Über die Entwicklung der Arten
von Dr. Horst Heyer
20.11.2004

Die Entwicklung der Arten ist nicht nur eines der wichtigsten Themen, welche die Wissenschaft zu bearbeiten hat, es ist auch ein Thema, das hochgradig mit Emotionen belastet ist und zu entsprechend heftigen Kontroversen geführt hat. Lesen Sie eine interessante Hypothese, welche eine These über die Artenvielfalt liefert.

Schon von mehr als 200 Jahren war vielen Gelehrten aufgefallen, dass die Lebewesen alle nur erdenklichen Überlebens-Rezepte anwenden - heute würde man sagen, alle biologischen Nischen ausfüllen - und dass die Vielzahl der Arten unmöglich alle auf die Arche Noahs gepasst haben können. Es muss also eine Entwicklung der Arten gegeben haben. Außerdem wusste man damals schon, dass unzählige Arten, die man aus Fossilien rekonstruieren konnte, irgendwann untergegangen sein müssen. Es konnte also keineswegs so sein, dass die Arten einmal geschaffen und dann nicht mehr verändert worden sind. Da man in den fossilführenden Schichten Skelette von Lebewesen fand, die eindeutig mit heute lebenden Arten verwandt sein mussten, war die Vorstellung, dass es eine Entwicklung der Arten geben muss, naheliegend. In der Abfolge der geologischen Schichten war auch (meistens) eindeutig zu erkennen, dass die darin eingebetteten Fossilien umso primitiver waren, je älter die Schichten waren. So gibt es Säugetiere erst seit der Kreidezeit, Fische tauchen später auf als Mollusken usw.. Man konnte die Fossilien deshalb sogar nutzen, um eine Abfolge der geologischen Zeitalter zu definieren, man konnte die Fossilien einer Schicht nutzen, um deren Alter grob zu schätzen. Die Vorstellung, die sich zunächst aufdrängte, war, dass das Leben von einfachen Einzellern abstammt, die sich in viele Arten aufgespalten haben. Plötzlich erfand die Natur einen mehrzelligen Organismus, der wahrscheinlich aus einem koloniebildenden Einzeller hervorging, und die Ära der Vielzeller begann. Zunächst entstanden „einfache" Tiere wie Quallen, Hohltiere oder Würmer, später (nächste Entwicklungsstufe) entstanden Tiere mit Innenskelett (Knorpelfische) oder Außenskelett (Gliederfüßler). Jeder kennt heute die wichtigsten Stufen dieser Entwicklung die darauf folgen: Knochenfische, Amphibien, Reptilien, Säugetiere und Vögel. Für die Pflanzen gibt es eine ähnliche Folge.

Man stelle sich die Entwicklung der Arten vor wie ein Busch, der als kleiner Keim beginnt, jedes Jahr größer wird und sich gleichzeitig immer mehr verzweigt. Somit müssten alle Vögel von einem einzigen Urvogel abstammen, den man sich als Übergangsform von einem Reptil zum Vogel vorstellte. Mit dem Archaeopteryx glaubte man lange Zeit, diesen Urvogel gefunden zu haben. Heute kennt man mehrere Frühformen von Vögeln, und ist nicht mehr sicher, ob sie Übergangsformen darstellen oder damals schon ausdifferenzierte Arten, die ohne Nachkommen wieder verschwunden sind. Heute kennt man von vielen Tiergruppen frühere Varianten, die als Stammmutter in Frage kämen, aber nicht von allen.

Typisch ist eher, dass die Natur, seit es z.B. Nashörner gibt, unzählige Nashorn-Varianten hervorgebracht und wieder vernichtet hat, und von keiner dieser frühen Formen kann man definitiv sagen, dass es sich um die Stammform heutiger Arten handelt - obwohl man es vielleicht aufgrund typischer Merkmale vermutet. Bis man eines Tages ein neues Fossil findet, das noch besser in diese Rolle passt. Überhaupt sieht der Stammbaum des Lebens aus heutiger Sicht überhaupt nicht mehr wie ein Busch aus, sondern wie eine Landschaft voller Gestrüpp mit unzähligen Verzweigungen, von denen 99% schon wieder vergangen sind. Er wirkt eher wie ein kriechender Stauch, der sich immer wieder durch Wurzelschößlinge vermehrt hat, die schließlich den Kontakt zur Mutterpflanze verloren haben, so daß jetzt zahlreiche struppige Büsche die Entwicklung des Lebens repräsentieren. Aufgrund dieser Tatsache entstand eine Diskussion, die bis heute aktuell ist, über die Frage, ob das Leben immer wieder von Katastrophen vernichtet und danach neu geschaffen oder entstanden ist oder ob es eine kontinuierliche Entwicklung gegeben hat (Sintflut- oder Katastrophentheorie gegen Entwicklungstheorie). Für beide kann man sich vorstellen, dass beide Mechanismen an der Hervorbringung der heutigen Lebewesen beteiligt waren. Früher hat man heftig darüber gestritten.

Man weiß heute, dass es eine kontinuierliche Entwicklung gegeben hat, bei der sich eine Grundform in zahlreiche ähnliche Linien aufgespalten hat, die unterschiedliche ökologische Nischen besetzt haben. Man weiß auch, dass sich Kontinente verschoben und Klimazonen verändert haben, so dass die Arten sich verändern mussten. Weiterhin weiß man, dass es Katastrophen gegeben hat, die alles höhere Leben ganzer Kontinente vernichtet haben, und zwar nicht nur einmal.

Die Frage, wie man sich die Entwicklung aus einer Vorform heraus vorstellen soll, wurde heftig und kontrovers diskutiert. Wie ist z. B. der Weg vom Reptil zum Vogel? Was bewirkt die vielen Veränderungen des Körperbaus die dazu nötig sind? Eine der ältesten Vorstellungen dazu war die von Lamarck vertretene, dass der Wunsch, fliegen zu können oder der Zwang, fliegen zu müssen, dazu führt, dass sich der Körperbau von Generation zu Generation immer mehr an dieses Ziel annähert, dass also die Arten selbst in eine neue Nische hineinwollen und sich aktiv umformen, bis das Ziel erreicht ist. Heute weiß man, dass es so nicht sein kann. Die meisten Tiere sind nicht intelligent genug, um sich andere Anpassungen ihres Körpers an die gegebenen Lebensbedingungen vorstellen oder wün schen zu können. Auch ein anderes Argument spricht dagegen: Die Ausprägung eines Lebewesens in der Embryonalphase folgt im Wesentlichen einem in den Erbanlagen vorgegebenen Programm, wobei die Zellen auch auf Botenstoffe reagieren, die in bestimmten Zellen oder Geweben gebildet werden, die entscheiden, ob aus der allgemeinen Anlage z. B. Leberzellen oder Hautzellen hervorgehen. Auch wenn die Eltern einem furchtbaren Anpassungsdruck ausgesetzt sind, beeinflusst das die Entwicklung des Bauplans der Nachkommen nicht erkennbar, auch nicht über viele Generationen hinweg. Auch generationenlanges Schwänzeabschneiden bei Mäusen führt nicht zu schwanzlosen Mäusen. Wesentlich bedeutsamer als die Theorie von Lamarck war schließlich die von Darwin, der auf seiner Weltreise mit der Beagle immer wieder Beispiele für eng verwandte Arten fand, die aus einer ursprünglichen Art hervorgegangen sein mussten und sich dann an unterschiedliche Lebensbedingungen angepasst haben mussten.

Das bekannteste Beispiel waren die Darwin-Finken auf den Galapagos-Inseln. Es war sicherlich unsinnig anzunehmen, dass diese eng miteinander verwandten Finkenarten, die sich in Größe, Schnabelform und Nahrungserwerbs-Spezialisierung unterschieden, alle den weiten Weg über das Meer von Südamerika (wo es diese Arten nicht gibt, allerdings ähnliche Arten) zu den Galapagos-Inseln gefunden haben sollen. Weitaus einleuchtender erscheint die Annahme, die auch Darwin getroffen hat, dass nämlich nur eine Finkenart die Inseln erreicht hat, die sich schließlich in die heute bekannten Arten aufgespaltet hat.

Der Mechanismus, der dazu führt, ist die Zunahme der Variabilität des Erbmaterials durch Mutationen (zufällige Veränderungen) und die natürliche Auslese, die nicht lebensfähige oder schlechter angepasste Mutanten sterben lässt. Mit diesem einfachen Mechanismus, der allerdings über lange Zeiten wirken muss, um sichtbare Veränderungen zu bewirken, konnte man zwanglos erklären, wie es dazu kommen konnte, dass die Darwin-Finken alle möglichen Arten des Nahrungserwerbs zu nutzen lernten und die dafür notwendigen körperlichen Anpassungen entwickelten.

Bekannte Beispiele für Veränderungen von Arten oder Aufspaltung von Arten in Rassen, Unterarten und schließlich auch in ein Kollektiv von selbständigen, aber miteinander verwandten Arten sind im Bereich der Züchtung zu finden, z.B. die Aufspaltung des Wolfs in die zahllosen heutigen Hunderassen, die von z.T. sehr bedeutenden Veränderungen des Körperbaus begleitet sind. Die spätere Entdeckung der Vererbungsregeln und der Gene hat nur zu einem besseren Verständnis der „Selektionstheorie" Darwins geführt, nicht zu deren Ablösung durch eine bessere Theorie. Es gab zwar schon immer Menschen, die sich nicht vorstellen konnten, wie sich aus lichtempfindlichen Zellen eines Wurms das Auge des Vogels entwickeln konnte oder wie sich aus Schuppen Federn entwickeln konnten usw.; aber nicht vorstellen können bedeutet nicht, dass es unmöglich ist.Andere Wissenschaftler konnten es sich durchaus vorstellen. Tatsache ist, dass sich drei verschiedene Augentypen parallelentwickelt haben: das menschliche Auge, das Tintenfischauge und das Facettenauge der Gliederfüßler. Obwohl das menschliche Auge und das Tintenfischauge äußerlich sehr ähnlich sind, sind die Baupläne doch miteinander unvereinbar. Die Theorie von Mutation und Auslese hat zusätzlichen Schub bekommen durch technische Anwendungen, die früher niemals für möglich gehalten worden wären: Man variiert einen Prototyp im Rechner nach dem Zufallsprinzip (Monte-Carlo-Methode), und ermittelt dann, ob die veränderte Variante besser oder schlechter als der Prototyp den beabsichtigten Zweck erfüllt. Stellt die Variante eine Verbesserung dar, dann wird sie zum neuen Prototyp. Man setzt dieses Verfahren fort, bis keine Verbesserung mehr erzielt wird. Dieses Verfahren ist nichts anderes als die Anwendung des Evolutionsprinzips in der Technik. Im Grunde genommen funktioniert jede Produktentwicklung nach diesem Schema, nur dass der Entwickler sich mögliche Varianten, die ihm von vorneherein als unsinnig erscheinen, erspart. Damit wird der Entwicklungsprozess schneller als bei völlig planlosem Herumexperimentieren, aber die Chance, originelle, überraschende andersartige Lösungen zu finden, geht weitgehend verloren.

Die Anwendungen in der Technik, die vielen Bestätigungen, die sich in der Natur oder in der Tier- oder Pflanzenzucht gefunden haben, haben die Darwinsche Theorie von Mutation und Auslese sehr populär gemacht. Es besteht kein Zweifel mehr an der Richtigkeit dieser Theorie. Es bestehen allerdings erhebliche Zweifel, ob diese Theorie schon die ganze Wahrheit ist.

Betrachtet man Arten, die häufig vorkommen und ein sehr großes Verbreitungsgebiet haben, z.B. Mensch, Sperling, Ratte, Forelle, Wildschwein, Eiche, Fichte und, und, und..., dann wundert man sich über die große genetische Variabilität. Solche Arten sind häufig in zahlreiche Lokalrassen aufgespalten, Farbe und Größe können erheblich variieren, beim Menschen auch Beinlänge, Körperform, Hautfarbe, Behaarung usw.. Der Mäusebussard variiert von hellbraun bis fast schwarz, Wölfe, Bären und Tiger variieren erheblich hinsichtlich der Körpergröße, Rothirsche und Elche hinsichtlich Körpergröße und Geweihform und -größe usw.. Das Erstaunliche daran ist, dass die natürliche Auslese eigentlich nur die bestangepasste Variante übriglassen sollte. Nur, wenn ein Merkmal für die Auslese nicht relevant ist, sollte die Variabilität erhalten bleiben. Davon kann aber in der Natur häufig keine Rede sein. Es ist z.B. nicht einzusehen, warum ein Elch in Nordamerika größer sein muss als in Europa, warum ein Schmetterling Lokalrassen mit unterschiedlichen Flügelformen bildet wie den Schwalbenschwanz in Spanien und den Segelfalter in Deutschland. Sicher kann man vieles mit unterschiedlichen Umweltbedingungen erklären, z.B. sind sehr große Tiere im Wald benachteiligt. So ist der Steppenelefant größer als der Waldelefant, die Giraffe Ostafrikas größer als das Okapi aus dem Kongobecken.

Am frappierendsten ist die gewaltige genetische Variabilität bei den kleinen Tieren. Betrachtet man z.B. die tropischen Zierfische oder die tropischen Insekten, dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Man findet hunderte von Arten - oder sind es nur Rassen? -, die sich nur leicht voneinander unterscheiden und gemeinsame Vorfahren haben müssen. Ein Grund-Bauplan wird auf alle nur erdenkliche Arten abgewandelt. Als es im vorigen Jahrhundert Mode war, Schmetterlinge zu sammeln und zu katalogisieren, wurden Vitrinen mit den aufgespießten Leichen von Schmetterlingen gefüllt - oft hunderte von Varianten desselben Grundmodells.

Wie ist es möglich, dass trotz natürlicher Auslese derart viele Varianten nebeneinander existieren können, ein Teil davon im gleichen Lebensraum? Es ist offensichtlich, dass die natürliche Auslese bei den großen Arten viel wirksamer und augenfälliger zu einer Einschränkung der Vielfalt auf wenige erfolgreiche Typen führt als bei kleinen Lebewesen.

Ein anderer Gesichtspunkt ergibt sich aus der Genetik: Das Genom einer Art enthält offensichtlich sehr viel scheinbar unnützen Ballast. Von dem Erbmaterial wird nur ein Teil ausgeprägt, der Rest- und das kann der größere Teil sein- bleibt ungenutzt. Man hat in neuerer Zeit herausgefunden, dass Mikroorganismen Erbinformationen austauschen können, auch über Artgrenzen hinweg. So können z.B. Viren auch Erbinformationen in menschliche Zellen hineintransportieren. Das Erbmaterial von Mensch und Virus bleibt nicht streng getrennt. So benutzen Genetiker Viren, um bestimmte gewünschte Erbinformationen in andere Einzeller oder in Eizellen hineinzubekommen. Daraus folgt aber auch, dass die Mikroorganismen über Jahrmillionen ihren Bestand an Genen permanent durchmischen und dadurch den eigentlichen Genpool des Lebens bilden müssen. Ein einmal entwickelter biologischer Bauplan wird über Krankheitserreger und andere Mikroorganismen verbreitet und wird bald zum Allgemeingut des Lebens. Die zugehörige Erbinformation wird, zumindest in den unterschiedlichsten Bruchstücken, in das Genom aller möglichen Arten eingehen, allerdings bei den Arten, in denen es sich nicht ausprägt, in aller Regel nicht komplett und nicht funktionstüchtig.

Ein dritter Gedanke muss in diesem Zusammenhang diskutiert werden: Weil die Erde in unregelmäßigen Abständen von Kometen oder Asteroiden getroffen wird, kommt es immer wieder zu großen Katastrophen für Fauna und Flora. Bei einem wirklich großen Einschlag sind die direkten Folgen (Flutwelle, extreme Verdunkelung, extreme Niederschläge, Verschiebung des getroffenen Kontinents in eine andere Klimazone) und die mittelfristigen Folgen (extreme Temperaturen, Überschwemmung, Verschlammung ganzer Landschaften, Nichtverfügbarkeit von Nahrung, Fehlen von Ausweichmöglichkeiten und schließlich Krankheiten) so gravierend, dass es mit fast völliger Sicherheit wenigstens auf einem Kontinent zum völligen Zusammenbruch des Ökosystems kommt.

Keine größere Tierart wird solch ein Inferno überleben, und auch Pflanzen haben kaum eine Überlebenschance, wenn es tatsächlich über längere Zeit für die Photosynthese zu dunkel bleibt. Ein solches Ereignis wird nur von den Mikroorganismen im Boden überlebt. Deren Artenvielfalt wird nicht wesentlich beeinträchtigt. Sie können die verwüstete Erde rasch neu besiedeln.

Wir müssen uns ohnehin von der irrigen Vorstellung lösen, die großen Arten seien wesentlich für die Artenvielfalt auf der Erde. Sie sind schon mehrfach fast vollständig von der Erde getilgt worden, und es haben sich immer wieder neue Arten entwickelt.

Das irdische Leben wird zu 99% von den Mikroorganismen repräsentiert. Für das genetische Inventar der Biosphäre spielen die großen Arten keine Rolle. Es hat also keinen Sinn, eine seltene Großtierart schützen zu wollen, weil durch ihr Aussterben angeblich wertvolles genetisches Material unwiederbringlich verloren geht. Das genetische Material einer solchen Art ist durch die natürliche Auslese ohnehin schon stark verarmt und nur noch in wenigen Exemplaren in dieser Kombination präsent. In anderen Kombinationen kann es die Gene aber noch zahlreich geben - hauptsächlich in Mikroorganismen. Für den Genbestand des irdischen Lebens spielt diese seltene Großtierart praktisch keine Rolle. Ein vierter Mosaikstein, den wir betrachten müssen, ist die Dokumentation der Artenentwicklung über geologische Zeiträume. Wir kennen zwar viele als Fossilien überlieferte Varianten eines Grundbauplans, können aber nicht entscheiden, ob es sich um eine örtliche Unterart oder um einen echten Vorläufer einer heutigen Art gehandelt hat. Für viele heutige Arten lässt sich die Entstehungsgeschichte nicht rekonstruieren. Häufig hat man Lücken in der Dokumentation durch Annahmen überbrückt, und häufig hat man fossile Arten aufgrund bestimmter Merkmalskombinationen zu Vorfahren heutiger Arten erklärt, obwohl man das nicht beweisen kann. Genauso gut könnte die Natur in früheren geologischen Perioden ähnliche Arten hervorgebracht haben wie in unserer gegenwärtigen Periode, sie aber ohne Nachkommen wieder vernichtet haben. Dann müssten sich die heutigen Arten neu entwickelt haben, wie auch immer das geschehen sein könnte.

Woher kommt es, dass die Entstehungsgeschichte der Arten so schlecht durch Fossilien belegt ist? Die Antwort ist einfach: In normalen Zeiten wie auch heute, bilden sich keine Fossilien. Ein totes Tier wird gefressen, die Knochen zerstreut, und sogar die Knochen werden gefressen (überwiegend von Mikroorganismen). Von einer Tier- oder Pflanzenleiche bleibt nichts übrig. Fossilien entstehen nur, wenn eine kosmische Bombe die Erde trifft und eine riesige Flutwelle auslöst, die alles größere Leben des Flachlandes am Mittelgebirgsrand zusammenspült und mit Kies, Sand oder Schlamm zudeckt. Diese seltenen Ereignisse dokumentieren Augenblicksbilder vom Artenbestand am Ende einer geologischen Periode. Diese Ereignisse sind es auch, welche die meisten Schichten aus Sedimentgesteinen gebildet haben. In den geologisch ruhigen Perioden ist nur die Bildung von Lavagesteinen in manchen Gebieten von Bedeutung. In Gebieten ohne Vulkane findet meist überhaupt keine nennenswerte Gesteinsbildung statt. So sind die Gesteinsschichten, die man nach den geologischen Perioden (Tertiär, Kreide, Trias, Perm u.a.) benennt, in Wirklichkeit nicht Zeugnisse sehr langer Perioden, sondern Zeugnisse einzelner Katastrophen, die das damalige „höhere" Leben ganz oder teilweise ausgelöscht haben. Deshalb entsteht der falsche Eindruck, die typische Fauna eines Erdzeitalters sei in sehr kurzer Zeit, praktisch schlagartig im geologischen Zeitmaßstab, entstanden. Deshalb auch findet man keine fossilierten Dokumente der Artentstehung, weil diese in den ruhigen Zeiten der Erdgeschichte erfolgte, sondern nur die Dokumente der Vernichtung einer Biosphäre. Man wird deshalb nie die gesuchten fehlenden Zwischenglieder der Artentwicklung finden, und man wird ehrlicherweise zugeben müssen, dass selbst diejenigen Fossilien, die man heute für Zwischenglieder hält, in Wirklichkeit fertig ausgeprägte Arten in der damaligen Untergangs-Zeit waren.

Die Frage ist deshalb, wie die Entwicklung der Arten wirklich vonstatten gegangen sein könnte und immer noch geht. Die im folgenden dargelegten Ideen sind nur grob skizziert. Die Einzelheiten müssen in verschiedenen Fachdisziplinen ausgearbeitet werden, und die meisten Detailfragen können heute noch gar nicht beantwortet werden.

Im Verlauf geologisch relevanter Zeiträume, das sind im allgemeinen Jahrmillionen, führt der Austausch von Genmaterial zwischen Lebewesen verschiedener Arten, der uns als seltene Ausnahme erscheinen mag, zu einer kräftigen und gründlichen Durchmischung. Besonders viel Genmaterial von höheren Arten gelangt in die Mikroorganismen des Bodens, wenn ein toter Körper verwest, egal ob Tier oder Pflanze. An zweiter und dritter Stelle folgen sicherlich die Mikroorganismen, die den Körper, z.B. den Darm, besiedeln und die Krankheitserreger und sonstigen Parasiten.

Betrachtet man den Austausch von Genmaterial im Zeitraffer, so wird man feststellen, dass die Mikroorganismen des Bodens und der Meere ein Reservoir aller Gene der Biosphäre darstellen müssen. Die Gene, die für höhere Lebewesen typisch sind, sind zerstückelt und zerstreut und teilweise nicht aktiv. Umgekehrt funktioniert der Zellstoffwechsel einer menschlichen Zelle fast genauso wie der eines Bakteriums, so dass ein Großteil der aktiven Erbinformation den Mikroorganismen und höheren Lebewesen gemeinsam ist. Man könnte es auch folgendermaßen formulieren: Ein großer Teil der Erbinformation der Biosphäre bildet das Reservoir der aktiven Gene der Mikroorganismen. Diese sind in jeder einzelnen Mikroorganismen-Zelle in einer funktionierenden Kombination vertreten. Hinzu kommen aber nicht aktive Gene oder Genteile, die aus der Erbinformation höherer Lebewesen stammenWenn nun eine kosmische Katastrophe einen Großteil des höheren Lebens auslöscht, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die zunächst überlebenden ebenfalls aussterben, weil das Ökosystem vernichtet ist, aus dem sie sich ernähren. Zwei Fälle sind zu unterscheiden:

a) Das höhere Leben eines Kontinents wird vollständig vernichtet .

b) Es überlebt teilweise.

Im ersten Fall vollzieht sich die Entwicklung neuen höheren Lebens relativ rasch aus den Mikroorganismen. Die Entwicklung erfolgt ähnlich, aber nicht genauso, wie sie in früheren Erdperioden abgelaufen ist.

Sie geht aber verhältnismäßig schnell, weil Mikroorganismen eine rasche Generationenfolge haben, und weil sie das vorhandene Genmaterial nur ständig umzukombinieren brauchen, um die Kombinationen wiederzufinden, die im vergangenen Erdzeitalter bereits zum Erfolg geführt haben. Natürlich kann dabei auch Neues entstehen, aber grundsätzlich sind die Entwicklungslinien über Wurm und Made zum Insekt und über Wurm und Fisch (Kaulquappe) und Amphibium zu Reptil, Säuger und Vogel vorgezeichnet. Weil diese Entwicklungen schon wenigstens einmal stattgefunden haben, ist daszugehörige Genmaterial vorhanden, und die Rekonstruktion dieser Entwicklung mit kleinen Abweichungen geht wesentlich schneller als eine Neuerfindung des höheren Lebens. Im zweiten Fall - Teile der alten Fauna haben überlebt - werden die vorhandenen Arten sich in viele neue Arten aufspalten, die sich auf unterschiedliche Methoden des Nahrungserwerbs spezialisieren. Dadurch entstehen Faunen, in denen nur wenige Tiergattungen vertreten sind, wie z.B. in Australien oder Südamerika. Die Kleintier-Welt entwickelt sich dagegen teilweise neu und kann dann bei günstigem Klima sehr artenreich sein.

Als wichtige Hinweise für diese grob skizzierte Idee können z.B. die Embryonalentwicklung und die Metamorphose gelten. Die Embryonalentwicklung zeichnet die Entstehung der betreffenden Art grob nach. Es ist offensichtlich, dass sich zuerst das Allgemeine, das allen Arten Gemeinsame, ausprägt, dann Stufe um Stufe die Weiterentwicklungen.

Die Metamorphose, die wir nicht nur von Insekten kennen, wo sie alltäglich ist, sondern auch von fast allen Amphibien und vielen Fischen, ist biologisch eigentlich sinnlos. Was spricht denn dagegen, dass sich aus einem Bienenei direkt eine Biene entwickelt, die dann fertig aus der Wabe schlüpft? Wozu der Umweg über Larve (Made) und Puppe, beides hilflose Kreaturen? Warum bekommt die Erdkröte, die außer zur Eiablage nicht ins Wasser geht, nicht lebende Junge wie einige Schlangen, Fische oder Reptilien oder warum bildet sie keine Eier mit fester Haut oder Schale wie viele Schnecken, Reptilien oder Vögel?

Weil ihre Nachkommen im Wasser leben, bleibt es bei weichen Eiern, die in Schleimschnüre eingebettet sind und ohne Wasser vertrocknen würden. Man könnte viele solcher Beispiele anführen. Eine Art, die eine Metamorphose durchmacht, muss sich an mehrere Lebensräume oder am mehrere biologische Nischen anpassen. Für das Überleben der Art ist das sicherlich ein Nachteil, denn nur, wenn beide biologischen Nischen erhalten bleiben, kann auch die Art überleben. Es führt wahrscheinlich nicht weiter, hinter den eigentümlichen Verwandlungen einen biologischen Vorteil zu vermuten. Aus denselben Genen entstehen Raupe, Puppe und Schmetterling, die Konzentrationsänderung eines Hormons im Körper genügt, um einen kompletten Umbau des Körpers auszulösen, als Folge dessen das Tier sich dann eine völlig andere Lebens- und Ernährungsweise zulegen muss. Das bedeutet doch, dass alle möglichen Erscheinungsformen der Art gleichzeitig in den Genen angelegt sind. Sicherlich sind auch noch einige andere mögliche Körperformen teilweise angelegt. Da aber einige Details fehlen, prägen sie sich nie aus. Die Lebewesen tragen ein Genom in sich, das sie befähigt, fast alles zu sein. Nur hat dieses Genom leider sehr viele Fehler, so dass von den prinzipiell möglichen Erscheinungsformen nur noch eine kleine Auswahl wirklich realisiert werden kann. Es bedarf aber nur noch weniger Gentransfers, um völlig neue Formen aus einer Art entstehen zu lassen, z.B. aus einem Frosch eine Schildkröte, weil das meiste für diese Umwandlung Notwendige schon vorhanden ist. Warum aber wandeln sich heute keine Frösche in Schildkröten um, oder warum werden heute aus Kaulquappen niemals andere Tiere als Frösche?

Das liegt im Wesentlichen an der biologischen Auslese. Wenn bereits sehr viele hoch entwickelte Tiere existieren, kann eine neue, noch nicht optimierte Lebensform nicht überleben. Wenn sich ein Nachkomme völlig artuntypisch entwickelt, dann ist dieses Wesen zwangsläufig schlecht angepasst und halb unfertig. Weil solche Nachkommen in einer entwickelten Fauna nicht überleben können, sind sie extrem selten geworden.

Die natürliche Auslese dezimiert den Genbestand einer Art, und es überleben in dieser Art nur die Gene, die eine stabile Erscheinungsform der Art garantieren oder zumindest zwei bis drei unterschiedliche, aber allesamt zeitweise stabile Erscheinungsformen, die alle auf ihre biologische Nische bereits optimiert sind. In einer primitiven Umwelt dagegen, in der es nur Mikroorganismen gibt, prägen sich aus dem weitgehend gemeinsamen Genbestand rasch zahlreiche fluktuierende Arten aus, die trotz unterschiedlicher Körperformen meist miteinander Nachkommen hervorbringen können. Dadurch entsteht die gesamte höhere Fauna eines zerstörten Kontinents binnen geologisch kurzer Zeit aus dem Mikroorganismen-Genpool neu, und zwar in einer Evolutionsperiode, die uns chaotisch und undurchschaubar erscheint. Alle Baupläne, die das Leben bis dahin erfunden hat, entstehen gleichzeitig, zahlreiche Individuen erleben mindestens einmal, dass sich ihr Körper verändert und dass sie sich eine andere Lebensart zulegen müssen, um Nahrung zu finden. Zahllose Individuen können sich auch in ihren unterschiedlichen Körperformen vermehren.

Man darf sich allerdings nicht vorstellen, dass aus einem Ei eine wurmähnliche Larve kriecht, aus der sich schließlich ein Schmetterling bildet und schließlich z. B. ein Käfer. So kann es nicht funktionieren. Schmetterling und Käfer sind Tiere unserer Zeit, die nach langer Selektion stabilisierte Arten darstellen. In der explosiven Evolutionsphase entstehen jedoch primitive Geschöpfe, die alle mögliche Baupläne repräsentieren. Sie haben alle etwas Kaulquappenartiges oder Embryonales und fressen überwiegend Erde mit Mikroorganismen oder filtern Mikroorganismen aus dem Wasser. Tiere, die wirklich fliegen können oder die erfolgreich nach Beute jagen, entstehen erst nach längerer Selektion.

Mit der Fähigkeit, andere höhere Tiere oder Pflanzen fressen zu können, wird die Selektion zur gestaltenden Kraft, die zu einer Anpassung der zahlreichen Formen an bestimmte biologische Nischen führt, und welche die Fähigkeit zu sprunghafter Wandlung des Körperbauplans verschwinden lässt - bis auf diejenigen Fälle, bei denen diese Metamorphosen geregelt ablaufen und alle Stadien der Entwicklung in ihren Lebensräumen konkurrenzfähig sind.

Unter den Bedingungen von Mutation und Selektion entwickeln sich neue Körpermerkmale nur noch unendlich langsam und gehen auch nur langsam in den Mikroorganismen-Genbestand ein.

Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist auch die prägende Wirkung der Umgebung auf die Entwicklung eines Embryos. Wenn der Embryo in einem festen Ei heranwächst, sind äußere Einflüsse abgeschirmt, welche die Embryonalentwicklung in eine andere Richtung lenken könnten. Wächst der Embryo im Mutterleib heran, beeinflussen die Hormone und alle anderen Botenstoffe im mütterlichen Blut die Entwicklung, wodurch die Kinder schlank oder dick werden oder Prädispositionen für bestimmte Krankheiten bekommen, die meist erst in einem viel höheren Alter zum Tragen kommen, z. B. Herzinfarkt. Bei Tieren jedoch, die sehr kleine oder weiche Eier legen, die dem Wetter ausgesetzt sind, können die Umweltbedingungen viel weitergehende Variationen hervorbringen. So gibt es erstaunlich viele Tierarten, bei denen die Temperatur darüber entscheidet, welches Geschlecht das Junge entwickelt. Bekannt ist auch das mexikanische Axolotl, ein Molch, der sich je nach Wetter- und Ernährungsbedingungen zum fertigen Molch entwickeln kann oder aber zeitlebens Larve bleibt, die ebenfalls vermehrungsfähig ist.

Bei genauerer Untersuchung der tropischen Arten sind viele Beispiele gefunden worden für völlig unterschiedliche Ausprägungen innerhalb einer Art.
Heute erscheinen uns derartige Beispiele exotisch. Als sich die Arten der heutigen Kontinente nach der letzten Großkatastrophe neu entwickelten, muss es eine lange Zeit gegeben haben, in der sich Tiere unterschiedlichen Aussehens miteinander erfolgreich paaren konnten. Die Grenzen zwischen den Arten können erst nach längerer Selektion allmählich undurchlässig geworden sein - in dem Maße, wie die Populationen sich spezialisierten und im äußeren Erscheinungsbild und Verhalten festigten.

Als Beleg für diese Ansicht möchte ich die Affen Afrikas und Asiens und die mit ihnen verwandten Menschen anführen. Betrachtet man die einzelnen Arten vergleichend, so fallen einige sehr seltsame Tatsachen auf. In jedem Großraum - z. B. Indien, Zentralafrika, China, Indonesien, Europa - gibt es Merkmalskombinationen, die ortstypisch und Menschen und Affen gemeinsam sind: In Afrika leben schwarze Menschen und schwarze Affen, in Asien leben hellhäutige Menschen und hellhäutige Affen. In Südasien gibt es beides. Der Nasenaffe, der früher überall in Südostasien lebte, ist weißhäutig und hat eine ausgeprägte Nase. Dies sind Merkmale, die ganz ähnlich auch bei Europäern ausgeprägt sind, die bekanntlich letztendlich auch aus Asien stammen. Der Gorilla hat eine breite, ziemlich flache Nase, die Nasen der Afrikaner sind ähnlich breit und flach.

Der Orang-Utan hat ein breites Gesicht mit Backenwülsten beim Mann. Ähnliche Merkmale, wenn auch weniger ausgeprägt findet man in China, Sibirien und in der Arktis beim Menschen. In die nördlichen Gebiete sind die Menschen erst vergleichsweise spät eingewandert. Der Orang-Utan war früher auch in China und Hinterindien beheimatet, dessen Vorformen waren noch weiter verbreitet und erreichten zeitweise (Ende Tertiär oder Zwischeneiszeit) sogar Europa. In Indonesien und Hinterindien spielen kleine zierliche und bewegliche Affen die Hauptrolle, und auch die Menschen (Malaien) sind eher klein und zierlich. In China gab es auch große Affenarten (Gigantopitecus, Orang-Utan-Vorläufer), und die Menschen dort sind ebenfalls größer, grobknochiger. Sicher haben die zahlreichen Wanderungsbewegungen der Menschen zahlreiche Eigentümlichkeiten dieser Art verwischt, haben zierliche Menschen auch nach China gebracht usw.. Trotzdem sind die Zeichen auch heute noch kaum zu übersehen, dass Affen und Menschen regional einheitliche Merkmale herausgebildet haben. Daraus folgt m.E., dass sich Affen und Menschen in Afrika und Asien gleichzeitig aus den dortigen Genpools entwickelt haben, und dass die Trennung in Arten erst später erfolgt sein kann. Diese Arten haben heute immer noch viele gemeinsame Ausprägungen.

Auch bei anderen Tiergruppen kann man dieses Prinzip erkennen. So sind die Kamele Amerikas grundsätzlich anders ausgeprägt als die Kamele Asiens, die Affen Amerikas anders als die Altweltaffen, die Säugetiere Australiens ganz anders als die Säugetiere Indiens, die Krokodile Amerikas anders als die Krokodile Afrikas usw. Warum bleiben die Kaimane Südamerikas kleiner als die Nilkrokodile des Kongogebiets? Von der Ernährungsweise her sind die Arten ähnlich. Die Nilkrokodile des Kongogebiets haben auch kaum Gelegenheit, Großtiere zu erbeuten und leben hauptsächlich von kleineren Tieren wie der Kaiman. Umgekehrt hat Südamerika eindeutig die größeren Wasserlandschaften, in denen sich mit Sicherheit auch große Krokodile ernähren könnten. Große Lebensräume und gute Ernährungsbedingungen führen zu großen Tieren, sollte man denken. Trotzdem haben sich große Tiere in Südamerika kaum entwickelt. Von den wenigen, die es dort gab, ist wie überall schon ein Teil ausgestorben. Ganz anders in Afrika, Asien und z.T. Nordamerika, wo sich große Arten sehr viel häufiger entwickelt haben. In Nordamerika sind fast alle durch die Klimaextreme beim Wechsel von Eiszeiten und Warmzeiten wieder ausgestorben.

Wenn man nach Hinweisen für diese Theorie sucht, findet man viele erstaunliche Spuren. Z. B. habe ich im Fernsehen gesehen, wie Amöben auf ein chemisches Signal hin plötzlich alle zusammenkrochen und einen Fruchtkörper bildeten, der wie ein Pilz aussah. Dieser Fruchtkörper bildete Millionen von Sporen aus, und löste sich dabei wieder auf. Dieser Vorgang ist nichts anderes als eine fluktuierende Art: der Wechsel zwischen Einzeller- und Vielzellerdasein. Auch andere Pilze keimen als amöbenartiges Wesen aus einer Spore, finden sich zu Pilzhyphen zusammen, bilden irgendwann wieder Fruchtkörper. Die Zellen selbst können kriechen, ähnlich einer Amöbe, und das gilt nicht nur für Pilzzellen. Auch menschliche Zellen, Zellen aller Tiere und junge, unverholzte Pflanzenzellen können kriechen. Sie tun dies z. B. bei der Wundheilung.

Andere Beispiele findet man beim Embryonalwachstum, wo Zellen entlang bestimmter Wege kriechen und dadurch eine Gewebebrücke erzeugen. Die Bildung der menschlichen Ohrmuschel ist ein Beispiel dafür oder Wachstum und Faltung des Darmes. Die subtile Steuerung solcher Kriechbewegungen und die Abschirmung gegen Störungen ist ganz wesentlich für die Ausformung eines Körpers und für die Ausformung einer Art. Man sieht daran, dass die menschliche und jede andere Zelle immer noch ein potenzieller Einzeller ist, der einer chemischen Spur folgend zu einem Ort kriecht, an dem er sich wohler fühlt, Konkurrenz ausweicht, zur Stammzelle eines eigenen Gewebebereichs wird. Auffallend ist auch die Analogie zwischen den Amöben, die zu einem Fruchtkörper zusammenkriechen und einem Heringsschwarm, der in ein flaches Laichgewässer zieht und wie ein großer Organismus erscheint. Auch hier ist jeder einzelne Hering ein Individuum wie ein Einzeller, aber alle Heringe fühlen sich im Schwarm am wohlsten und finden sich immer wieder zu einem Schwarm zusammen. Der Schwarm hat Eigenschaften, die der einzelne Hering nicht hat. Zu den Verhaltensweisen des einzelnen Herings kommen noch die Verhaltensweisen des Schwarms. Auch Fisch- oder Insektenschwärme sind Beispiele für den Wechsel zwischen Pseudo-Einzeller- und Pseudo-Vielzellerdasein und zeigen auf einer höheren Ebene, was man auch beim Studium eines Vielzellers sieht: die Durchlässigkeit der Barriere zwischen der Einzellerwelt und der Vielzellerwelt. Auch die Pflanzenwelt bietet zahlreiche Hinweise auf die Geschichte der Arten. Um nur die auffälligste Spur zu nennen, will ich die Entstehung der Bäume betrachten. Heute kann man die Pflanzenwelt in Einzeller und Vielzeller, die Vielzeller in Holzgewächse (Bäume, Büsche, Sträucher) und krautige Pflanzen unterteilen, und man denkt intuitiv, dass es eine Entwicklung vom Einzeller über den krautigen Vielzeller zum Baum geben muss. Folglich sind alle Bäume miteinander verwandt, und wenn man in die Vergangenheit zurückblickt, wird man auf den Ur-Baum stoßen, von dem alle heutigen Bäume abstammen. Man müsste anhand von Fossilien den gemeinsamen Vorfahren von Laub- und Nadelbäumen finden oder den gemeinsamen Vorfahren, von Bäumen und Büschen. Schon eine ziemlich oberflächliche Betrachtung der Biologie der Holzgewächse zeigt, dass diese Vorstellung überhaupt nicht stimmen kann. Es gibt zwar Gruppen miteinander verwandter Arten wie Birke, Haselnuss, Hainbuche und Erle oder Tanne, Fichte und Kiefer, aber grundsätzlich sind diese Gruppen verwandter Arten mit krautigen Pflanzen verwandt und nicht mit anderen Gruppen von Baumarten. Die bekanntesten Beispiele sind die Verwandtschaft der Rosengewächse mit den Fingerkräutern, der Baumfarne mit den Farnen, der Drachenbäume mit den Ananasgewächsen, der Palmen mit den Liliengewächsen, von Robinie mit Ginster und Klee. Bekannt ist auch, dass es in den Gebieten Deutschlands mit Kalkgestein einen krautigen Verwandten des Holunders gibt. In den Tropen sind derartige Beispiele noch weitaus zahlreicher. Durch solche Beispiele wird deutlich, dass die Entwicklung vom Kraut zum Baum nichts Besonderes ist, sondern in vielen Pflanzengruppen gleichzeitig erfolgt sein muss und immer wieder erfolgen kann. Die Zellen krautiger Pflanzen unterscheiden sich von den Zellen eines Baumes nicht grundsätzlich. Der Unterschied liegt nur darin, dass der Baum an den Zellwänden mehr Zellulose ablagert, wodurch die Zelle fester und steifer wird. Aber auch die Zelle einer krautigen Pflanze enthält Zellulose. Die Möglichkeiten des Baumes sind auch im Kraut schon angelegt. Sie prägen sich nur nicht aus, weil das Kraut sich an eine andere Überlebensstrategie angepasst hat. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass auch heute noch - nach jahrmillionenlanger Selektion und Einengung und Abgrenzung der Arten - die vermeintliche Barriere zwischen Kraut, Strauch und Baum überwunden wird. Es gibt z.B. Gartenblumen, die als einjähriges Kraut, aber auch als mehrjährige Staude vorkommen, z.B. der Rittersporn. Das sind zwar verschiedene Sorten, aber sie sind eng miteinander verwandt. Die Pfingstrosen gibt es als Stauden und als Büsche, und von fast allen Obstbäumen gibt es jetzt auch Busch- oder Strauchformen, deren Züchtung ganzeinfach war. Der Übergang vom Strauch zum Baum ist nur ein kleiner regulatorischer Schritt: wenn alle Kambiumzellen im Frühjahr Wachstumshormon bilden, dann ist die Hormonkonzentration an den Zweigspitzen am höchsten, und das Wachstum findet dort statt: es entsteht ein Baum. Wenn nur noch die Kambiumzellen der Wurzeln Wachstumshormon bilden, ist die Hormonkonzentration am Wurzelhals am höchsten, so dass aus ihm immer neue Schösslinge treiben: die Pflanze ist ein Strauch. Es gibt Übergänge, wie z.B. die meisten einheimischen Laubbäume, die, wenn sie genügend Licht erhalten, breit und sperrig wachsen und nur in einer Konkurrenzsituation hoch werden und einen geraden Stamm bilden (Eiche, Buche). Hat man sie abgesägt, schlagen sie aus dem Stumpf neu aus wie ein Strauch. Andere Bäume, die schon seit sehr langer Zeit als Bäume selektiert worden sind, also über Jahrmillionen immer nur in Wäldern unter Lichtkonkurrenz-Bedingungen gelebt haben, können aus dem Stumpf nicht mehr ausschlagen (Fichte, Kiefer, Palme). Dies sind vor allem solche Arten, die heute oder bei uns unter den Kräutern keine Verwandten mehr haben (z. B. Nacktsamer) und deshalb schon lange keinen Gen-Austausch mit verwandten krautigen Arten mehr haben.

Biologen werden sehr viel mehr Hinweise finden als ich, aber mir wird mit der Zeit immer klarer, dass die Arten so oder so ähnlich entstanden sein müssen, wie ich beschrieben habe. Ich will noch einmal kurz zusammenfassen:

Die bisherige Entwicklungstheorie, die davon ausgeht, dass es durchgehende Entwicklungslinien von den Einzellern des Erdaltertums bis zu den Vielzellern von heute gibt, berücksichtigt nicht die zahlreichen tiefgreifenden Artensterben, die sich infolge von kosmischen Katastrophen (Einschläge von Asteroiden oder Kometen) ereignet haben. Solchen Katastrophen sind die „höheren" Tiere und Pflanzen immer wieder fast vollständig zum Opfer gefallen. Ich gehe deshalb davon aus, dass das eigentliche Leben die Mikroorganismen im Boden sind, die alle Katastrophen überdauern. Da es einen Gen-Austausch zwischen den Viel- und den Einzellern des Bodens gibt, ist der ganze Genbestand des irdischen Lebens, wenn auch in frag-mentierter Form, in den Einzellern präsent, und die Fauna, die vor der Katastrophe auf einem Kontinent gelebt hat, bestimmt, welche Gene in den Mikrorganismen häufig sind und welche selten.

Deshalb kann sich nach einer Vernichtung des höheren Lebens eine Artenentwicklung, wie sie bereits häufiger stattgefunden hat, wiederholen, und zwar in kürzerer Zeit als bei früheren Entwicklungsperioden, und es entwickeln sich Arten, die mit den Arten vor der Katastrophe deutliche Ähnlichkeiten haben. Die Entwicklung wird ähnlich ablaufen wie beim vorigen Mal, weil die gleichen Gene auch wieder zu ähnlichen Ergebnissen führen. Insofern kommt es zu dem Eindruck, es gäbe eine durchgehende Entwicklungslinie vom Ur-Einzeller zum Menschen. Im Grunde genommen gibt es sie auch - nur nicht durchgehend auf der Stufe des „höheren" Lebens.

Sind die sich entwickelnden Vielzeller noch primitiv, können sie zwischen recht unterschiedlichen Körperausprägungen schwanken, und eine sexuelle Vermehrung zwischen recht unterschiedlichen Wesen ist häufig noch möglich. Erst die Auslese durch die Umwelt, Raubtiere oder Konkurrenz führt zur Ausbildung abgegrenzter Arten, die sich nicht mehr kreuzen lassen. Das bedeutet, dass die Theorie Darwins zwar die Ausprägung der Arten erklärt, aber nicht die eigentliche Entwicklung der örtlichen Fauna. Die Auslese hat viele Beispiele für Umwandlungen (Metamorphosen, Artfluktuation) übriggelassen, wenn sie mit dem Überleben der Art in Einklang zu bringen waren, obwohl die Selektion gegen diese Fluktuationen arbeitet. Viele Arten haben Mechanismen entwickelt, die solche Fluktuationen unterbinden, z.B. das Ausbrüten von Eiern oder die Embryonalentwicklung im Körperinneren oder die Warmblütigkeit. Auf die kurzen Phasen der explosiven Artenentstehung folgen immer lange Phasen der Artenkonsolidierung und des langsamen Aussterbens, wie wir sie zur Zeit erleben. Durch die Selektion werden die Arten allmählich inkompatibel, die Artgrenzen werden immer unüberwindlicher. Dies ist der Zustand, den wir heute für normal halten. Je länger aber dieser „normale" Zustand anhält, desto kleiner ist der Anteil der höheren Arten am gesamten Genbestand, weil höhere Arten nach und nach aussterben. Weil wir selbst eine höhere Art sind, ist uns der Blick für die Realität verstellt. Wir sehen nicht, dass die Mikroorganismen das eigentliche Leben auf der Erde sind, und das sogenannte höhere Leben eine Sonderausprägung darstellt, die erdgeschichtlich keinen Bestand hat und nach jeder kosmischen Katastrophe ganz oder teilweise neu entsteht.

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