Briefe 17
(am besten im Anschluß an "Notizen 12" zu lesen)
31.1.2005

Briefwechsel über die untersten Fundamente des Kapitalismusses und dessen Zusammenhängen mit der menschlichen Seelenbildung. Über den Zusammenhang von "Freiheit" und "Urteilskraft". Über den "Zwang", am teuflischen Spiel des Verrats und Selbstverrats teilnehmen zu müssen und wie man diesem Zwang entkommt.

Hi Jo,

ich erinnere mich nach gut an die Vorlesung „Dogmengeschichte,“ die wir Wirtschaftsstudenten nur unter Murren besuchten (utilitaristischer O-Ton: „Was bringt mir das?“), bei der uns ein Abriss der Geschichte des Wirtschaftens von der Antike bis in die Neuzeit von einem leidenschaftlichen Professor gegeben wurde. Schnell wich meine Skepsis einer eigenartigen Faszination mit dem Begriffs- und Gegensatzpaar Krematistik, oder “die Kunst, Reichtum zu erwerben,“ und Ökonomie, oder „die Kunst, den Haushalt zu verwalten,“ welches auf Platon (428 – 348 v. Chr.) oder Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) zurückgeht.

Der wahre Reichtum besteht aus solchen (lebensnotwendigen) Gebrauchsgegenständen; denn das zum guten Leben genügende Maß dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt. Es gibt aber eine zweite Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht Chrematistik heißt, infolge deren keine Grenze des Reichtums und Besitzes zu existieren scheint.

Hier verbirgt sich der kontrastierende Gegensatz von „Genügsamkeit“ einerseits und „Grenzenlosigkeit“ andererseits; die Chrematistik kennt kein Ende:

Deshalb scheint es notwendig zu sein, daß aller Reichtum eine Grenze hat, dennoch sehen wir das Gegenteil stattfinden; all diejenigen, die mit dem Erwerb von Reichtum beschäftigt sind, streben danach, das Geld unendlich wachsen zu lassen.

Mein Schweizer Professor griff im weiteren Verlauf der Vorlesung, als er zur Darstellung des Marxismus-Leninismus überging, das Gegensatzpaar Chrematistik und Ökonomie im aristotelischen Sinne einerseits und Gebrauchs- und Tauschwert andererseits wieder auf. Für den Kapitalisten, so Karl Marx (1818 – 1883), sei die Zirkulation des Geldes als Kapital Selbstzweck, denn die Verwertung des Wertes existiere nur innerhalb einer Bewegung, die sich wir folgt charakterisieren läßt: Geld – Ware – (mehr) Geld. Die zirkuläre Bewegung des Kapitals liegt daher im Kapitalismus der Warenproduktion zugrunde; sie ist zugleich Ausgangs- als auch Endpunkt aller wirtschaftlichen Bestrebungen.

Das spekulative Kapital im Bankensystem ist demgegenüber nicht einmal mehr an der Produktion einer Ware interessiert; die zirkuläre Bewegung des spekulativen Kapitals läßt sich wie folgt charakterisieren: Geld – neudeutsch: „Risikoinstrument“ – (mehr) Geld, wobei idealerweise das sogenannte Risikoinstrument oder geldäquivalente derivative Finanzprodukt zu einem risikolosen und zeitunabhängigen (also unmittelbaren, augenblicklichen, sofortigen) Arbitragegewinn innerhalb des Bankensystems führt, so daß sich der Kreis wie folgt beschreiben läßt: Geld – (Recht auf mehr) Geld – (mehr) Geld. Wir haben hier eine Art Suprakapitalismus vorliegen, von dem weder Aristoteles noch Marx etwas ahnen konnten, und der darin besteht, daß sich bestimmte Interessengruppen das Recht auf mehr Geld ganz einfach verbriefen lassen.

Zu diesem Thema ließe sich noch viel sagen, aber meine Intention, weshalb ich Dir das alles schreibe, liegt auf einem anderen Gebiet. Ich hatte diesen Abend in dem Buch „L’Homme et son Ange“ (Der Mensch und sein Engel) von Henry Corbin (1903 – 1978) geblättert, das von ismaelischer Einweihung handelt, und dabei bin ich auf eine Stelle gestoßen, in der sich ein Dialog zwischen dem Meister (Sage) und seinem Schüler entwickelt, der von eminentem Interesse ist. Der Dialog beginnt mit der Frage des Schülers, weshalb die Weisen diese Welt verabscheuten, während die Ignoranten in dieser Welt voller Lebenshunger seien und die sinnlichen Dinge zu Objekten ihrer Leidenschaften (ambition) machten. Der Meister antwortet, der Preis für diese leidenschaftliche Verbindung der Ignoranten mit der sinnlichen Welt bestehe darin, daß sie den spirituellen und geheimen Sinn derselben (der Welt) nicht erkennen können, ja daß sie nicht einmal erkennen können, das es einen solchen überhaupt gibt. Daraufhin fordert ihn der Schüler auf, ihm den Irrtum der Ignoranten zu beweisen. Des Meister’s Antwort kommt mit Nachdruck: Weil die Ignoranten den geheimen Sinn (le sens caché), der im Geist (L’Esprit) und dem Leben der Dinge dieser Welt bestünde, nicht kennen, beschäftigten sie sich mit einer Leiche (cadavre), und das Reinheitsgebot verbiete es, eine Leiche zu berühren, um sich nicht selbst zu beflecken! Diese ganze Welt, so der Weise, ist die Erscheinung einer verborgenen Realität (oder „das Phänomen eines Noumenon“); weiter bestünde die Welt nur aufgrund und zwecks dieser geheimen Realität. Darüberhinaus stünde das Verborgene (l`ésotérique) zum Offenbaren (l`exotérique) wie der Geist (L`Esprit) zum Körper. Wer den Geist kenne, könne sich an den Körpern erfreuen. Wer aber den Geist nicht kenne, kenne auch nicht das, was den Körper ausmachte, und deshalb sei für einen solchen der Körper nur eine Leiche und eine Leiche dürfe man nicht berühren. Schließlich müsse man verstehen, daß wenn die Weisen fordern, man solle die Welt verabscheuen und ihr entsagen, sich diese Forderung auf die Welt als Leiche (!) beziehe. Weiter legt der Weise eine Bibelstelle aus, in der er seinem Schüler den Unterschied zwischen „Du sollst Dich nicht von der Welt verführen lassen“ und „Du sollst Dich nicht von dem Leben dieser Welt verführen lassen“ auslegt. Das Leben dieser Welt sei das Offenbare, reine Erscheinung, Buchstabe, ohne Geist. Am Ende bedeutet er seinem Schüler, daß der Irrtum der Ignoranten eklatant sei, weil diese glaubten, Gott habe diese Welt ohne Sinn und Zweck geschaffen. Eine Welt, die ihr Ende in sich selbst trage und weder Zweck noch Bestimmung habe, wäre vollkommen absurd, so wie eine Diskussion, die keinen Zweck verfolgte, eine reine Nutzlosigkeit wäre. Dann offenbart er dem Schüler, daß alle Dinge dieser Welt symbolische Offenbarungen (*) der anderen Welt des Geistes und des wahren Lebens seien.

(*) „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“ (Goethe, Faust II)

Derjenige, der in dieser Welt nur für diese Welt arbeite, ohne die andere Welt zu kennen, handle in vollkommener Verwirrung, denn seine Arbeit mache gar keinen Sinn, weil sie ohne Zweck sei und ohne Ausrichtung auf die letzten Gründe.

Was hat das nun mit der Chrematistik zu tun, wirst Du Dich sicherlich fragen?

Dir ist möglicherweise bereits aufgefallen, daß die Krematistik eine Karikatur der spirituellen Alchemie, oder „die Kunst des Goldmachens“ ist. Der Irrtum des Ignoranten, oder wollen wir ihn in guter mittelalterlichen Manier „After-Alchemisten“ nennen, besteht darin, daß er mit einer Leiche (dem „gewöhnlichen Gold“) hantiert, während doch die wahren Alchemisten immer wieder die Warnung aussprachen, daß das gewöhnliche Gold nicht das ihrige sei. Die Idee der spirituellen Alchemie läßt sich vereinfacht wie folgt charakterisieren: Blei wird in einem geheimen Transmutationsprozeß in Gold verwandelt, wobei Blei für die ungeordneten (chaotischen) und unreinen Seelenkräfte steht, wobei die Verunreinigung durch die sündhafte Berührung der Leiche (Welt) hervorgerufen wurde, und das Gold den lichten (geistigen) Auferstehungsleib symbolisiert, der einerseits durch die Reinigung und anschließende Veredelung (Transmutation) der niederen Triebkräfte entsteht und der andererseits gleichzeitig durch die Gnade Gottes bewirkt wird, worin sich gerade der transzendente Gehalt des Opus Magnus zum Ausdruck bringt: am Stein wirken Erde und Himmel in vereinten Kräften mit!

Der alchemische Prozeß besteht ganz eigentlich in einer Seelenmetamorphose; und darin besteht auch die Arbeit der Weisen, die sich nicht auf diese (in sich sinnlose) Welt beschränkt, sondern sich auf die andere Welt, die des Geistes und wahren Lebens, erstreckt.

Hat man einmal die qualitative Dimension der Seelenmetamorphose in ihrer ganzen Tiefe erfaßt, dann kann einen schon das blanke Entsetzen packen, wenn man dem das chrematistische Wirtschaftssystem kontrastierend entgegenstellt, denn hier zeigt es sich in seiner ganzen Bosheit und Häßlichkeit: Es ist nichts anderes als ein globales schwarzmagisches 6-Nächte-Anti-Schöpfungsritual, von Dämonen der Finsternis und seelenberaubten Zombies ausgeführt, mit dem erklärten Ziel, die Welt in einen Friedhof zu verwandelt, um Gräber und Leichen zu schänden.

Die chrematistische Formel (vereinfacht: Geld wandelt sich in mehr Geld) ist eine Entartung, denn sie findet auf der rein oberflächlichen Ebene der Welt als Leiche statt; sie führt zu keiner qualitativen Seelenmetamorphose, sondern zur Seelenversklavung, –verkettung und –verhaftung durch den quantitativen Aspekt der Zahl; das Leben reduziert zu einer Gewinn- und Verlustrechnung, der Mensch bilanziert als Aktiva unter „human capital“ und über die Zeit progressiv abgeschrieben; schließlich als Verlustposten (psycho-physisches Wrack) aus dem Produktionskreislauf ausgeschieden, bis schließlich „die Pumpe versagt.“ (*) Das Grausamste an diesem Spiel jedoch ist seine Zweck- und Sinnlosigkeit, denn hier lebt und stirbt niemand für letzte Gründe und heroische Leidenschaften, sondern hier berauben sich die Menschen aus Angst vor dem Leben gegenseitig des Lebens.

(*) das Bild einer (mechanische) Pumpe anstelle des Herzens, wie bezeichnend doch diese Abwertung des Sitzes der unsterblichen Seele ist! Stell Dir vor, der Fuchs hätte zum kleinen Prinzen gesagt: „Nur mit der Pumpe sieht man richtig.“

Wie die Alchemisten bestätigen, sind alle Wege zirkulär, jedoch gibt es bei Gott keine Wiederholungen. Nach einem vollendeten Zyklus knüpft das Ende wieder an den Ausgang an, jedoch auf einem quantitativ höheren Niveau; die Seelen aller Wesen streben in einer kreisförmigen (nach oben zur Unendlichkeit hin offenen) Spirale dem göttlichen Licht entgegen, um Schönheit, Liebe und Glückseligkeit zu erfahren.

Dagegen bildet der Wirtschaftskreislauf des chrematistischen Systems eine horizontale Falle, einen perfekten und in sich geschlossenen Kreis, in dem die Verdammten gezwungen werden, dieselbe sinnlose Bewegung in atavistischer Weise immer und immer zu wiederholen; ohne Sehnsucht auf Erlösung und ohne Einsicht der eigenen Qual; ja, das ist die wahre Hölle, der Ort, an dem man das Paradies vergißt – schwarzes Höllenfeuer der Selbstvergessenheit!

Beste Grüße,


Hallo,

das ist ja wirklich hochinteressant, was du da wieder ausgegraben hast!


Hi Jo,

ich erinnere mich nach gut an die Vorlesung „Dogmengeschichte,“ die wir Wirtschaftsstudenten nur unter Murren besuchten (utilitaristischer O-Ton: „Was bringt mir das?“), bei der uns ein Abriss der Geschichte des Wirtschaftens von der Antike bis in die Neuzeit von einem leidenschaftlichen Professor gegeben wurde. Schnell wich meine Skepsis einer eigenartigen Faszination mit dem Begriffs- und Gegensatzpaar Krematistik, oder “die Kunst, Reichtum zu erwerben,“ und Ökonomie, oder „die Kunst, den Haushalt zu verwalten,“ welches auf Platon (428 – 348 v. Chr.) oder Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) zurückgeht.

Woher kommt der Begriff "Krematistik"? Was bedeutet er? Warum wurde er zur Beschreibung von Wirtschaftstheorien verwendet? Lerntest du den Begriff mit K oder kann er in der Wirtschaftstheorie auch mit Ch verwendet werden?

Der wahre Reichtum besteht aus solchen (lebensnotwendigen) Gebrauchsgegenständen; denn das zum guten Leben genügende Maß dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt. Es gibt aber eine zweite Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht Chrematistik heißt, infolge deren keine Grenze des Reichtums und Besitzes zu existieren scheint.

Hier sehe ich, daß zum guten Leben Urteilskraft gehört! Sie setzt Grenzen. Die Chrematistik hat das Urteil verlernt; sie ist grenzenlos, ausufernd - was notwendig in die Katastrophe führt: wer sich nicht beherrschen kann, wird beherrscht - findet seinen Meister!

Ich hatte gestern ein Gespräch mit meiner Freundin, bei dem es um der Thema "Ehe" und "Freiheit" ging. Ich plädierte für die Auffassung, daß ein souveräner, freier Mensch, in der Lage sei, sich zu entscheiden. Er könne aus dem unendlichen Meer an Möglichkeiten wenige auswählen und realisieren; auf die Realisation der andern Möglichkeiten könne er verzichten.

Es gebe Menschen mit einem falschen Verständnis von "Freiheit". Sie wollen KEINE Möglichkeit verpassen. Sie verzichten auf die Entscheidung, auf das Urteilen. Sie enden in Beliebigkeit, einem Höchstmaß an Unfreiheit, das genauso schlecht ist, wie gar keine Wahl zu haben. Wer urteilen kann, entgeht dem Extrem und der Katastrophe, die ihm zur Selbstbeschränkung (Genügsamkeit) zwingt.

Hier verbirgt sich der kontrastierende Gegensatz von „Genügsamkeit“ einerseits und „Grenzenlosigkeit“ andererseits; die Chrematistik kennt kein Ende:

Deshalb scheint es notwendig zu sein, daß aller Reichtum eine Grenze hat, dennoch sehen wir das Gegenteil stattfinden; all diejenigen, die mit dem Erwerb von Reichtum beschäftigt sind, streben danach, das Geld unendlich wachsen zu lassen.

Ja, und wenn man sich in diese Menschen hineinfühlt, stellt man fest, daß sie zu diesem Extrem neigen, weil ihnen die Fähigkeit abgeht, in die Höhe zu schauen. Ihnen fehlt der Zugang zur nächsten Dimension des Geistes. Ich nenne sie "Schatten". Sie sind auf die "Filmebene" gebannt, sitzen in der Falle, der Hölle fest. Sie sind ihrer Schöpferkraft beraubt. Nur noch leere Hüllen, die nirgendwo Sinn mehr sehen können.

Mein Schweizer Professor griff im weiteren Verlauf der Vorlesung, als er zur Darstellung des Marxismus-Leninismus überging, das Gegensatzpaar Chrematistik und Ökonomie im aristotelischen Sinne einerseits und Gebrauchs- und Tauschwert andererseits wieder auf. Für den Kapitalisten, so Karl Marx (1818 – 1883), sei die Zirkulation des Geldes als Kapital Selbstzweck, denn die Verwertung des Wertes existiere nur innerhalb einer Bewegung, die sich wir folgt charakterisieren läßt: Geld – Ware – (mehr) Geld. Die zirkuläre Bewegung des Kapitals liegt daher im Kapitalismus der Warenproduktion zugrunde; sie ist zugleich Ausgangs- als auch Endpunkt aller wirtschaftlichen Bestrebungen.

Das spekulative Kapital im Bankensystem ist demgegenüber nicht einmal mehr an der Produktion einer Ware interessiert; die zirkuläre Bewegung des spekulativen Kapitals läßt sich wie folgt charakterisieren: Geld – neudeutsch: „Risikoinstrument“ – (mehr) Geld, wobei idealerweise das sogenannte Risikoinstrument oder geldäquivalente derivative Finanzprodukt zu einem risikolosen und zeitunabhängigen (also unmittelbaren, augenblicklichen, sofortigen) Arbitragegewinn innerhalb des Bankensystems führt, so daß sich der Kreis wie folgt beschreiben läßt: Geld – (Recht auf mehr) Geld – (mehr) Geld. Wir haben hier eine Art Suprakapitalismus vorliegen, von dem weder Aristoteles noch Marx etwas ahnen konnten, und der darin besteht, daß sich bestimmte Interessengruppen das Recht auf mehr Geld ganz einfach verbriefen lassen.

Arbitragegewinn: Tippfehler oder nicht? Was bedeutet der Begriff?

Zu diesem Thema ließe sich noch viel sagen, aber meine Intention, weshalb ich Dir das alles schreibe, liegt auf einem anderen Gebiet. Ich hatte diesen Abend in dem Buch „L’Homme et son Ange“ (Der Mensch und sein Engel) von Henry Corbin (1903 – 1978) geblättert, das von ismaelischer Einweihung handelt, und dabei bin ich auf eine Stelle gestoßen, in der sich ein Dialog zwischen dem Meister (Sage) und seinem Schüler entwickelt, der von eminentem Interesse ist. Der Dialog beginnt mit der Frage des Schülers, weshalb die Weisen diese Welt verabscheuten, während die Ignoranten in dieser Welt voller Lebenshunger seien und die sinnlichen Dinge zu Objekten ihrer Leidenschaften (ambition) machten. Der Meister antwortet, der Preis für diese leidenschaftliche Verbindung der Ignoranten mit der sinnlichen Welt bestehe darin, daß sie den spirituellen und geheimen Sinn derselben (der Welt) nicht erkennen können, ja daß sie nicht einmal erkennen können, das es einen solchen überhaupt gibt. Daraufhin fordert ihn der Schüler auf, ihm den Irrtum der Ignoranten zu beweisen. Des Meister’s Antwort kommt mit Nachdruck: Weil die Ignoranten den geheimen Sinn (le sens caché), der im Geist (L’Esprit) und dem Leben der Dinge dieser Welt bestünde, nicht kennen, beschäftigten sie sich mit einer Leiche (cadavre), und das Reinheitsgebot verbiete es, eine Leiche zu berühren, um sich nicht selbst zu beflecken! Diese ganze Welt, so der Weise, ist die Erscheinung einer verborgenen Realität (oder „das Phänomen eines Noumenon“); weiter bestünde die Welt nur aufgrund und zwecks dieser geheimen Realität. Darüberhinaus stünde das Verborgene (l`ésotérique) zum Offenbaren (l`exotérique) wie der Geist (L`Esprit) zum Körper. Wer den Geist kenne, könne sich an den Körpern erfreuen. Wer aber den Geist nicht kenne, kenne auch nicht das, was den Körper ausmachte, und deshalb sei für einen solchen der Körper nur eine Leiche und eine Leiche dürfe man nicht berühren. Schließlich müsse man verstehen, daß wenn die Weisen fordern, man solle die Welt verabscheuen und ihr entsagen, sich diese Forderung auf die Welt als Leiche (!) beziehe. Weiter legt der Weise eine Bibelstelle aus, in der er seinem Schüler den Unterschied zwischen „Du sollst Dich nicht von der Welt verführen lassen“ und „Du sollst Dich nicht von dem Leben dieser Welt verführen lassen“ auslegt. Das Leben dieser Welt sei das Offenbare, reine Erscheinung, Buchstabe, ohne Geist. Am Ende bedeutet er seinem Schüler, daß der Irrtum der Ignoranten eklatant sei, weil diese glaubten, Gott habe diese Welt ohne Sinn und Zweck geschaffen. Eine Welt, die ihr Ende in sich selbst trage und weder Zweck noch Bestimmung habe, wäre vollkommen absurd, so wie eine Diskussion, die keinen Zweck verfolgte, eine reine Nutzlosigkeit wäre. Dann offenbart er dem Schüler, daß alle Dinge dieser Welt symbolische Offenbarungen (*) der anderen Welt des Geistes und des wahren Lebens seien.

(*) „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“ (Goethe, Faust II)

Derjenige, der in dieser Welt nur für diese Welt arbeite, ohne die andere Welt zu kennen, handle in vollkommener Verwirrung, denn seine Arbeit mache gar keinen Sinn, weil sie ohne Zweck sei und ohne Ausrichtung auf die letzten Gründe.

Ja, ich sehe diese Verwirrung, selbst unter den sog. "Experten" immer deutlicher (s. "Bieri", "Qualia", "Metzinger", "Roth").

Was hat das nun mit der Chrematistik zu tun, wirst Du Dich sicherlich fragen?

Dir ist möglicherweise bereits aufgefallen, daß die Krematistik eine Karikatur der spirituellen Alchemie, oder „die Kunst des Goldmachens“ ist. Der Irrtum des Ignoranten, oder wollen wir ihn in guter mittelalterlichen Manier „After-Alchemisten“ nennen, besteht darin, daß er mit einer Leiche (dem „gewöhnlichen Gold“) hantiert, während doch die wahren Alchemisten immer wieder die Warnung aussprachen, daß das gewöhnliche Gold nicht das ihrige sei. Die Idee der spirituellen Alchemie läßt sich vereinfacht wie folgt charakterisieren: Blei wird in einem geheimen Transmutationsprozeß in Gold verwandelt, wobei Blei für die ungeordneten (chaotischen) und unreinen Seelenkräfte steht, wobei die Verunreinigung durch die sündhafte Berührung der Leiche (Welt) hervorgerufen wurde, und das Gold den lichten (geistigen) Auferstehungsleib symbolisiert, der einerseits durch die Reinigung und anschließende Veredelung (Transmutation) der niederen Triebkräfte entsteht und der andererseits gleichzeitig durch die Gnade Gottes bewirkt wird, worin sich gerade der transzendente Gehalt des Opus Magnus zum Ausdruck bringt: am Stein wirken Erde und Himmel in vereinten Kräften mit!

Der alchemische Prozeß besteht ganz eigentlich in einer Seelenmetamorphose; und darin besteht auch die Arbeit der Weisen, die sich nicht auf diese (in sich sinnlose) Welt beschränkt, sondern sich auf die andere Welt, die des Geistes und wahren Lebens, erstreckt.

Hat man einmal die qualitative Dimension der Seelenmetamorphose in ihrer ganzen Tiefe erfaßt, dann kann einen schon das blanke Entsetzen packen, wenn man dem das chrematistische Wirtschaftssystem kontrastierend entgegenstellt, denn hier zeigt es sich in seiner ganzen Bosheit und Häßlichkeit: Es ist nichts anderes als ein globales schwarzmagisches 6-Nächte-Anti-Schöpfungsritual, von Dämonen der Finsternis und seelenberaubten Zombies ausgeführt, mit dem erklärten Ziel, die Welt in einen Friedhof zu verwandelt, um Gräber und Leichen zu schänden.

Die chrematistische Formel (vereinfacht: Geld wandelt sich in mehr Geld) ist eine Entartung, denn sie findet auf der rein oberflächlichen Ebene der Welt als Leiche statt; sie führt zu keiner qualitativen Seelenmetamorphose, sondern zur Seelenversklavung, –verkettung und –verhaftung durch den quantitativen Aspekt der Zahl; das Leben reduziert zu einer Gewinn- und Verlustrechnung, der Mensch bilanziert als Aktiva unter „human capital“ und über die Zeit progressiv abgeschrieben; schließlich als Verlustposten (psycho-physisches Wrack) aus dem Produktionskreislauf ausgeschieden, bis schließlich „die Pumpe versagt.“ (*) Das Grausamste an diesem Spiel jedoch ist seine Zweck- und Sinnlosigkeit, denn hier lebt und stirbt niemand für letzte Gründe und heroische Leidenschaften, sondern hier berauben sich die Menschen aus Angst vor dem Leben gegenseitig des Lebens.

(*) das Bild einer (mechanische) Pumpe anstelle des Herzens, wie bezeichnend doch diese Abwertung des Sitzes der unsterblichen Seele ist! Stell Dir vor, der Fuchs hätte zum kleinen Prinzen gesagt: „Nur mit der Pumpe sieht man richtig.“

Wie die Alchemisten bestätigen, sind alle Wege zirkulär, jedoch gibt es bei Gott keine Wiederholungen. Nach einem vollendeten Zyklus knüpft das Ende wieder an den Ausgang an, jedoch auf einem quantitativ höheren Niveau; die Seelen aller Wesen streben in einer kreisförmigen (nach oben zur Unendlichkeit hin offenen) Spirale dem göttlichen Licht entgegen, um Schönheit, Liebe und Glückseligkeit zu erfahren.

Dagegen bildet der Wirtschaftskreislauf des chrematistischen Systems eine horizontale Falle, einen perfekten und in sich geschlossenen Kreis, in dem die Verdammten gezwungen werden, dieselbe sinnlose Bewegung in atavistischer Weise immer und immer zu wiederholen; ohne Sehnsucht auf Erlösung und ohne Einsicht der eigenen Qual; ja, das ist die wahre Hölle, der Ort, an dem man das Paradies vergißt – schwarzes Höllenfeuer der Selbstvergessenheit!

Beste Grüße,

Volle Zustimmung! Darf ich auch diesen Briefwechsel in "Notizen" veröffentlichen?

Jo

PS: Ich werde ja immer wieder von Freunden, Kunden und Fremden mit der Frage konfrontiert, daß "ich das alles ja weiß, aber ich habe doch keine Alternative, als dieses böse Spiel mitzuspielen! Auch du nicht! Auch du bist gezwungen, Geld zu verdienen - und deine Seele zu verkaufen!"

Ich glaube, du bist der einzige, dem ich bisher begegnet bin, der meine Antwort kennt (weil du sie selber gefunden hast). Wer den Geist, seine Seele, kennt, - wer also im Geistigen verankert, wer "vom Geist" ist, - kann dasselbe machen, wie ein "Mensch aus Erde" (Joh. 3.31/32), ohne sich verkaufen zu müssen. In meiner Preisliste schrieb ich ja bereits darüber, daß ich mich nicht verkauft habe.

Ich kenne da jemanden, der einen ungeliebten Job machte, dann arbeitslos war und nun auf einen andern ungeliebten Job umschult. Er macht's aus reiner Langeweile und Perspektivlosigkeit. Als er mit mir telefonierte, sagte er, "Du hast's gut, kannst dich mit Goethe und Schiller beschäftigen, während ich mich mit ekelhaften Dreisatzaufgaben und Binomischen Sätzen quälen muß!"

Meine Antwort lautete: Du irrst dich. Es war nicht so, daß es mir zuerst materiell gut ging und ich dadurch - um meine Zeit totzuschlagen - Muße hatte, mich mit Goethe, Schiller, Schopenhauer usw. zu beschäftigen. Vielmehr war es so, daß ich aufgrund meines Müßiggangs - Beschäftigung mit Philosophien und andern Großen - nicht nur meinen geistigen, sondern auch materiellen Wohlstand ERLANGTE!

Seine Antwort: Aber du lebst doch gar nicht im Wohlstand!

Ich: Doch! Wohlstand bedeutet für mich, genau das Leben zu leben, das ich will. Meine Lebenspraxis ist Folge meines Wollens. Frucht meiner Entscheidungen. Und ich entschied mich zur Begrenzung meines Konsums: Habe alles, was ich haben will, nicht mehr, nicht weniger. Das ist mein Luxus! Diese Millionärsgattinnen, die jede Woche 10000 Euro fürs Shopping brauchen, sind arme Schweine, denn sie können eine wichtige Grenze nicht finden. Ergo sind sie unglücklich. Ihren Ehemännern geht es da schon besser, denn sie arbeiten (hoffentlich) hart fürs Geld.

Ich sagte ihm auch, daß es ihm wahrscheinlich auch besser ergangen wäre, wenn er sich - spätestens in seinen langen Zeiten der Arbeitslosigkeit - zB mit Philosophie, Literatur, Spirituellem - evtl. unter meiner Anleitung, beschäftigt hätte. Ich könne mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß ernsthafte Wahrheitssucher in der Gosse landen. Weisheit macht nicht reich, aber sie ermöglicht ein GUTES LEBEN!!!!

Gott behütet die Seinen!!!

usw....


Hi Jo,

Woher kommt der Begriff "Krematistik"? Was bedeutet er? Warum wurde er zur Beschreibung von Wirtschaftstheorien verwendet? Lerntest du den Begriff mit K oder kann er in der Wirtschaftstheorie auch mit Ch verwendet werden?

Diejenigen, die Zinsen verschlingen, sollen nicht anders dastehen als wie einer, der vom Satan erfaßt und zum Wahnsinn getrieben wird. Dies (soll so sein,) weil sie sagen: "Handel ist dasselbe wie Zinsnehmen." Doch Allah hat den Handel erlaubt und das Zinsnehmen verboten. Und wenn zu jemandem eine Ermahnung von seinem Herrn kommt und er dann aufhört - dem soll verbleiben, was bereits geschehen ist. Und seine Sache ist bei Allah. Wer es aber von neuem tut – die werden Bewohner des Feuers sein, darin werden sie ewig bleiben. (Koran 2: 275)

...

Der wahre Reichtum besteht aus solchen (lebensnotwendigen) Gebrauchsgegenständen; denn das zum guten Leben genügende Maß dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt. Es gibt aber eine zweite Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht Chrematistik heißt, infolge deren keine Grenze des Reichtums und Besitzes zu existieren scheint.

Hier sehe ich, daß zum guten Leben Urteilskraft gehört! Sie setzt Grenzen. Die Chrematistik hat das Urteil verlernt; sie ist grenzenlos, ausufern - was notwendig in die Katastrophe früher: wer sich nicht beherrschen kann, wird beherrscht - findet seinen Meister!

Ich hatte gestern ein Gespräch mit meiner Freundin, bei dem es um der Thema "Ehe" und "Freiheit" ging. Ich plädierte für die Auffassung, daß ein souveräner, freier Mensch, in der Lage sei, sich zu entscheiden. Er könne aus dem unendlichen Meer an Möglichkeiten wenige auswählen und realisieren; auf die Realisation der andern Möglichkeiten könne er verzichten.

Er kann es, weil er das Unterscheidungskriterium hat! Die meisten Menschen wissen nicht, was sie wollen und auch nicht was sie wollen sollen. Deshalb sind sie Schafe! Das Kriterium ist allein die Forderung der Seele; was Deine Seele fordert, mußt Du tun und darin besteht meineserachtens Deine Freiheit. Du bist frei, umzukehren und den Forderungen der Seele zu folgen. Dann teilt sich das unendliche Meer der Möglichkeiten wie einst der Jordan in zwei Hälften und läßt Dich sicher passieren; die anderen aber werden im Ozean der Vielfältigkeit ertrinken, von den Möglichkeitswellen verschluckt. Und das ist es, was Bestimmung bedeutet. Jemand der bestimmt ist, folgt der Stimme (Forderung der Seele); dann wird sein Körper ein geist und er kann wie Jesus über den Wassern schweben.

Es gebe Menschen mit einem falschen Verständnis von "Freiheit". Sie wollen KEINE Möglichkeit verpassen.

Maßloser Erlebnishunger; verzweifelte Lebensgier!

Sie verzichten auf die Entscheidung, auf das Urteilen. Sie enden in Beliebigkeit, einem Höchstmaß an Unfreiheit, das genauso schlecht ist, wie gar keine Wahl zu haben. Wer urteilen kann, entgeht dem Extrem und der Katastrophe, die ihm zur Selbstbeschränkung (Genügsamkeit) zwingt.

Hier verbirgt sich der kontrastierende Gegensatz von „Genügsamkeit“ einerseits und „Grenzenlosigkeit“ andererseits; die Chrematistik kennt kein Ende:

Deshalb scheint es notwendig zu sein, daß aller Reichtum eine Grenze hat, dennoch sehen wir das Gegenteil stattfinden; all diejenigen, die mit dem Erwerb von Reichtum beschäftigt sind, streben danach, das Geld unendlich wachsen zu lassen.

Ja, und wenn man sich in diese Menschen hineinfühlt, stellt man fest, daß sie zu diesem Extrem neigen, weil ihnen die Fähigkeit abgeht, in die Höhe zu schauen. Ihnen fehlt der Zugang zur nächsten Dimension des Geistes. Ich nenne sie "Schatten". Sie sind auf die "Filmebene" gebannt, sitzen in der Falle, der Hölle fest. Sie sind ihrer Schöpferkraft beraubt. Nur noch leere Hüllen, die nirgendwo Sinn mehr sehen können.

Ja, sie wollen mehr und mehr, weil sie Gefangene der Horizontalen sind; das ist auch im Turmbau zu Babel symbolisiert. Man kann Gott nicht erreichen, indem man immer höher innerhalb dieser Welt baut, denn diese Welt ist in Bezug auf den Geist die Horizontale. Stell Dir einmal vor, der Herr der Ringe hätte die Schlacht und den Ring gewonnen. Tatsächlich ist er kein Herrscher, sondern ein Zerstörer. Alle weltliche Macht bedeutet am Ende, wie es der Meister sagt, eine Leiche.

(...)

(*) „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“ (Goethe, Faust II)

Derjenige, der in dieser Welt nur für diese Welt arbeite, ohne die andere Welt zu kennen, handle in vollkommener Verwirrung, denn seine Arbeit mache gar keinen Sinn, weil sie ohne Zweck sei und ohne Ausrichtung auf die letzten Gründe.

Ja, ich sehe diese Verwirrung, selbst unter den sog. "Experten" immer deutlicher (s. "Bieri", "Qualia", "Metzinger", "Roth").

Alfred Herrhausen, der ehemalige und ich glaube 1989 angeblich von der RAF umgebracht, meinte einmal: „Jetzt wo wir Geld haben, können wir etwas für Kultur tun.“ Was für ein fataler Trugschluß! Besser hätte es heißen müssen: „Jetzt wo wir Geld haben, könnten wir etwas für die Seele tun, tun wir aber nicht, weil wir nicht wie der Pate vom Stuhl fallen wollen.“

http://www.alfred-herrhausen-gesellschaft.de/

Beste Grüße,


PS: Ich werde ja immer wieder von Freunden, Kunden und Fremden mit der Frage konfrontiert, daß "ich das alles ja weiß, aber ich habe doch keine Alternative, als dieses böse Spiel mitzuspielen! Auch du nicht! Auch du bist gezwungen, Geld zu verdienen - und deine Seele zu verkaufen!"

Satan droht euch Armut an und befiehlt euch Schändliches, Allah aber verheißt euch Seine Vergebung und Huld. Und Allah ist Allumfassend und Allwissend. (Koran 268)

Der Held ist ein Held, nicht nur weil er der Stärkste, Mutigste und Tugendhafteste ist, sondern weil er auch der Listigste ist! Die Menschen müssen verstehen, was Jesus meinte, als er sagte: „Seid sampft wie die Tauben und schlau wie die Schlangen.“

Zudem geht es darum, einen Selbstanspruch zu definieren, so wie Oskar Wilde es tat: „Ich habe einen ganz einfachen Geschmack – ich bin immer mit dem Besten zufrieden!“

In Frankfurt gibt es so viele schlechte Friseure; meine Frau ist schon ganz verzweifelt. Die Deutschen haben miserable Haarschnitte. In Paris gibt es „Haarkünstler,“ die können Euro 200 pro Haarschnitt verlangen und Leute kommen aus Australien (!) eingeflogen, um von diesen Leuten einen Haarschnitt zu bekommen. Sollte nicht jeder, der Friseur wird, ein Künstler sein wollen? Meineserachtens sollte jeder Friseur so gut Haare schneiden können WOLLEN, wie dieser in Paris, aber nicht allein deswegen, weil er/sie damit viel Geld verdienen können wird, sondern weil es aus einem Anspruch heraus erwächst das Wahre, Schöne, Gute lebendig zu machen – „against the odds,“ d.h. gegen alle Hässlichkeiten und Hindernisse des Lebens. Und dazu gehört auch die Undankbarkeit des Kunden. Viele Menschen sind gar nicht sensibilisiert für die Möglichkeiten, die das Leben bietet; sie können gar nicht sehen, wenn jemand Herausragendes leistet und es deswegen auch nicht würdigen; und deswegen muß man alles allein für sich selbst tun. Man muß sein eigenes Gesetz werden.

Bei uns gibt es ein Restaurant, in dem man zu vergünstigten Preisen Speisen von Kochlehrlingen bestellen kann. Einmal und nie wieder. Das ist ein ganz schlimmer Frass! Ich habe keine Ahnung von Kochen, aber gib mir ein Kochbuch und zwei Wochen und ich lern soviel, wie diese Leute nicht in 2 Jahren lernen. Und warum ist es, daß ein Junge aus London (Jamie Oliver) nicht nur ein super erfolgreicher Koch, sondern sogar Bestseller-Autor von mittlerweile vier (!) Kochbüchern in Deutschland ist (Amazon-Verkaufsränge: 355, 965, 374, 157)? Weil er, wie er von sich selbst sagt, GENIAL ist ,-)))

7.9.2005: sehr geehrter herr heyer

gestern stiess ich auf ihre homepage.
wie kams dazu? nun, noch vor ein paar wochen sass ich in sardinien am pool und las stanislav grof (davor illy). dadurch hatte mein persönliches weltbild einige bereicherung erfahren. dann kam eine phase des «auf der stelle tretens». was tue ich in einer solchen situation? ich postuliere das weiterkommen und erwarte den nächsten «raum». als ich dann auf ihre homepage stiess wusste ich: that's it. ich leuchtete innerlich wie ein glühwürmchen auf. am liebsten würde ich wochen urlaub nehmen und mich durch die texte wühlen. in vielem was ich bis jetzt entdeckte, werde ich bestätigt, in anderen belangen komme ich weiter, das spüre ich.
ich empfinde mich als philosophen. kann nicht ruhen, muss über dies und jenes nachdenken, möchte zur wahrheit durchdringen. durchdrungen habe ich in der tat schon vieles. als ich ein kleiner junge war, hat es angefangen..
über 30 jahre her. eine einsame beschäfigung. ich bin alleine auf weiter flur. mit niemandem, nicht mit dem besten freund, kann ich wirklich tiefe dialoge führen. was für mich schätze sind, ist für andere nur «spinnerei».
manchmal denke ich: bin nur ich real und die anderen alle nur marionetten? zu oberflächlich ist ihr denken und handeln (man denke an den film stepford wives). wer hinter das geheimnis kommt ist einsam und die umwelt wird irreal, merkwürdig. spinne ich nun? die herren der welt mögen sich sagen: lasst ihn doch die wahrheit finden, er wird alleine mit ihr sein.

nun hätte ich gerne ihre cd. es ist gut, dass sie was kostet, denn wir wollen doch nicht die «perlen vor die säue» werfen. und ich wünsche mir einen dialog, einen echten dialog unter echten philosophen.

viele grüsse

Antwort: Der Eindruck, nur du seist real und die Andern nur Marionetten, entsteht m.E. durch die Beschränktheit der Sinnesorgane. Du kannst nur materielle, also mechanische, marionettenhafte Erscheinungen wahrnehmen. Die Erscheinung ist NICHT die Sache oder die Person selbst! Falls du nun dem materialistischen Weltbild verhaftet bist, begehst du den Irrtum, die Erscheinungen mit einer vermuteten Realität gleichzusetzen und sagst: Da ich den Andern marionettenhaft wahrnehme, IST er eine Marionette. Das ist ein Irrtum.

Wenn du dir klarmachst, daß du von jedem Menschen nur den mechanischen Aspekt wahrnehmen kannst, obwohl diese Menschen auch eine unsichtbare, lebendige, mit Willensfreiheit ausgestattete Seele haben, bist du vor diesem Irrtum gefeit. Das Marionettenhafte kann man sehen; das Nichtmarionettenhafte kann man nur denken, fühlen und wissen.

Wenn ich in meiner HP von Zombies schreibe, so meine ich beseelte Menschen, die so sehr im Irrtum über sich selbst sind, daß sie nicht anders als empirisch marionettenhaft denken können. Wer seinen Geist zur Marionette gemacht hat, hat zwar möglicherweise immer noch sowas wie eine Seele, aber er lebt zumindest so, als hätte er keine.

Ich hatte mit einem Feund (Martin) eine Diskussion über das Thema. Er meinte, jeder Mensch habe eine Seele. Sie könne zwar aufgrund empirisch-wissenschaftlicher Indoktrination einen mechanistischen Überbau erhalten, der den Menschen quasi-seelenlos mache, aber eben nur quasi, nicht wirklich. Die Seele selbst sei unzerstörbar. Beim Zombie sei sie nur unwirksam.

Ich hingegen vertrat die Ansicht, die Seele sei derart flexibel, daß sie sich ganz in Materie umwandeln könne. Demnach könne es tatsächlich Seelenlose geben. Ich glaube an die Existenz seelenloser Teufel. Ich glaube nicht an die Existenz unwirksamer Seelen, denn Seelen sind immer wirksam, gleichwie Bewußtsein immer bewußt ist. In meinen Tagebüchern gibt es zudem an mehreren Stellen Diskussionen mit TS zum Thema, siehe Stichwortverzeichnis: "Seele, unveränderlich".

15.1.2007: Leserbrief zu "Glück" in "Aktuelles 13":

Ich empfinde die Glücksdiskussion als ‚verunglückt’; meineserachtens ist Glück keineswegs etwas ‚rein Subjektives’, wie Pieper meint, sondern hängt bei jedem Menschen u.a. von physiologischen Voraussetzungen ab, die sich durch Abwesenheit von Stress & Nervenbelastungen auszeichnen!

Walser formuliert das etwas holprig mit ‚unabhängig von der Welt sein’. Hier klingt ein wenig Sartre und sein ‚L’enfers, c’est l’autre’ [„Die Hölle? Das sind die anderen!“] mit rein. Was Walser eigentlich meint, denke ich, ist die Tatsache, dass wenn man Geld hat, man praktische Probleme mit Geld lösen kann, also praktisch durch nichts gestresst oder genervt werden kann! Michael Milken [‚The Junk Bond-Kind’ in den 80er Jahren, geschätzes Privatvermögen: USD 2 Milliarden] meinte einmal, dass seine Mutter zu sagen pflegte, dass ein Problem erst dann ein Problem sei, wenn man es nicht mit Geld lösen könne. Man muss dann Sartre neu formulieren und sagen: „Die Hölle? Das ist, wenn man ein Problem nicht mit Geld lösen kann.“

Grönemeyer mystifiziert die Erfahrung der Abwesenheit von Stress [= Nervenfreiheit] und sonstigen ‚Störungen’ als ‚zeitlose Unendlichkeit’.

Meineserachtens ist die Glückserfahrung vollkommen physiologisch, hat aber eine geistige Grundlage! Der Mensch muss nämlich die geistig-materiellen Voraussetzungen schaffen, die es einem [allen] ermöglichen, frei von Stress und Nervenbelastungen zu leben. Wenn beispielsweise ein Mensch Sklave seiner Leidenschaften ist, ist er per Definition glücksunfähig, denn dann wird er Dinge tun, die ihn stressen und nervlich belasten und letztlich psycho-physisch ruinieren, ganz gleich wieviel Geld dieser Mensch besitzt. Andererseits kann ein Mensch von Natur aus ruhig und ausgeglichen sein, beispielsweise ein Schuster in Bagdad; wenn er aber das Unglück hat, in einem sozialen Kontext zu leben, das durch Tyrannei und Unterdrückung gekennzeichnet ist, dann wird sein Glück nicht lange dauern. Spätestens dann wenn sein Haus von Raketten zerstört, seine Kinder von Clusterbombem zerfetzt und seine Frau von Soldaten vergewaltigt worden sind, ist es aus mit dem Glück.

Der Mensch ist eine geistig-körperliche Ganzheit, eingebettet in Kultur (Gesellschaft) und Natur; ohne Verständnis der Wechselwirkung zwischen Geist, Körper, Individuum, Gesellschaft, Natur und Kultur, Vergangenheit (Kulturerbe) und Zukunft (Vision/Utopie) kann es kein Glück geben, denn niemand weiss es zu erschaffen; es sei denn natürlich man definiert das blödsinnige Grinsen eines Spasstikers als ein authentischen Glücksausdruck: er weiss von nichts, so kann ihn auch nichts stören!!!

Lieber Leser: Was war dir die Lektüre dieser Seite wert? Bitte hier klicken --> (X)
Startseite // Briefe 16 // Briefe 18