Die Philosophie Georg Friedrich Wilhelm Hegels
von Hans-Joachim Heyer

8.10.2002
Hegel versuchte, die (scheinbar) weit auseinanderliegenden Philosophien  Fichtes und Schellings unter einen Hut zu bringen. So suchte er eine verbindende Klammer um Fichtes „subjektiven Idealismus“ und Schellings „objektiven Idealismus“ - und fand sie in seinem „absoluten Idealismus“. Er hatte These und Gegenthese zur Synthese „aufgehoben“ im dreifachen Sinn dieses Begriffes „aufgehoben“: neutralisieren, bewahren, erhöhen (1/457

Der Weltprozeß, den Hegel als Selbstentfaltung des Geistes sieht, entwickelt sich seiner Erkenntnis nach in drei Entwicklungsstufen. In der ersten Stufe ist er im Zustand des an-sich-Seins, dem subjektiven Geist - was dem Fichte’schen subjektiven Idealismus entspricht, in der zweiten Stufe im Zustand des anders-Seins, dem objektiven Geist - was dem Schelling’schen objektiven Idealismus entspricht und in der dritten Stufe kehrt der Geist aus der Selbstentäußerung zu sich selbst zurück und ist nun im Zustand des an-und-für-sich-Seins, Hegels absoluter Idealismus mit dem absoluten Geist.

Hegel hält weitere Begriffe für dieses Dreigespann parat: Das „An-sich-Sein“ denkt er mit der Philosophie der Logik zu untersuchen, das „Anders-Sein“ mit der Philosophie der Natur und das „An-und-für-sich-Sein“ mit der Philosophie des Geistes (1/458).

Dabei versteht er unter Geist jedoch keine personale Größe, also keinen denkenden menschlichen oder göttlichen Geist, sondern eher ein dynamische-dialektisches Grundprinzip der Welt. Der Geist existiert zunächst als Strukturprinzip, dargestellt in Hegels Logik, entäußert sich dann in Gestalt der Natur, dementsprechend in der Naturphilosophie reflektiert, kehrt schließlich in Gestalt  des Menschen zu sich zurück, gewinnt das Bewußtsein seiner selbst und wird zu dem, was er ist: Geist (2/101).

Diese Entwicklung kann ein reifer Mensch an sich selbst beobachten: Als Kind ist er ganz Subjekt: Alles wird nur in Bezug zu ihm selbst wahrgenommen - eine Art kindlicher Solipsismus. Dann entäußert sich der Mensch; er entwirft sich sogar ein äußeres Bild von sich selbst, wird Maske (Person), spielt eine Rolle in der Außenwelt, er vergißt sich als  Subjekt.

Wer nun weiterreift - es sind nur Wenige - gerät in eine Krise, entdeckt sein Subjekt neu, beginnt zu philosophieren - die Außenwelt zu transzendieren - und entwickelt sich zum geistigen Zustande des Kindes, das er einmal war, wieder zurück - mit der Zugabe, daß er nun seiner selbst bewußt geworden ist. Die im Erwachsenenalter verschwundenen Fähigkeiten des Staunens, des Nichtwissens, Glaubens usw erhält er zurück.

Nicht weiter reift, wer in der Objekt-Falle steckenbleibt - wer davon überzeugt bleibt, daß er ein Objekt (Körper) in einer mit Objekten vollgestopften Welt ist. Solchermaßen entäußerte Menschen kehren erst im Tod zu sich selbst zurück, allerdings ohne Bewußtheit erlangt zu haben (3).

Unter Logik versteht Hegel die geistige Struktur vor der Erschaffung der Natur, wo sie sich als Idee im raum- und zeitlosen Zustand des An-sich-seins befindet. Sie bildet als Gedanke, als Idee, das geistige Gerippe der Welt. Dabei werden die Gedanken nicht willkürlich gesetzt, sondern sie entstehen aus einem ersten Anfang heraus durch Selbstentwicklung nach dem dialektischen Prinzip. So ist nach Hegel dieser erste Anfang im Begriff des „Seins“ gelegen. Da es in der Natur nie diesen allgemeinen Begriff, sondern stets nur konkrete Dinge gibt, ist jenes allgemeine Sein in der Natur ein Nichts. Damit haben wir einen Widerspruch aufgedeckt. Das Sein im ersten Zustand des Weltgeistes ist in seinem zweiten Zustand ein Nichts. Dieser Widerspruch löst sich auf in einem neuen Begriff, nämlich dem des Werdens in der Natur: den Wandel der konkreten Dinge in der Natur. Sein und Nichts sind in einem neuen Begriff „Werden“ aufgehoben. Aus diesem Anfangspunkt heraus entwickelt Hegel seine gesamte Logik.

In seiner Philosophie der Natur behandelt Hegel das, was wir heute die empirische Wissenschaft nennen. Der Erfahrung zugänglich ist nur die äußere Natur, die Welt der konkreten Dinge, in der alles durch Relation zu anderen konkreten Dingen bestimmt ist. Hier wird das „an-sich-sein“ allDas Reich des Geistes und damit die Philosophie des Geistes ist in drei Stufen gegliedert: Subjektiver Geist, objektiver Geist und absoluter Geist.

Die Lehre vom subjektiven Geist behandelt das Leben des einzelnen Menschen. Im Menschen wird der Geist seiner selbst bewußt. Was in den allgemeinen Begriffen der Logik nur als ein Gedachtes vorhanden war, gewinnt im Bewußtsein des Menschen Wirklichkeit. Hier ist der Geist „bei sich selbst“ oder „für sich“. Genauer: Hier beginnt der Geist aus dem Zustand des „außer sich seins“ in den des „für-sich-seins“ überzugehen. Es heißt „beginnt“, weil der Mensch trotzdem immer noch Teil der Natur („Anders-sein“) ist (nach 1/460).

Unter objektivem Geist versteht Hegel die dem einzelnem Menschen übergeordneten Gesetze oder geistigen Strukturen, die er „Ethik“ nennt. Damit meint er das Beziehungsgeflecht in Familie, Gesellschaft, Staat und, bei Hegel besonders ausführlich behandelt, die Geschichte. Da der objektive Geist dem subjektiven Geist übergeordnet ist, ist es nicht der einzelne Mensch, der  handelt, sondern es ist der Weltgeist, der durch den einzelnen Menschen handelt und sich des Menschen dabei als Werkzeug bedient. Somit verkörpert sich in den Menschen der „Geist der Zeit“. Der einzelne mag zwar glauben, er  handele aus persönlichen Motiven, aber er irrt - es unterliegt einer „List der Vernunft“ und erfüllt über seine eingebildeten Ziele hinweg doch das historisch Notwendige. In diesem Sinne ist nach Hegel trotz aller widerstreiten Ziele der Individuen doch alles dem großen Plane des Weltgeistes Untertan und gehorcht einer höheren Vernunft, sodaß man sagen kann, daß alles, was wirklich ist, auch vernünftig sei, und alles, was vernünftig, auch wirklich ist (nach 1/462, 463).

Im absoluten Geist ist der Geist vom „Anders-sein“ wieder ganz zu sich zurückgekehrt. Er ist nun „an-und-für-sich, dreigestuft in Kunst, Religion und Philosophie und reflektiert im besten Fall nur noch sich selbst. In der Kunst erscheinen Subjekt und Objekt in vollendeter Harmonie, erscheint die absolute Idee in ihrer Reinheit Jene Harmonie, die in der Kunst in der Form äußerer Sinnlichkeit offenbar wird, ist in der Religion innere Gegenwart. Aber erst in der Philosophie ist der absolute Geist frei von Bindungen an Sinnlichkeit, Gefühlund Vorstellung und existiert ausschließlich in der reinen Form des Gedankens - ist ganz zu sich selbst gekommen (nach 1/461).

Dreigliederung des Hegel’schen Begriffssystems 

1)
Absoluter Idealismus (Hegel)
Absoluter Geist (Kunst, Religion, Philosophie)
Synthese
an-und für-sich-Sein
Philosophie des Geistes

2)
Objektiver Idealismus (Schelling)
Obj. Geist (Fam., Staat, Geschichte)
Gegenthese
anders-Sein  -  außer sich
Philosophie der Natur

3)
Subjektiver Idealismus (Fichte)
Subjektiver Geist (Mensch für sich)
These
an-sich-Sein
Philosophie der Logik (Sein/Nichtsein-Werden)

wobei 2) und 3) zu 1) verschmelzen, bzw. in 1) aufgehoben werden. Subjekt und Objekt verschmelzen zum Absoluten, These und Gegenthese zur Synthese, Phil. der Logik mit Phil. der Natur zur Phil. des Geistes.

Gegen Hegels Philosophie wurde u.a. angeführt, daß er  das dialektische Prinzip, das zwar ein höchst fruchtbares Ordnungsprinzip unseres Denkens ist, auch zum Prinzip des Seins (der Dinge der Welt) erhob. Das führte ihn zur Täuschung, daß die ganze Fülle der empirischen Wirklichkeit aus den Gesetzen der Selbstbewegung des Denkens angeleitet sei. So sei der reale Gegensatz zu einer realen Erscheinung nicht logisch herleitbar. Ein Satz kann widerlegt werden, aber nicht ein Maschinengewehr, wie Ernst Jünger sagt (1/464).

   Ich denke jedoch, daß es sich die Kritik hier etwas zu leicht gemacht hat. Ein Maschinengewehr zB kann durchaus widerlegt werden. Ist mittels dieser Waffe mit Geknatter erst mal eine Friedhofsruhe hergestellt, verliert die Waffe ihre Funktion. Da sie aber durch ihre Funktion definiert ist, ist sie bei Fehlen der zu erschießenden Opfer widerlegt. Sieht man die Außenwelt als Widerspiegelung der Innenwelt an, findet man zu jedem Objekt eine Widerlegung - eine Gegenkraft, sodaß Hegels Dialektikprinzip sich auch hier als richtig erweist(3).

Zum Schluß möchte ich Hegels Philosophie einer eigenen Wertung unterziehen und sie mit einer modernen Theorie vergleichen.

   Nach der Quantentheorie gibt es empirische Meßergebnisse nur bei Anwesenheit eines bewußten Beobachters. Erst der bewußte Beobachter läßt die Wahr-scheinlichkeitswelle zu einem konkreten Teilchen kollabieren, was in Hegel’scher Termninologie wohl heißen würde, daß der subjektive Geist aus dem absoluten Geist die objektive Welt „herauszieht“.

   Ebenso läßt sich Hegels Vorstellung vom Sein und Nichts in modernen physikalischen Theorien wiederfinden: So stellt man sich heute das „leere“ Weltall als vollständig erfüllt mit virtuellen Teilchen vor, die, da sie in unmittelbarer Nähe zu ihren jeweiligen Antiteilchen sind, keine „weltliche“ Existenz haben. In der physikalischen Welt gibt es nur Energiedifferenzen. Sind diese Null, liegt ein Nichtsein vor, obwohl der Raum weiterhin „vollgestopft“ mit (absoluter) Energie (sein) ist (4).

Quellen:

1) Hans-Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Fischer TB, 1987
2) Rainer Hegenbart: Wörterbuch der Philosophie, Humboldt-taschenbuch 485, 1984
3) eigene subjektive Erlebnisse bzw. Erfahrungen.
4) eigene Auslegung naturwissenschaftlicher, objektiver Erkenntnisse


Über den Zufall

Man sollte annehmen, daß Zufall und Naturgesetz einander ausschließen. Bis in die 1920er Jahre hinein war diese Annahme auch evident (Einstein: Gott würfelt nicht!), bis eine bestimmte Interpretation der Quantentheorie, die ich für irreführend halte, dem Zufall Realitätscharakter (ob-jektiver Z.) zuwies, nämlich über die sog. „Unschärferelation“. Diese ergibt sich aus der Erkenntnis, daß der Beobachter das Beobachtete beim Beobachten verändert. Genaugenommen bedeutet diese, daß die Subjekt-Objekt-Trennung - zumindest teilweise - aufgehoben ist. Da man aber aus politischen Gründen (s."Politische Kultur" in diesem Heft) den Einfluß des Subjekts auf das Objekt leugnen wollte, mußte man die Unschärfe der Trennung in die Objektebene hineinziehen mit der Folge einer objektiven Unschärfe, ZUFALL genannt. Mit diesem Trick gelang es, das Subjekt aus der objektiven Welt herauszuhalten und dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Das ehemalige Subjekt wird in der empirischen Wissenschaft nun vollständig objektiviert: Der Mensch ist nun nur noch eine Ansammlung toter Materie; Geist sind elektrochemische Reaktionen, denen der Mensch völlig ausgeliefert ist. Bewußtsein ist reine Illusion. Fragt sich: Wessen Illusion?

Selbstverständlich weiß die Wissenschaft, daß alles mit allem zusammenhängt, und daß es nur im wissenschaftlichen MODELL, das ja im Verhältnis zur Realität arg reduziert ist,  isolierte Entitäten gibt. Zusammenhänge, die aufgrund des Denkens im Modell nicht gesehen und deshalb als „zufällig“ erscheinen, sind es dadurch in Wirklichkeit durchaus nicht! Die Zusammenhanglosigkeit, also Zufälligkeit von Dingen der Welt existiert nur im wissenschaftlichen Modell. Dies ist durch das Hervorheben von Wirkzusammenhängen, nun Kausalität genannt, und die Ignoranz der Anomalien, entstanden: Das naturwissenschaftliche Modell enstand durch Streichung von Anomalien und Schließung der so entstandenen Lücken mit dem „Zufall“.

>>Z. wäre dann ein anderes Wort für „nicht begriffen“ oder „unkontrolliert“. ... Die Wechselwirkung von Systemen erscheint auf der Ebene der Beteiligten als zufällig, auf der Ebene des übergeordneten Systems, dessen Elemente die wechselwirkenden Systeme sind, als notwendig. Z. drückt also eine gewisse gegenseitige Unabhängigkeit von Wechselwirkungspartnern aus.<< (Wörterbuch der Philosophie)

Offen bleibt die Frage, wozu die "Macher" den Zufall in das wissenschaftliche System hineinfälschten.

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