen. Und wenn man die Unterschiede auf diese Weise aufhöbe, könnten wir alles Beliebige gleichsetzen: Dann wäre ich der Papst und Jack the Ripper in einem und Hitler wäre Mutter Theresa und eine Kuh wäre ein Esel und gestern wäre übermorgen. Es gäbe noch alle Wörter, aber keines der Wörter würde noch irgendetwas bedeuten.

Nachtrag (21.6.2002): T. präzisierte seine Seelentheorie, indem er erklärte, das Ego (und der Leib, denn der Leib sei wie das Ego "Selbstmodell", das die Seele produziere) sei eine zeitweilige Abspaltung der Seele. Das Ego erhalte diese Spaltung aufrecht und entwickele sie weiter und versinke durch seine Eigentätigkeit immer tiefer in Illusionen. Erst der Tod des Leibes oder Überwindung aller Illusionen mache diese Spaltung rückgängig. Jedes Nichtdenken und Nichttun bringe das Ego der Seele näher: Jedes Ego-denken entferne das Ego von der Seele.

Meine Antwort: Ich glaube nicht, daß die Seele Substanz von sich abspaltet, welche ein Ego entwickelt und nun der Restseele gegenüberstehe mit einer Kluft zwischen beiden (Dualismus). Ich glaube, daß alle Tätigkeiten des Egos in Wahrheit Tätigkeiten der Seele sind, die der Empiriefalle erlegen ist. Ich erachte die Auffassung, daß die Seele unverändert bleibt, wenn sie ein Ego abspaltet, für falsch - selbst wenn das so in der Bhagavad Gita steht. Unsere Meinungsverschiedenheit besteht darin, daß T. davon ausgeht, daß das EGO eigene Taten vollbringen könne, die sich nach dem Tod restlos auflösen würden. Nach der Auflösung aller illusorischen Taten würde das Ego wieder eins mit der Seele werden. Alle Taten des EGOs seien demnach sinnlos.
Meine Ansicht ist, daß das EGO gar nichts tut. Die Seele bildet in sich selbst einen perspektivischen Fluchtpunkt, das Ego, und kann diesen als scheinbaren Ursprung von Gedanken definieren. Trotzdem stammen alle Gedanken aus der Seele; diese stellt bloß alle Gedanken unter diese perspektivische Bedingung. Die Seele richtet ihre Gedanken nach der selbstgemachten Ich-Perspektive aus. Und sie kann vergessen, daß sie es tut. Dann wird sie Opfer der Empirie und zerstört sich, indem sie sich entäußert. Das ist der Tod. Ewig, unsterblich, ist nur das, was nichtempirisch, nichtegoistisch, ist; das Moralische, Werteschaffende, Wollende, Bewußte. Da ich dem Empirischen vollständig abgeschworen habe (ich sehe die Bilder, aber ich glaube sie nicht), bin ich selig - habe den Tod überwunden. Weil ich das so erlebe, beeindruckt mich auch nicht der Einwand von T.S, ich habe 1000 Seelentheorien eine weitere hinzugefügt. Er glaube deshalb an keine einzige (er hat aber eine!). Ich schließe NICHT von 1000 falschen Theorien darauf, daß die tausenderste auch falsch sein müsse, sondern beharre auf Argumente - und ich vermerke seine Art des Schließens in meiner Seite "Fehlschlüsse" (= inzw. gelöscht).

20.6. 2002: Verlorene Übersicht: Ein Freund fragte, ob ich in meiner HP überhaupt noch Übersicht habe. Meine Antwort: Kaum! Auch aus diesem Grund kann ich mir keine Lügen und andere gedanklichen Konstruktionen, an die ich nicht glaube, leisten. Meine vielen Aufsätzchen und Tagebucheintragungen, Briefe usw. können untereinander nur dann widerspruchsfrei bleiben, wenn ich immerzu genau das schreibe, was ich für wahr halte. Wenn es dann noch Widersprüche gibt, dann aus dem Grund, daß ich mich weiterentwickelt habe. Es hat also Vorteile, wenn man im Geschriebenen die Übersicht verliert. Man wird dazu verdammt, aus der Tiefe der Seele zu schöpfen und Oberflächliches zu unterdrücken. (Trotzdem bemühe ich mich um Übersicht!)

22.6.2002: Warten: Ich habe heute ein wenig in http://www.reschke.de/nichts/n_020620.htm und http://www.wirkgilde.de/w_tagebuecher.htm herumgestöbert und bin mehrfach auf Einträge gestoßen, die einerseits zeigen, daß die Autoren auf einem mehr oder weniger langen spirituellen Pfad "nach innen" - oder wie sie es auch nennen mögen - waren und dann auf Veränderungen, neue Bewußtseinszustände, auf jeden Fall auf etwas Neues, warteten! Und dann stellten sie betrübt fest, daß sich nichts tat, selbst Großvorbilder wie Ouspensky sollen enttäuscht gewesen sein. Lothar selbst schreibt in seiner neuesten Tagebucheintragung zB

"Die Konsequenz: Student Gu. mußte raus (aus der Tagebuchsammlung). Ich habe ihn so lange mitgeschleppt und immer gewartet. Das Wirkgilde-Konzeptdenken verlangte von mir, zu warten — zu warten auf mögliche Entwicklungen. Wo so ein Potential ist, da muß doch irgendwann einmal etwas passieren!? Es passierte aber nichts."

Und über sein eigenes Warten:

"Das Warten — das ist falsch. Worauf warten? Wenn etwas jetzt nicht da ist, warum warten? Endlich erkannt. Ich mache keine Aktivität mehr, keine Unternehmung. Ich schreibe. Ich bin Schreibender, und darüberhinaus: Ich bin ich. Was ich bin, fasse ich hier in Worte."

Wie steht es mit meinem Warten? Nun, ich bin nie in diese Falle geraten. Warum nicht? Weil ich grundsäztlich nicht warte und nie gewartet habe. Ich konstruiere und beobachte und konstruiere weiter. Wozu warten? Wenn ich mich durch einen Akt des Verstehens verändere, weiß ich, daß Neues bereits geschehen ist, egal ob ich es im Augenblick wahrnehme oder nicht. Es gibt keine zeitliche Distanz zwischen einer Änderung der Seele und dem Erleben in der sog. Außenwelt. Die Außenwelt ist immer und sofort ein Spiegel der Seele.
Wenn sich nichts ereignet, ist entweder meine Wahrnehmung stumpf oder ich habe nicht wirklich Ursachen gesetzt - habe mich nicht wirklich geändert! Dann gibt es zwei Möglichkeiten für mich: die Wahrnehmung schulen oder tiefere (tatsächliche) Ursachen setzen. Warten ist passiv. Sklaven warten auf neue Befehle. Ein freier Mensch wartet nicht, er handelt. Lothars Entscheidung, nicht mehr zu warten, ist sicher richtig. Im Schreiben entfaltet sich, wer er ist. Und diese Selbsterkenntnis ist Grundlage fürs spätere Konstruieren, das nach Klärung dessen, was ist, sicher folgen wird. So war es bei mir. Vielleicht generalisiere ich unzulässig. Aber ich denke, nicht sehr falsch zu liegen.

23.6.2002: Warten, Teil 2: Ich hatte vergessen, anzugeben, daß das Warten auf empirische Bestätigung von Veränderungen im Bewußtsein auch aus dem Grund nur selten von Erfolg gekrönt ist, weil Bewußtseinsänderungen ja alles ändern - einschließlich der Vergangenheit - , was den Eindruck erzeugt, die Veränderung habe einen externen Ursprung und nicht in der Seele. So kommen Viele, für die sich in der Tat einiges veränderte, zum Schluß, daß die Veränderungen nichts mit ihnen, sondern mit der Kausalität in der Außenwelt zu tun haben. Sie können ihre Veränderungen schlichtweg nicht wahrnehmen.

Wie nimmt man denn nun Veränderungen wahr, wenn man es richtig macht? Nun, bei den o.g. Enttäuschten ist es die Enttäuschung. Leider erkennen diese sie nicht als Wert. Andere können irgendwelche Ideale nicht mehr aufrecht erhalten - und werden Andersdenkenden gegenüber toleranter. Andere entdecken, daß sie ein Talent haben, das "schon immer" in ihnen schlummerte, aber ihre Lebensroutine verhindert, daß sie diese Talente realisieren. Stattdessen warten sie und warten - wie die Juden auf den Messias. Es kommt nichts Neues; das wahrhaft Neue war immer schon da. Das zu begreifen ist wohl nur demjenigen gestattet, der die Magie lebt...

Wer wartet, wer aufgrund von Ergebnislosigkeit seiner Wahrheitssuche und Suche nach dem höheren Selbst enttäuscht ist, lebt noch in der entzauberten Welt und hat noch gar nicht die höheren Dimensionen des Seins entdeckt. Allein der Zauberer weiß, daß er alles, was er ist, schon immer war. Und dennoch ändert er sich planvoll nach seinem höheren Willen.

Buchprojekt: Heute werde ich beginnen, die Inhalte meiner HP zu einem Buch zusammenzusetzten. Dazu werde ich mir einen Zettelkasten besorgen, auf dessen Karteikarten ich Stichworte aus meinen Texten notieren werde. Zu jedem Stichwort werde ich die Quellen notieren. Meine neue Google-Suche wird mir dabei sicher viel Hilfe leisten können. Am Schluß werde ich die Stichworte am Leitfaden einer Gliederung sortieren und die zu den Stichworten gehörigen Textabschnitte zusammenfügen. Dann werden die Nähte zwischen den Abschnitten geglättet, Leerstellen aufgefüllt, Redundanzen gelöscht - und Simsalabim: fertig ist das Buch.

25.6.2002: Heuschnupfen. Vor etwa einer Woche - letzten Mittwoch - machten ein Freund und ich in mittäglicher Gluthitze einen Spaziergang, ich natürlich "oben ohne". Nach einer Stunde Fußmarsch hatten wir ein wunderschönes schattiges Plätzchen gefunden mit trockenem, kühlem Wind. Hier war es herrlich auszuhalten - und ich frotzelte etwas darüber, daß man sich normalerweise bei solch unklugem Verhalten schnell eine Erkältung eingefangen habe. Der Freund ergänze, in Indien heiße es, daß "only crazy dogs and englishmen" sich der prallen Sonne aussetzen würden.

Am nächsten Tag war es dann soweit: Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Es kamen schlaflose Nächte und verquollene Augen hinzu. Gestern (es war mir unmöglich, meine geliebte Vorlesung zu besuchen) machte ein Freund mich darauf aufmerksam, daß ich wahrscheinlich gar nicht erkältet sei, sondern unter einer Allergie "Heuschnupfen" leide. Nun, ich bin seit 1986 nicht mehr krank gewesen. Meine Freunde frotzelten schon, ich müsse nun wohl meine Philosophie ändern, denn Krankheiten seien ja Folgen falsch gesteuerter Energien, (wobei die Steuerung durch das Denken geschieht), da kam ich auf die Idee, diese Krankheit zu nutzen, um meine Philosophie zu testen. Da ich ohnehin kaum etwas anderes tun konnte, legte ich mich mit geschlossenen Augen ins Bett und übte die totale Entspannung, um wahrzunehmen, wie die Energien fließen. Ich schlief darüber ein und erwachte heute morgen gegen 8.30 Uhr - fast gesund, jedenfalls bis jetzt, 9.30 Uhr. Mal sehen, was der Tag bringt. Wenn meine Freunde heute keinen E-Brief von mir bekommen, können sie davon ausgehen, daß ich einen Rückfall erlitten habe... (hab ich!)

27.6.2002: Gedichte: Meine Statistik zeigte mir - sehr zur eigenen Überraschung - daß meine Gedichte-Seite recht häufig angeklickt wird. Ich hatte diese Seiten fast völlig vergessen, doch nun sehe ich mich aufgefordert, endlich die restlichen 80 Gedichte zu veröffentlichen und die bereits veröffentlichten zu prüfen. Gestern war es dann so weit: Gemeinsam mit T.S., einem großen Kenner von Lyrik aller Art, machte ich mich an die Arbeit, meine Gedichte zu revidieren. Ich übernahm sämtliche Verbesserungsvorschläge - sicher zum Vorteil meiner Werke. Das Gedicht "Ich bin ein Baum" läßt sich allerdings nicht verbessern, nicht, weil es perfekt wäre -im Gegenteil: es müßte so viel geändert werden, daß es besser wäre, ein völlig neues Gedicht zu schreiben. Zum Glück gibt es für dieses Gedicht noch eine - viel bessere - Prosaversion. Sobald ich sie in meinem Unterlagenchaos finde, werde ich sie als Kurzgeschichte veröffentlichen.

28.6.2002: Überzeugungskraft: Vor einiger Zeit traf ich in einem Café zufällig einen jungen Mann, mit dem ich ins Gespräch kam. Er lächelte mich an und sagte, daß es keine Selbstverständlichkeit sei, daß wir hier vormittags um 11 säßen und Kaffe tränken, statt zu arbeiten. Ich antwortete, daß ich nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden sei. Ich habe mir meinen Beruf selber erfunden und habe mir viele Freiheitsgrade erobert, die es mir zB erlauben würden, hier zu sitzen und Kaffee zu trinken. Im Übrigen arbeite ich gerade: "Ich denke nach....".

Der junge Mann fragte mich nach meiner Arbeit. Ich erzählte ihm von meiner Schule für Lebenskunst, und gegen Schluß meiner Schilderung sagte ich: "Wenn ich mir genau überlege, was ich genau mache, hmmm, gar nicht so einfach. Ich sehe die Menschen als Energiesysteme und sehe ihre Energieströme in ihren Seelen fließen. Und ich sehe Blockaden. Genaugenommen lebe ich davon, daß ich mich dafür bezahlen lasse, daß ich mit Hilfe meiner Überzeugungskraft diese Blockaden löse. Die Energieströme werden von den "wahren Lebensphilosophien" der Menschen gesteuert. Da sich die meisten Menschen keinerlei Gedanken um ihre Lebensphilosophien - Weltbilder, Weltanschauungen - machen, sind diese oft widersprüchlich. An diesen Bruchlinien staut sich ihre Lebensenergie und wächst sich zu Krankheiten aus. Ich heile diese Brüche - mit meiner Überzeugungskraft. Ja, wenn man es so sieht: Ich lebe von einer Energie, die heilt. Ihr Name: Überzeugungskraft. Ich erschuf diese Energie durch Philosophieren...."

Der junge Mann wurde ganz aufgeregt. Er sagte, er habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen, aber jetzt werde er es tun: Er habe nämlich fast dieselben Erfahrungen gemacht wie ich. Er sei fast zufällig da reingerutscht. Eigentlich habe er bloß Karriere machen wollen. Er habe der Beste sein wollen. Er habe erkannt, man wird nicht der Beste, indem man am meisten arbeitet, sondern indem man am gründlichsten nachdenkt und den Überblick zu gewinnen sucht. Er habe immer den Fleiß der Leute bewundert. Aber ebenso habe ihn erstaunt, wie wenig Gedanken sie sich um das Ganze machten. So konnte jahrelanges Arbeiten scheitern, weil die langfristige Strategie fehlte. Seine Idee war, eine langfristige Strategie zu erarbeiten und dann erst zu arbeiten. Dann könne er sicher sein, nicht umsonst zu werkeln.

Nun sei er ein Wirtschaftsberater geworden. "Ich habe einen Überblick übers Ganze, den Andere nicht haben. Das ist fast alles. Ich werde hoch bezahlt dafür, daß ich gewissen Leuten sage, was ihre Firma im globalen ökonomischen System bedeutet, und welche Entwicklungen zu erwarten seien. Ja, es ist eine Energie. Ich nannte sie Bewußtseinsenergie. Überzeugungskraft ist auch gut. Es ist etwas Magisches! Ach diese Leute hier, schau dir an, wie gestreßt sie herumwuseln. Warum? Ich sags dir, obwohl du es weißt: Weil sie nicht wissen, wer sie sind! Wäre auch nur ein Funken Bewußtheit da, wären sie Herren ihrer Zeit. Ich sitze oft hier im Cafe und schaue den Leuten zu, wie sie geschäftig umherirren. Und dann stelle ich mir vor, daß jeder dieser Menschen unsichtbar ein bestimmtes Weltbild im Kopf mit sich herumträgt. Dieses Weltbild zwingt ihn zu allem, was er tut. Immer glauben die Leute: Ich muß dieses, ich muß jenes tun, ich muß!

Nein, sie müssen gar nichts! Ihre Weltbilder zwingen sie. Sie wissen nicht, daß sie in ihrem Weltbild herumlaufen. Sie glauben, sie laufen in der Welt herum! Klar, daß sie hier verwirrt sind, denn sie haben ihre Weltbilder nicht selbst erarbeitet. Sie sind "Außenwelt" für sie. Sie haben keinen Einfluß mehr darauf. Also sind sie gezwungen, sich anzupassen. Das macht Streß! Und jeden Abend, während sie die "Tagesschau" gucken, holen sie sich neue Befehle für ihre Weltbildgestaltung ab. Natürlich merken sie es nicht. Sie informieren sich, wissen aber nicht, was "informieren" bedeutet: Sie bringen ihr Weltbild in Form, und zwar so, wie es den großen Zauberern da oben gefällt."

Als er eine Sekunde schwieg, nahm ich den Faden auf: "Wenn du das weißt - und du hast gezeigt, daß du es weißt - dann bist auch du ein Zauberer." Er antwortete: "Ja klar! Wir sind Zauberer. Wir machen uns unsere Weltbilder selbst." Es war für mich sehr erregend, einmal aus einem anderen Munde zu hören, was ich selber dachte. Der junge Mann war übrigens gar nicht so jung, wie es nach außen hin wirkte...

1.7.2002 Veränderliche Seele: Gestern las ich eine Broschüre "Die Bewußtseinsschichten des Menschen aus buddhistischer Sicht" einen Vortrag von Dr. Yoichi Kawada, folgendes:

"Wie gesagt, die Achte Bewußtseinsschicht fließt ständig dahin wie ein reißender Fluß. Das ist das wahre Wesen der Achten Bewußtseinsschicht. Dennoch wird sie oft als statische unverwechselbare "Seele" betrachtet. Das ist die übliche, verbreitete Sichtweise. Man sieht die Achte Bewußtseinsschicht an wie etwa einen Stein, wie etwas, das sich nicht ändert, als unveränderliches Selbst. Bei dieser Sichtweise bekommt man Angst davor, irgendwann unweigerlich zu verlöschen und zu verschwinden. Diese Vorstellung löst Angst aus. Man reagiert automatisch mit dem Wunsch sich selbst zu schützen, unbedingt. Es ist ein grundsätzlicher Egoismus, im Buddhismus mit "ga" bezeichnet, zu deutsch: EGO. Aus der Betrachtungsweise der Achten Bewußtseinsschicht als etwas Statischem und Unveränderlichem resultieren alle Egoismen und egozentrischen Taten, hier haben sie ihren Ursprung."

Der Vollständigkeit halber hier die alle neun Bewußtseinsschichten: Die Schichten 1 - 5 werden von den 5 Sinnen eingenommen. Die 6. Schicht ist das Ego, mit dem wir die Erscheinungswelt betrachten. Die 7. Schicht ist das, was die Psychologen als "Persönliches Unbewußtes" bezeichen. Buddhisten nennen sie "Manas". Die achte Schicht, die "Alaya"-Schicht ist Träger des Stromes des Karma. Dieser Strom fließt über die Grenzen des Individuellen und über Tod und Leben hinaus. Die neunte Schicht ist das Kosmische Bewußtsein selbst.

Als ich obiges las, wurde ich an meine Tagebucheintragung (TB 2) vom 16.6. erinnert, wo ich schrieb:

"Als ich gestern mit einem andern Freund (TS) über die Angelegenheit sprach, kristallisierte sich ein weiteres Thema heraus. Wir stellten nämlich fest, daß wir "Seele" unterschiedlich definierten. Nach seiner Philosophie bleibt die Seele von allen Illusionen letztlich unberührt. Im Tod des Leibes fallen alle Illusionen von ihr ab wie welkes Laub und die Seele strahlt in aller Reinheit, als ob sie ihren schmutzigen Traum der Welt nie geträumt hätte. Es gebe nur eine einzige Weltseele.
In meiner Philosophie ist die materielle Welt die beste Theorie, die die Seele von sich und Welt hat. Sie kann irren. Sie kann den Fehler machen, zu vergessen, daß sie die Schöpferin des Traumes ist und zum irrigen Glauben an ihre eigene Schöpfung - zur Empirie - verführt werden. Die Illusion wirkt auf die Seele zurück und kann diese verändern bis hin zur völligen Zerstörung."

Auch hier ging es um Veränderlichkeit oder Unveränderlichkeit der Seele, und ich schrieb damals, daß aus der "Unveränderlichkeits-These" der Egoismus hervorgehe, da alle Taten nach dem Tod des Leibes folgenlos blieben. Dann sei alles egal. Dann spiele es keine Rolle, ob man der Menscheit diene oder in egoistischster Weise "die Sau rauslasse" oder Völkermord begehe. Auch Kawada begründet den Egoismus mit dieser Unveränderlichkeits-These. Allerdings ist seine Begründung nicht nachvollziehbar. Wenn die Seele des Menschen doch unveränderlich ist - warum sollte der Mensch dann Angst vor Auslöschung haben und infolgedessen egoistisch werden?

Überhaupt zeigt die Verteufelung des EGOs in diesen buddhistischen Schriften, daß das EGO und dessen Funktionen falsch gesehen wird. Es heißt dort, daß EGO und Liebe Antagonisten seien: Wo es EGO gibt, ist Liebe unmöglich usw. Um die Sache richtig zu stellen: Es gibt "Liebe", und es gibt wahrgenommene Liebe. Um Liebe zu erleben, bedarf es eines EGOs, das nicht herrscht, das aber da ist. Wenn kein EGO existiert (als Konzept), kann Liebe nicht wahrgenommen werden. Dann handelt es sich nicht um zwei Wesen, die sich lieben, sondern um eines! "Liebe" ist Einheit, die ohne EGO nicht gefühlt oder wahrgenommen wird. Ist das Liebe? Nein. Das ist schlicht Einheit.

Man darf sein EGO nicht auslöschen, wenn man wahrnehmen will. Die Wahrnehmung darf nicht herrschen - wie dies bei Empirikern leider der Fall ist. Diese Leute haben in der Tat die Liebe verloren und sind zu Maschinen geworden. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die niederen Bewußtseinschichten nicht verschwinden, wenn man sich eine höhere erarbeitet hat. Die Entitäten der niederen Schichten verlieren bloß ihre Herrschaft und werden zu Dienern der höheren Schichten. EGOisten sind der Sinneswelt verhaftet. Die Sinneswahrnehmungen beherrschen diese Menschen. Bei ihnen herrscht das EGO - Liebe gibt es nicht. Transzendiert man die Sinneswelt, indem man ihren täuschenden Charakter vollständig durchschaut, verschwinden nicht die Wahrnehmungen und auch nicht das EGO. Beide dienen den höheren Bewußtseinskräften. Das EGO dient dann dazu, zB. Liebe wahrzunehmen, auch wenn dem EGO selbst die Liebe vorenthalten bleibt, denn lieben tut der Mensch, nicht das EGO. Das EGO fühlt die Liebe nur. Und das ist gut so: Das EGO ist ein bloßes Sinnesorgan, das Sinneszentrum der Wahrnehmung.
Liebe: Zwei EGOs fühlen, daß sie in einer höheren Schicht eins sind...

3.7.2002: Zweites Treffen im Cafe: Ich wollte den Wirtschafsberater unbedingt wiedertreffen. Für mich ist es wie Weihnachten und Ostern an einem Tag, die Ehre zu haben, mit solch einem Menschen eine Stunde verbringen zu dürfen. Gestern war es dann endlich so weit. Kurz bevor ich gehen wollte, kam er und setzte sich sofort an meinen Tisch. Ich erzählte ihm von meinen Erkenntnissen über das Verhältnis zwischen EGO und Liebe (siehe die beiden Abschnitte direkt über diesem) und fragte ihn, was er dazu zu sagen habe. Er sagte, er sähe es wie ich:
"Das Ego ist ein Modul, in welchem die Wahrnehmungen gebündelt werden. Das Ego ist quasi der perspektivische Fluchtpunkt hinter dem sog. "dritten Auge". Von ihm aus sehen wir sozusagen die Welt - nicht, weil wir dort sind, sondern weil die Sinnesdaten derart verarbeitet werden, daß dort ein perspektifischer Fluchtpunkt entsteht. Dieser wird nun als "Beobachterstandpunkt" kreiert. Von da an sind wir scheinbar "HIER"! Um diesen künstlichen kybernetisch erzeugten Punkt wird der materielle Leib und die gesamte Erscheinungswelt gruppiert. Wir sehen die Welt von "HIER" aus. Dieser Punkt ist der einzige unveränderliche Mittelpunkt unserer erlebten Welt. Eigentlich müßte, wenn wir unsere Füße bewegen, die Welt unter unseren Füßen hinwegflutschen, aber es erscheint umgekehrt: Die Welt bleibt unbewegt und wir latschen über die Erdoberfläche. Auch das ist ein kybernetischer Trick, den wir dann leibhaftig erleben. Unser Ego-Modul arbeitet nun mal so. Es konstruiert den Eindruck einer unbewegten Welt, in welcher wir mit unserm "HIER" - Punkt umherlaufen klönnen. Wenn du nun fragst: Ja wer sind wir denn wirklich?, antworte ich: Wir sind nicht nur das Modul. Wir sind der Träger des Moduls und all der anderen Module und deren Produkte.
"Liebe" im Sinne von "Zwei Menschen lieben sich" geht natürlich nur bei Vorhandensein zweier Egos. Diese schaffen die Trennung der Individuen, die sich dann lieben können. Ohne trennende Egos wären da keine zwei Personen, sondern eine oder keine. Da wäre Einheit, keine Liebe - genau wie du sagtst. Liebe ist, wo diese Einheit gefühlt wird von dem, was nicht Einheit ist, dem Ego."

Der Wirtschaftsberater lehnte sich zurück, schlürfte genußvoll seinen Kaffee und griff den Faden wieder auf: "Du überlegt dir die ganze Zeit, was geschähe, wenn man mit seinem Willen in dieses Modul verändernd eingreifen könnte! Stimmt's?" Ich bejahte und ergänzte, daß ich glaube, genau dies, im bescheidenen Ausmaß allerdings, bereits getan zu haben, im Rahmen meines Projekts der "Wiederverzauberung der Welt". Mein Ziel, einen alterslosen Leib zu projizieren und zu teleportieren, habe ich allerdings noch nicht erreicht. Er fragte: "Wieso "und"? Ich: "Einen unsterblichen Leib zu haben riskiere ich erst, wenn ich teleportieren kann. Sonst könnten mich irgendwelche Leute ein paar hunderttausend Jahre einkerkern. Das wäre keine schöne Vorstellung". Er: "Okay - Wie also machst du es, daß deine Seele das Modul so umprogrammiert, daß der perspektivische Fluchtpunkt des Ego hüpft und sich nicht in stetiger Weltlinie bewegt?" Ich: "Ich muß es wollen und meine Seele muß es können." Er: "Also ich wills dir sagen: Du kannst es schon, aber du nimmst es nicht wahr, weil du die Vergangenheit änderst. Dadurch löschst du die Wahrnehmung der Sprünge. Du kreierst ständig neue Stetigkeiten. Du redest ständig darüber, daß du in der Allgegenwart die Vergangenheit rückwirkend ändern würdest, aber du bist wohl noch nicht auf die Idee gekommen, daß auch du nicht alles wahrnimmst, was deine Seele für dich zaubert. Du müßtest diesen "Generator", der ständig deine stetige, kausale Vergangenheit kreiert, ausschalten. Dann erst würdest du erleben - erinnern - daß du teleportierst."

Ich fragte: "Kommt nicht die gesamte Welt durcheinander, wenn Menschen darin herumteleportieren? Ist das nicht gefährlich für die Welt?"
Er: "Ach wo! Die Unsterblichen und Teleporteure gibt es doch schon immer! Das ist normal! Und genauso normal ist es, daß wir "Generatoren" oder "Module" besitzen, die uns kausal geordnete Welten abbilden. Alles geschieht in einunddemselben Geist. Du änderst ja nichts wirklich, sondern bloß deine Wahrnehmung. Okay, du änderst auch wirklich etwas - aber das tun schließlich alle! Das ist nichts Großes! Es kommt nur darauf an, daß du es bewußt tust."

"Kannst du teleportieren?" wollte ich wissen. Er: "Keinen Millimeter! Ich bewege mich nie auch nur um einen Millimeter. Mein Ego ist stets im Zentrum der Welt. Aber ich kann mir vorstellen, mal hier, mal dort zu sein...." Ich will es mal so sagen: Ich glaube nicht mehr an die Geschichten, die ich angeblich "erlebt" habe. Ich habe mich von diesen Erinnerungen getrennt und habe an deren Stelle etwas anderes gesetzt: meine Vorstellungen. Ich bin immer genau da, wo ich sein will. Aus. Ende. Es interessiert mich nicht, wie ich da hingekommen bin. Vergiß diese "klassischen" Vorstellungen von Teleportation. So geht das nicht. Es geht eher so:

Ein Schriftsteller sitzt in seiner Bude in Deutschland und schreibt einen Südseeroman. Selbstverständlich weiß er, daß er in Deutschland IST und die Südsee nur träumt oder sich vorstellt. Er ist in der Bude: Das ist real; Romanheld und Südsee sind Fantasie! So ordnet diese Schriftstellerseele ihre Realität. Ich ordne meine Fakten anders: Ich bin in der Bude, wenn ich an die Bude denke, und ich bin in der Südsee, wenn ich an die Südsee denke und die Bude vergessen habe. Meine Fantasiewelten sind genauso real wie die sogenannte "Wirklichkeit". Es gibt keine objektive Wirklichkeit! Es gibt nur Fiktionen. Da ich alle Fiktionen als gleichwertig betrachte, bin ich nicht nur der Schriftsteller in der Bude, der über die Südsee schreibt, sondern ich bin auch der Südseeinsulaner, der sich manchmal vorstellt, ein deutscher Schriftsteller in seiner Bude zu sein. Im Augenblick lebe ich die Fiktion, in einem Mainzer Cafe zu sitzen und Kaffee zu schlürfen.

"Wie machst du es, daß nicht die Weißkittel kommen und dich in die Klapsmühle bringen?" Er lachte und meinte: "Wenn ich mit Opfern der offiziellen Welt zusammenkomme, schmeiß ich halt den normalen Generator an. Der generiert mir dann die normale Welt - und alles ist normal. Das ist kein Problem."

"Also die normale Welt dominiert auch für dich alle anderen Vorstellungswelten?" Er: "Nein. Aus der Tatsache, daß die meisten Menschen der einen Welt anheimgefallen sind, schließe ich nicht auf einen höheren Realitätsgrad derselben. Ich erkenne nur an, daß sich der Großteil der Menschheit immer dieselben Geschichten erzählt. Aber das sind nicht meine (das sind die von ARD und ZDF). Das wäre mir zu langweilig. In der Hauptsache schreibe ich Romane, wobei ich fiktive Welten erfinde. Das Schreiben fixiert den Weltenkern; die festen, charakteristischen Strukturen SCHREIBE ich fest. Dann steige ich in diese Welten ein und lebe darin. Alle wirklich guten Autoren können das, was ich kann. Sie erschaffen den Kern einer Welt - und den Rest erforschen sie. Verstehst du, was ich sage?"

Ich: "Ich fand in der FAZ ein Zitat, in welchem es hieß, Tolkien habe Mittelerde nicht erfunden, sondern entdeckt. Dieses Zitat war für mich sehr erhellend (s. "Zitate"). Ich fühlte mich damit bestätigt in meinem Projekt, meine Träume der sog. "Realität" gegenüber aufzuwerten. Aber so ganz ist mir das noch nicht gelungen. Ich kann zwar in einigen Traumwelten, die ich stabilisiert habe, sodaß sie fast jede Nacht wiederkehren, leben, aber es strengt mich sehr an, und außerdem erlebe ich diese Taumwelten weniger real, als diese eine Welt."

Er: "Okay, du mußt Geduld haben. So schnell geht das alles nicht. Mach einfach dein Ding weiter wie gehabt. Du bist auf dem richtigen Weg. Und nun, bevor ich gehe, habe ich noch ein kleines Rätsel für dich: Ich weiß, daß du dieses Erlebnis in dein Onlinetagebuch aufnehmen wirst. Was wirst du den Leuten, die sich fragen, ob du dies alles erfunden oder wirklich erlebt hast, antworten? Bedenke, ich bin eine selbsterfundene Romanfigur. Ich bin eine Erfindung meiner selbst; du bist eine Erfindung deinerselbst in anderen Romanen. Was du von mir wahrnimmst, bin nicht ich; du - und jeder andere Mensch - spiegelst etwas von mir in dein subjektives Universum hinein. Etwas von mir? Nein, nicht mal das. Ich in deiner Welt bin eine 100 % ige Erfindung von dir. Du wirst nie erfahren, ob es mich wirklich gibt, denn was ist "wirklich"? Was wirkt! Vorstellungen wirken! Mich gibt es nur "wirklich", wenn du mich in einem deiner Romane erfindest. Und die Leser deiner Homepage? Die, die wissen wollen, ob du das alles real erlebt hast oder nicht? Sie wollen es nur dann wissen, wenn sie nicht die Bohne verstanden haben, um was es geht. Und die, die verstanden haben: Sie werden zumindest ahnen, daß du unser gesamtes Gespräch zwar erfunden hast, aber real erfunden, sodaß es tatsächlich passiert ist."

Was ich denen antworte, die wissen möchten, ob ich die Gespräche mit dem Wirtschaftsberater wirklich erlebt habe: "Wenn wir als Maßstab jene Welt nehmen, in welcher es lt. Aussage der Naturwissenschaft weder Leben, noch Bewußtsein, weder Subjekt, noch Objekt, noch Erlebnisse gibt, - wenn wir also die physikalische Welt nehmen, wie sie uns die Naturwissenschaftler im Schulunterricht erklären, dann habe ich diese Gespräche nicht erlebt. Wie gesagt: In einer rein materiellen Welt gibt es kein Erleben, kein Bewußtsein, kein Subjekt, kein Objekt. Das wären sämtlich Illusionen von niemandem. Dann gibt es mich nicht - und den Wirtschafsberater gibt es ebenso nicht. Dann hat niemand irgendwas erlebt! Nehmen wir jedoch als Maßstab den Geist, dann sind alle Vorstellungen real. Dann existiere ich, insofern ich einen Mythos von mir habe - und dann existiert der Wirtschaftsberater, wenn ich eine Theorie von ihm habe und ich mein Ich von ihm abkoppele. Vielleicht erfand ich ihn als Romanfigur, aber wie wir von Tolkien her wissen, setzen diese Schöpfungen ihr Leben autonom fort und wir können sie erforschen. Sind diese Wesen erst einmal ins Leben gerufen, waren sie "schon immer da".

Das ist meine Antwort, und ich weiß, daß ich die meisten Leser damit immer noch nicht zufriedengestellt habe. Also ein letzter Versuch einer stimmigen Antwort: Am Maßstab dessen, was meiner Vermutung nach die meisten Menschen für real halten, habe ich die Geschichte bloß erfunden. Der Wirtschaftsberater ist eine Erfindung meiner Fantasie. Aber - und diese Ergänzung möchte ich anfügen: Dieser Maßstab ist in meinen Augen falsch!

Lothar schreibt in http://www.reschke.de/nichts/n_020702.htm auf seine Weise Ähnliches, wo es um die Existenz Harry Potters ging: "Es war immer schon da. Harry war immer schon da und wartete nur auf den richtigen Augenblick." Es lohnt sich, beide Gedankengänge zu vergleichen. Diese thematische Parallelität ist übrigens, im Gegensatz zu anderen, rein zufällig.

4.7.2002: Wirklich: Es ist beinahe befremdlich für mich, wenn Leute, die von ihrer eigenen Wirklichkeit völlig verdrehte Vorstellungen haben, wissen wollen, ob eine Romanfigur, sei es Harry Potter oder der Wirtschaftsberater Dr. Georg Wetter, wirklich existieren. Kann man einem Wesen mit künstlichem, fremdbestimmtem Ego, das nichts mit dem Wesen zu tun hat, sagen, was Realität ist? Derselbe Mensch, der mir vor ein paar Tagen noch mitteilte, er sei Vizeweltmeister (im Fußball), sagt nun (verzeih meine Arroganz!), ich würde spinnen. Ich kann nur antworten: Lieber Vizeweltmeister! Ich behaupte hiermit schlichtweg, daß es dich nicht gibt. Sorry! Aber etwas, das nicht existiert, zB ein Vizeweltmeister, kann keine sinnvollen Aussagen über Wahrheit und Spinnerei machen. Klar, du bist ja nicht nur Vizeweltmeister, du bist auch noch Installateur! Sagenhaft! Der Installateur ist nicht realer als der Vizeweltmeister. Merkst du nicht, daß du Etikettenschwindel betreibst? Im Kaufhaus klebt auf jeder Ware ein Preisschild. Das Preisschild ist nicht identisch mit der Ware. Die Ware, das sind zB Nudeln. Das Preisschild besteht aus Papier. Immer wenn ich dich frage, wer du bist, kommst du mit einem Preisschild daher und behauptest, du seist dieses und jenes Preisschild. Wie ist es nur möglich, daß du noch nie von dir berichtet hast? Hast du dich noch nie gesehen? Bist du dir so fremd? Bist du dir sicher, daß du überhaupt existierst? Ist da jemand hinter den Preisschildern? Du selbst sagtst: "Ja!" und ergänzt: " Ich bin 1,95 m groß, wohnhaft in ..., trage gern Militärlook, bin Fußballfan und spiele Tischtennis.....". Statt dich zu beschreiben, zählst du bloß weitere Preisschilder auf. Ich fürchte, du weißt nichts von dir. Du bist dir noch nie begegnet. Ich kann dir nur sagen: Bei Dr. Wetter gibt es Geist hinter den Preisschildern. Er weiß das. Also existiert er mehr als du oder?

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